Oliver Fiechter im Mittelstandsporträt - Der Demaskierer

Kaum ein Markt wurde 2020 so umkämpft wie der für Anti-Corona-Masken. Der Schweizer Oliver Fiechter hat als Zwischenhändler viel Geld damit verdient, bevor er selbst in die Herstellung einstieg. Ein cleveres Lizenzmodell ermöglicht es ihm, kostengünstiger als die Konkurrenz zu produzieren.

Seine Geschäftsidee kam Oliver Fiechter wegen seines schlechten Gewissens / Katharina Lütscher
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Die gute Idee kam Oliver Fiechter wegen eines schlechten Gewissens. Das war im Frühjahr 2020, als das neuartige Coronavirus die Welt auf den Kopf stellte und Ärzte, Pfleger, Politiker, Unternehmer, Angestellte, kurz: alle etwas suchten, das sie zumindest etwas schützen würde. Die Rettung kam aus China. Handschuhe, Kittel und vor allem Masken konnten dort in hohem Tempo produziert werden und die riesige Nachfrage vor allem in den westlichen Ländern bedienen. 

Es war eine teure Rettung. Oft waren die Produkte minderwertig hergestellt, mit gefälschten Zertifikaten versehen, verkauft zu Wucherpreisen. Es profitierten die Hersteller, die als Quasimonopolisten die Preise diktieren konnten. Es profitierten Spekulanten, Zwischenhändler, die teilweise ihre Produkte künstlich verknappten und so den Preis weiter nach oben trieben. Es ging bald nicht mehr um Masken und Handschuhe, sondern um Finanzprodukte und Optionen, nahezu ohne Aufsicht und Transparenz. Hier konnte man mit wenig Risiko schnell viel Geld verdienen. Und das völlig legal. Viele machten mit, nicht zuletzt deutsche Politiker, indem sie Provisionen fürs Vermitteln nahmen.

Fiechter gehörte dazu

Auch Oliver Fiechter war dabei. Der 49-Jährige aus St. Gallen ist gut vernetzt in der internationalen Wirtschaftswelt. Er ist Berater und Risikokapitalgeber und hat ein Schweizer Bankkonto. Das machte ihn prädestiniert, um auf diesem Markt mitzumischen. Auf seinem Laptop im Garten verdiente er mit ein paar Klicks viel Geld, wenn auch nicht ganz so viel wie andere. Doch zwei Gefühle wuchsen in ihm: Unbehagen, weil hier wenige ein gutes Geschäft machen mit Produkten, die oft nichts taugen, worunter dann sehr viele Menschen, in Krankenhäusern und Altenheimen, leiden – und auch die Umwelt durch die täglich um die Welt verschifften Güter. Und  es wuchs in ihm ein Eifer, verbunden mit der Frage: Was ist, wenn man all dem ein europäisches Modell entgegenstellt, wettbewerbsfähig im Preis, aber gleichzeitig sicher in der Versorgung und zuverlässig in der Qualität? Fiechter wurde schnell klar: Die Sache mit den Masken könnte „grandios groß“ sein, wirtschaftlich, ökologisch und technologisch. Also investierte er das als Zwischenhändler eingenommene Geld, um Leute wie ihn größtenteils überflüssig zu machen.

Der Einzelkämpfer aus der Schweiz war in seinem Leben „nicht eine Minute“ angestellt, hat aber auch keine große Firma gegründet. Wie will er einen weltweiten Markt für ein Massenprodukt mit riesigen Herstellern in Billiglohnländern disruptiv verändern? Ein Typ mit dichtem Vollbart und vielen Tattoos auf den Armen, der sich selbst als „Wirtschaftsphilosoph“ bezeichnet und aus dessen langem Wikipedia-Eintrag kaum zu entnehmen ist, was er eigentlich genau macht? Die Versuchung ist groß, ihn als Spinner abzutun. Einer, der mit „Konzepten“ und „Modellen“ um sich wirft, und so biedere Manager in mittelständischen Unternehmen beeindruckt.

Kein Management-Geschwätz

Aber Oliver Fiechter hat in kaum mehr als sechs Monaten 30 Mitarbeiter um sich versammelt. Die Nachfrage ist offenbar so riesig, dass er mehrere internationale Konzerne, aber auch mehrere Hospitäler schon zu seinen Kunden zählen kann. „Ich bin kein Maskenverkäufer, ich bin ein Systemlieferant“, sagt Fiechter. Schnell war klar: Um wettbewerbsfähig zu sein, muss er vollautomatisch produzieren. Er tat sich mit dem Dresdener Maschinenbauer Xenon zusammen, bestellte dort 100 Maschinen, die im Monat bis zu 100 Millionen Stück ausspucken können. Fiechter will unabhängig und damit nicht erpressbar sein in Sachen Rohstoffe, also bezieht er das Vlies vom südsächsischen Materialspezialisten Norafin.

Sein Schlüssel, um beim Preis mit den Chinesen mithalten zu können, lautet: Radikale Automatisierung, Dezentralisierung und ein cleveres Lizenzmodell. Fiechters Firma stellt Produktionspartnern die Maskenmaschinen zur Verfügung. Die Partner kaufen die Maschinen nicht, sondern zahlen pro produzierter Maske eine Gebühr an Fiechter. „Equipment as a Service“ heißt dieses Modell im Fachjargon. Der Kopiererhersteller Xerox praktiziert dies seit Jahrzehnten erfolgreich. Fiechter ist sicher: Das könnte ebenso mit Tampons oder Kontaktlinsen funktionieren. Dass sonst keiner die Idee hatte, Zwischenhändler so zu umgehen, die einem Produkt kaum Wert hinzufügen, aber viel rausholen, wundert ihn manchmal. Vielleicht, weil niemand ein schlechtes Gewissen hatte.

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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