SPD - Respektlose Rente

Die SPD will Geringverdiener mit einer „Respektrente“ ködern. Doch die würde ausgerechnet zulasten der klassischen SPD-Klientel gehen. So kopflos führen die Sozialdemokraten den Sozialstaat ad absurdum – und sich selbst weiter ins Abseits

Sozialminister Hubertus Heil führt die SPD mit seinen Rentenplänen in die falsche Richtung, glaubt Wolfgang Bok / picture alliance
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Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Wer seine Sozialrente freiwillig um monatlich 100 Euro aufbessern will, muss dafür während seines Arbeitsleben etwa 33.000 Euro auf das Konto der Deutschen Rentenversicherung überweisen. Zum Vergleich: Wenn nun also Sozialminister Hubertus Heil Geringverdienern 447 Euro zukommen lassen will, um ihre Rente von 514 auf dann 961 Euro anzuheben, bedeutet das rechnerisch ein Geschenk von über 147.510 Euro. Es geht in der neu aufgeflammten Debatte um eine angemessene Grundrente für Geringverdiener also nicht um Peanuts, sondern um hohe Milliardenbeträge – die letztlich vom Steuerzahler aufgebracht werden müssen. Das geht auch zulasten der Verkäuferin, die „nur“ 34 Jahre ohne Tageslicht mürrische Kunden bedient hat und sich vielleicht mit 630 Euro Monatsrente begnügen muss.

Und was, wenn ein Geringverdiener wie etwa die Friseurin, die 35 Jahre in Teilzeit gearbeitet hat, ihren Job auch deshalb nur stundenweise ausgeübt hat, weil sie mit einem gutverdienenden Geschäftsführer oder Beamten verheiratet ist? Eine Prüfung der Bedürftigkeit soll es nach dem Willen des SPD-Ministers Heil ja nicht mehr geben, denn das sei „respektlos“. Worin indes der in Freiburg lehrende Finanzexperte Bernd Raffelhüschen eine Respektlosigkeit gegenüber dem Steuerzahler sieht: „Ohne Bedürftigkeitsprüfung wird das ein Fass ohne Boden und stellt unser Sozialstaatsverständnis völlig auf den Kopf.“

Es gibt keine gerechte Rente

Andererseits benachteiligt die Prüfung, ob jemand weniger als 773 Euro zum Leben zur Verfügung hat und damit als bedürftig gilt, diejenigen, die sich die kleine Mietwohnung oder ihr Aktienpaket vom Munde abgespart haben – weil der Staat diese Vorsorge mit Kürzungen bestraft.

Schon diese kleine Beispielrechnung verdeutlicht, dass es eine gerechte Rente so wenig gibt wie einen gerechten Lohn. Das weiß natürlich auch der ehemalige SPD-Generalsekretär Heil, der lange die Hartz-Reformen verteidigt hat. Doch in ihrer Verzweiflung glauben viele Genossen, dass jetzt nur noch „SPD pur“ gegen drohende Debakel bei den anstehenden Wahlen für Europa und in Ostdeutschland hilft. So folgt dem „Gute-Kita-Gesetz“, dem „Starke-Familien-Gesetz“ nun die „Respektrente“, die auf dem Parteitag 2013 noch bescheidener als „Solidarrente“ angekündigt worden war und über das 2018 gemeinsam mit der Union beschlossene Rentenpaket hinausgeht: Laut Koalitionsvertrag sollte die neue „Grundrente“ nur zehn Prozent über der Grundsicherung liegen. Heils Plan läuft auf bis zu 50 Prozent Aufschlag hinaus.

Rentner ist nicht gleich Rentner

Die SPD verkennt, dass damit auch das unter SPD-Wählern besonders ausgeprägte Gerechtigkeitsgefühl verletzt wird. Es ist „ihre“ Aufsteigergeneration, Akademiker wie Facharbeiter, die nicht nur bei den Steuern, sondern auch bei den Sozialabgaben die Hauptlasten trägt. Schließlich liegt die Standardrente, die der Durchschnittsverdiener (derzeit rund 3.600 Euro) nach 45 Beitragsjahren bekommt, gerade mal bei rund 1.200 Euro im Westen und 1.100 Euro im Osten. Die tatsächlich ausbezahlte Durchschnittsrente liegt zwischen 700 und 800 Euro. Selbst Besserverdienende, die heute den Rentenhöchstbeitrag von 1.252 Euro (auch der hälftige Arbeitgeberanteil ist Lohnbestandteil!) abgezogen bekommen, erhalten nur selten ein Altersgeld deutlich über 2.000 Euro. So viel steht selbst dem einfachsten Beamten an Pension bereits zu.

Rentner ist also nicht gleich Rentner – und schon gar nicht Pensionär. Mit jeder Ausweitung der Leistungsansprüche – für Mütter, Frührentner, Geringverdiener, 63-Jährige und so weiter – werden den Beitragszahlern von heute und morgen nicht nur immense Kosten aufgebürdet; es wird auch stetig das Grundprinzip unterhöhlt, wonach sich die Höhe der Rente nach den gezahlten Beiträgen bemisst. Die Rendite der in Teilzeit arbeitenden Friseurin ist jedenfalls vielfach höher als die der Oberärztin im Krankenhaus mit 60-Stunden-Woche und jahrelanger Ausbildung.

Unermüdliche Umverteilungsmaschine

Die Doppelmoral daran: Den Geringverdienern, die der SPD angeblich so am Herzen liegen, hilft das allerdings wenig allerdings wenig, wenn sie unter den anderen Projekten der Sozialdemokraten zu leiden haben. Etwa, weil sie mit ihrem alten Diesel nicht mehr zur Arbeit in die Umweltzone fahren dürfen, derweil die teuren E-Autos der Besserverdiener hoch subventioniert werden. Doch diese Gerechtigkeitslücke schert die Genossen so wenig wie die Tatsache, dass unter den höchsten Stromkosten in Europa (30 Cent/kWh) natürlich die Geringverdiener am meisten zu leiden haben. Die 30 Milliarden Euro, welche die Verbraucher für die „Energiewende“ allein 2018 aufbringen mussten, fließen übrigens auch in die Taschen derer, die sich Investitionen in Öko-Fonds leisten können. Die Friseurin ist es sicher nicht.

Das wiederum erklärt, warum die SPD trotz ihrer unermüdlichen Umverteilungsmaschinerie – von der Mietbremse bis zum Mindestlohn – im 15-Prozent-Turm gefangen ist: Die einstigen Wähler der Schröder-SPD erkennen sehr wohl, dass sie von diesen Wahlködern entweder kaum profitieren oder diese letztlich selbst finanzieren.

Hört auf Gerhard Schröder

In Bayern müssen die Sozialdemokraten, die am lautesten nach noch mehr Staat rufen, mittlerweile gar die Fünf-Prozent-Hürde fürchten. Aber in München wie im Rest der Republik hört man schon lange nicht mehr auf Gerhard Schröder, der noch Wahlergebnisse nahe 40 Prozent eingefahren hat. „Mit Sozialpolitik allein wird der Niedergang der SPD nicht zu stoppen sein“, erklärt der letzte SPD-Kanzler jetzt dem Spiegel. Dazu brauche es schon ökonomische Kompetenz.

Bei Andrea Nahles, der aktuellen Parteivorsitzenden, sieht er sie nicht. Dann fasst Schröder, der Agenda-Kanzler, das Gerechtigkeits-Dilemma der SPD in einem Satz zusammen: „Diejenigen, die jeden Morgen pünktlich zur Arbeit gehen, haben null Verständnis dafür, wenn sie mit ihren Steuergeldern diejenigen unterstützen, die nicht mal zum Termin der Arbeitsagentur erscheinen.“

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