Pharmazie-Industrie - Apotheken-Umbau

Erst wollte Walter Oberhänsli nur eine Apotheke bei sich im Ort. Heute gilt der CEO des Medikamentenversenders „Zur Rose“ als Schreck niedergelassener Pharmazeuten

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„Wenn ich auf Widerstände stoße, denke ich, das hat doch einen Grund“, sagt Walter Oberhänsli / Daniel Winkler/13 Photo
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Sein Leben sei durchzogen von Gegensätzen, sagt Walter Oberhänsli. Die lösen etwas in ihm aus. Der 61-jährige Schweizer blickt dabei auf eine Fotografie des Ufers vom Untersee. Im Berliner Büro der „Zur Rose Group“ hat er sich extra auf diesen Platz gesetzt, so kann er seine Heimat sehen. „Ich kann meine Augen fast nicht von dem See abwenden“, sagt er. Dort in Steckborn, im Grenzkanton Thurgau, am kleineren der beiden Seen des Bodensees, hat der Rechtsanwalt begonnen, was er nun nicht mehr lassen kann: Medikamente online anbieten und zu den Kunden nach Hause liefern. Apothekerpreise will er vermeiden, nicht wegen der Schnäppchenjäger, sondern etwa für chronisch Kranke.

Dabei hatte Oberhänsli anfangs nur eines der schmucken Fachwerkhäuser im Ort erstanden, um es zu renovieren. Er schätzt historische Bausubstanz. Dass er mit diesem analogen Fundament mal einen mehr als 800 Jahre alten Berufsstand digital erschüttern würde, war da nicht geplant. Für das mit einer Hypothek belastete Haus hatte er mit Gewerbemiete für die Räume im Erdgeschoss fest kalkuliert. „Mit Apotheken hatte ich nichts am Hut. Mir hat einzig die Idee gefallen, dass dieses Haus eine Apotheke werden könnte“, sagt er. Damals gab es in dem 3000-Einwohner-Ort Cafés, Restaurants, eine Schreinerei – aber eben keine Apotheke. „Bis nach Kreuzlingen oder Konstanz musste man fahren. 20 Kilometer.“

Feindbild auf einem durchregulierten Markt

Heute lässt er die Medikamente zu den Kunden fahren. Walter Oberhänsli ist CEO der „Zur Rose Group“, einem von Europas größten Arzneimittelversendern, zu dem seit 2012 auch die niederländische Doc-Morris-Versandapotheke gehört. Aus Gründen des Wettbewerbs im EU-Binnenmarkt dürfen er und andere Versender aus dem Ausland Boni für ihre deutschen Onlinekunden auf Medikamente gewähren. Deutsche Apotheker hingegen müssen sich weiter an die Preisbindung halten. So entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2016.

Das macht Oberhänsli für viele zum Feindbild. Der Schweizer mischt per Onlinehandel einen durchregulierten Markt auf, wo lange Zeit weitgehend unbesorgt Gewinne eingefahren werden konnten. Heftig streiten die Vor-Ort-Apotheker dafür, dass Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Boni per Gesetz wieder verbietet. Eine Maßnahme, die so gar nicht zu Spahns Digitalisierungsstrategie passen will. Doch der Druck aus der CDU/CSU-Fraktion ist groß. Mit seinem Referentenentwurf, der Cicero vorliegt, versucht Spahn nun, das EuGH-Urteil zu umgehen. Ob der aber die SPD und dann die EU-Kommission überzeugt, ist offen.

„Gegen alle Widerstände“

Solche Kämpfe kennt Walter Oberhänsli. Sie haben den Mann mit dem Einstecktuch zu dem gemacht, was er heute ist. So fand er erst keinen Apotheker. Steckborn schien nicht lohnenswert, auch weil Ärzte in der Schweiz Medikamente selbst an Patienten abgeben dürfen. Ein Kartell der Pharmaunternehmen diktierte die Preise. Aber er wollte diese Apotheke. „Wenn ich auf Widerstände stoße, denke ich, das hat doch einen Grund“, sagt er. „Die haben etwas zu verteidigen und damit zu verlieren.“ Ein für ihn eigentlich nicht so schöner Charakterzug sei dann zum Tragen gekommen: „Meine Sturheit. Ich habe mich in diese Idee verliebt.“ Vier Jahre seines Lebens sei er herumgerannt. „Wie ein Getriebener. Gegen all diese Widerstände.“

Verbündeter im Kampf gegen das Kartell wurde sein Hausarzt. Mit ihm und 20 weiteren Ärzten, die sich Preise nicht mehr diktieren lassen wollten, gründete er 1993 „Zur Rose“, benannt nach seinem Haus. Die Apotheke öffnete. Einzig die Pharmakonzerne wollten nicht liefern. Sein ehemaliger Jura-Professor, ein Kartellrechtler, aber war von der Idee begeistert und schrieb ihm ein Gutachten. Eine dicke Klageschrift beendete das Kartell. Ein Großhändler mit heute mehr als 1000 Mitarbeitern war geboren. 2017 geht „Zur Rose“ an die Börse.

Einmalige Chance für den CEO

Der Umsatz liegt bei 1,2 Milliarden Euro. Um mehr als 23 Prozent ist man 2018 gewachsen; in Deutschland um 39 Prozent. Zukäufe folgten in Spanien, Frankreich und Deutschland. Amazon gilt als Interessent. „Es geht uns um die Marktführerschaft“, sagt Oberhänsli. Noch warten Aktionäre auf Gewinne. 2020 könnten Spahns Pläne für das E-Rezept aber der Durchbruch für „Zur Rose“ sein. Der aufwendige Postweg für Rezepte fiele weg. Für den CEO eine Chance, „wie man sie nur einmal im Leben bekommt“.

Nur 1999 und 2015 hatte er Respekt, sich zu übernehmen. Da sah er die noch leeren Lagerhallen im schweizerischen Frauenfeld und holländischen Heerlen bei DocMorris. „Beides Mal dachte ich, jetzt sind wir übergeschnappt!“ So sucht er immer wieder Erdung. Mal in seiner renovierten, schwarzen Stube aus dem Jahr 1420 in Steckborn. Mal auf Ibiza. „Da besitze ich so einen ‚Steinhaufen‘“, sagt er. „Der ist meine maximale Reduktion. Einfachstes Bauernhaus. Holzdecke. Weiße Wände. Keine Möbel. Nichts. Asketisch. Das gibt mir etwas.“

Dies ist ein Artikel aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.









 

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