Tönnies-Beratung von Sigmar Gabriel - Kritik, so billig wie das Fleisch

Weil Ex-Minister Sigmar Gabriel 10.000 Euro pro Monat als Berater-Honorar vom Tönnies-Fleischkonzern kassierte, empört sich insbesondere die SPD. Doch die Argumente scheinen billig. Statt mit dem Finger auf einen Ex-Politiker zu zeigen, sollte die Partei besser Antworten finden.

Sigmar Gabriel und seine Beratertätigkeit werden insbesondere von der SPD kritisiert / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Die derzeitige öffentliche SPD-Empörung über die Berater-Tätigkeit des eigenen Ex-Parteichefs Sigmar Gabriel für den Tönnies-Fleischkonzern erinnert an die Produktionsbedingungen in selbigen Zerlegungsbetrieben: fließbandartig, schnell, und billig, dabei aber weder nachhaltig noch fair. „Für jeden aufrechten Sozialdemokraten ergibt sich dabei aus unseren Grundwerten, an wessen Seite man sich begibt und wo man besser Abstand hält“, beeilten sich die aktuellen Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans dem Redaktionsnetzwerk Deutschland mitzuteilen.

Ein Recherche-Team von ARD-Panorama hatte zuvor aufgedeckt, dass Sigmar Gabriel eine auf zwei Jahre angelegte, mit pro Monat 10.000 Euro vergütete Berater-Tätigkeit für den schon lange umstrittenen Tönnies-Konzern wahrgenommen hatte und im Mai aus, wie er sagt, persönlichen Gründen aufgab. Das ist eine durchaus bemerkenswerte Geschichte, zumal Gabriel über die desolaten Arbeitsbedingungen schon aus seiner Zeit als Wirtschaftsminister sehr genau Bescheid wusste. Man darf davon ausgehen, dass er sehr genau wusste, mit wem und womit er hier Geschäfte macht.

Ein reißerischer ARD-Titel

Dass er allerdings Geschäfte macht, und das scheint in der Diskussion immer latent mitzuschwingen, ist kein Makel an sich. Auch wenn man es angesichts des omnipräsenten medialen Sendungsbewusstseins von Sigmar Gabriel, aber auch angesichts des medialen Interesses an ihm kaum glauben kann: Der ehemalige SPD-Umwelt-, Wirtschafts- und spätere Außenminister ist kein aktiver Politiker mehr.

Und weil der ehemalige Vize-Kanzler und langjährige SPD-Chef die vorgeschriebene Karenzzeit von 18 Monaten nach seinem Ausscheiden eingehalten hat und der Tönnies-Konzern ein legales Unternehmen ist, das allem Anschein nach das zwar zu lasche, aber eben doch das deutsche Arbeitsrecht einhält, ist seine Tätigkeit juristisch nicht anzugreifen. Der Titel der eigentlich fundierten Panorama-Recherche war dennoch dementsprechend reißerisch geframed: „Gekauft: Sozialdemokrat Gabriel beriet Fleischmogul Tönnies“. Es klingt nach einem gekauften Politiker, dabei ist Gabriel mit Ablauf des 3. Novembers 2019 aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden.

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Weder Argumente noch Lösungen

Aber ist Gabriels Tätigkeit zumindest moralisch angreifbar? Wer das versucht, sollte gute Argumente haben, vor alle jene, die heute die politische Verantwortung tragen und somit in der Lage wären, die unfairen Arbeits- und Haltungsbedingungen von heute auf morgen zu beenden. So könnten die empörten SPD-Fraktionsmitglieder ihre Energie darauf verwenden, etwa einem Antrag der Grünen für besseren Tierschutz im Parlament zuzustimmen. Gabriel kann hier nicht mehr abstimmen. Der Arbeitsminister Hubertus Heil ist ebenfalls von der SPD. Er wird sich um die Werkvertrags-Situation hoffentlich bald kümmern. Ob dann wirklich keine Corona-Gefahr in Schlachtbetrieben mehr droht, ist momentan aber noch gar nicht belegbar.

Heute Morgen jedenfalls legte die SPD-Linke Hilde Mattheis im Deutschlandfunk per Interview nach: „Sie wissen ja, dass es natürlich ein Geschmäckle hat, mehr als ein Geschmäckle, wenn jemand, der wirtschaftspolitisch so aktiv war in seiner politischen Zeit, jetzt für ein großes Unternehmen mit Milliardengewinnen und Millionengewinnen dann als Außenkurier tätig ist“, sagte Mattheis. Und weiter: „Wenn ein ehemaliger Wirtschaftsminister wirtschaftspolitische Aufgaben aus einem Unternehmen erhält, ist das etwas, was natürlich diesen Tätigkeitsbereich in der Politik berücksichtigt beziehungsweise nutzen soll, und das finde ich schon sehr schwierig.“

Was dürfte Gabriel überhaupt noch machen?

So argumentiert, hieße dies, dass Gabriel als Ex-Wirtschaftsminister im Grunde für kein Unternehmen der Welt als Berater tätig werden könnte. Man würde gerne erfahren, womit Gabriel nach Auffassung von Mattheis überhaupt noch Geld verdienen darf. Vielleicht ja, wenn er wieder Lehrer würde.

Man wird bei solchen Äußerungen das Gefühl nicht los, dass man es hier mit einer Lebenslüge der Sozialdemokratie zu tun hat. Man ist immer dabei, Aufstiegschancen zu fordern und zu fördern. Aber wehe einer steigt auf und verdient Geld. Die Vorschläge von Mattheis für solche Gabriel-Fälle waren dann noch schräger: Zum einen schlug sie vor, die Karenzzeit von 18 Monaten auszuweiten. Dann hätte Clemens Tönnies eben ein paar Monate später Gabriel umworben. Zum anderen würde sie gerne festlegen lassen, „in welchen Bereichen sie dann tätig sein sollten als ehemalige Regierungsmitglieder“. Wie dies mit dem Recht auf freie Berufswahl vereinbar sein soll, blieb unklar.

Der mediale Dauergast braucht Reibung

Nun muss man ausgerechnet Sigmar Gabriel kaum in Schutz nehmen. Ihn, der von der in gewisser Weise auch von ihm selbst gewählten Seitenlinie immer wieder gegen die Partei und deren Führung schießt, dürften die SPD-Angriffe kaum überraschen. Im Gegenteil, vielleicht braucht er dieses Reibungen sogar. Es ist offensichtlich, dass Gabriel nicht nur der Privatmensch mit eben jetzt ganz anderen Tätigkeiten ist, der er jetzt vorgibt zu sein. Zu gern gibt er sein Wissen und seine Meinung nach wie vor zu besten. Die Medien schätzen ihn als knackigen Zitate-Geber. Als gleich mehrfachen Minister a. D. Irgendwann aber, wenn sich solche Fälle häufen sollten, wird er sich doch entscheiden müssen: ganz ins Private oder wieder ins Politische. Seine Omnipräsenz als Schein-Politiker jedenfalls, wird ihm voraussichtlich noch öfter auf die Füße fallen.

Seine Aussage im Spiegel, für „normale Menschen“ seien 10.000 Euro viel Geld, war dann eben auch wieder so ein berühmter Gabriel-Fettnapf. Elitäres und abgehobenes Denken wird ihm deshalb nun vorgeworfen und man kann die Reaktionen durchaus nachvollziehen. Aber im Grunde hat er eben auch Recht. Ein Politiker-Leben und auch das nachfolgende ist eben kaum ein „normales“ Leben. Im Dauer-Rampenlicht der Öffentlichkeit stehend, zahlen Politiker und deren Familien einen Preis, den kein Berater-Vertrag aufwiegen kann. Mitleid muss man deshalb nicht haben, aber man sollte ein realistischeres Verständnis dafür entwickeln, dass Minister in unserer Demokratie Minister auf Zeit sind. Wem Nicht-Käuflichkeit ein Anliegen ist, der kann bei nächster Gelegenheit ja für ein echtes Transparenzgesetz im Bundestags abstimmen. Genügend Abgeordnete dafür sind ja bekanntlich vorhanden.

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