Neustart der Bundesliga - In der Schweinsblase

Nach 66 Tagen Zwangspause wurde der Bundesliga-Spielbetrieb im Profifußball wieder aufgenommen. Obwohl die Spiele seriös und weitgehend diszipliniert abgewickelt wurden, war es ein absurdes Schauspiel. „ARD“ und „ZDF“ sollten sich überlegen, ob sie die Rechte weiterhin teuer bezahlen wollen.

Corona-Kulisse in Frankfurt beim Spiel gegen Borussia Möchengladbach / dpa
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Profifußball ist Teil der Unterhaltungsbranche. Er gehört in eine Reihe mit Zirkus und Varieté, Theater und Kino. Doch während diese aufgrund der Corona-Krise allesamt noch geschlossen sind, darf der Profifußball seit heute wieder ran – ran hieß einst eine Fußballsendung im Privatfernsehen. Dank einer bestens vernetzten Deutschen Fußball Liga und eines mitgliederstarken Deutschen Fußballbunds mahlten die Mühlen der Politik da schneller. Der Profifußball setzt Milliarden um, ohne Fernsehübertragungen hat er enorme Refinanzierungsprobleme. Während andere Bereiche der Unterhaltungsbranche sich auf ein Notprogramm vorbereiten, auf kleine Stücke, Kammerorchester und Monologe, gab es heute Vollkontaktsport, Grätsche und Zweikampf inklusive. Es war ein absurdes Schauspiel.

Rechtzeitig zum Neustart wies das Fachblatt kicker darauf hin: „Aktuell erhalten die Bundesligaprofis im Schnitt rund 239.000 Euro pro Monat. (…) Um auf das durchschnittliche Jahresgehalt der Bundesligaprofis von 2,86 Millionen Euro zu kommen, müsste Otto oder Emma Normalverbraucher über 77 Jahre arbeiten.“ Ein hohes Gehalt sei jedem Arbeitnehmer von Herzen gegönnt, es herrschen Vertragsfreiheit und Marktwirtschaft. Dennoch touchieren solche Beträge am Vorabend einer Rezession die Grenze zum Anstößigen. In der ARD-Sportschau heute wurde der britische Premierminister Boris Johnson mit dem Satz zitiert, ab 1. Juni seien im Vereinigten Königreich wieder Fußballspiele möglich, „zum Zweck der Fernsehübertragung“. In Deutschland gilt derselbe Begründungszusammenhang, nur wird er selten so deutlich ausgesprochen.

Die ARD als zahlender Auftraggeber des Spektakels

Ebenfalls im kicker bemühte Axel Hellmann, Vorstand des Erstligisten Eintracht Frankfurt, gleich viermal das Wort von der „Integrität des Wettbewerbs“, die es unbedingt zu wahren gelte. Damit wandte er sich gegen alle Überlegungen, die Saison aufgrund gesundheitlicher Bedenken abzubrechen; „Verlässlichkeit begründet den Kern der Integrität des Wettbewerbs. (…) Jedes sportliche Ergebnis ist besser als eine nichtsportliche Lösung“. Dennoch könnte die hiesige Dritte Liga demnächst abgebrochen werden, so wie schon der Spielbetrieb in Frankreich und in den Niederlanden eingestellt worden ist. In der Dritten Liga beginnt der Fußball, der mit dem Profifußball der beiden ersten Bundesligen nur die Regeln gemein hat und die Pausenbratwurst. Ansonsten sind es aufgrund der Rahmenbedingungen komplett unterschiedliche Veranstaltungen – und die Rahmenbedingungen gibt das Fernsehen vor und eben in nicht unerheblichem Ausmaß die beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten.

Die ARD war also heute nicht nur Berichterstatter, sondern auch einer der zahlenden Auftraggeber des Spektakels. Insofern war eine Fundamentalkritik am fragwürdigen Neustart nicht zu erwarten. Welcher Zirkusdirektor macht schon teuer eingekaufte Kunststücke madig? Der Ball rollte wieder ab 13h in der ersten, ab 15h30 in der zweiten Bundesliga. Zuschauer gab es nirgends, aber jede Menge Masken, Desinfektionsspray, Kameras und Mikrofone. Das erste Corona-Tor schoss Jae-Sung Lee für Holstein Kiel in der Partie bei Jahn Regensburg, die dann 2-2 endete. Ein Tor für die Geschichtsbücher? Eher nicht. Im Oberhaus überraschten wenig später die Dortmunder mit einem klaren 4-0 im Derby gegen Schalke 04 und die dauerkriselnde Hertha aus Berlin mit einem 3-0 bei der TSG Hoffenheim. Der Reporter hatte zuvor von „Einsamkeit in Sinsheim“ berichtet, der ARD-Mann in Düsseldorf sprach von „gewöhnungsbedürftigen Umständen“, ein Schalke-Fan gab am Tag des Derbys zu Protokoll, „es kribbelt nicht wie normal.“

Ordner, die eine leere Kurve allein bewachten

Ganz anomal war auf jeden Fall die Soundkulisse. „Man hört jeden Schlag, jedes Foul“, nicht nur in Sinsheim. Das Schreien im Zweikampf war sein eigenes Echo, der Ball klatschte dumpf und laut ans Aluminium, die Rufe drangen aus dem leeren Rund ins Wohnzimmer. Der Bolzplatz war akustisch zurück, die Schreckensvision von Vorstand Hellmann, die er für den Fall eines Abbruchs skizzierte, wurde als Geräusch schon Wirklichkeit. Da agierten tatsächlich hochbezahlte Profis, und es klang wie beim „Kick mit der Schweinsblase auf dem Dorfsportplatz“.

Und was sah man? Spieler, die fast alle auf umarmenden Torjubel verzichteten, wie es die Deutsche Fußball Liga (DFL) empfohlen hatte; Betreuer und Trainer, die Masken trugen, wenn auch nicht am Spielfeldrand; Ersatzspieler, die in gehörigem Abstand voneinander auf der Tribüne statt auf der Bank saßen; Ordner, die eine leere Kurve allein bewachten. Es war, alles in allem, eine sehr disziplinierte Veranstaltung, die dem „Milliardenpublikum auf der ganzen Welt“ (Karl-Heinz Rummenigge vom FC Bayern) gezeigt haben dürfte, dass den Deutschen ihr Organisationstalent und ihre Disziplin nicht ganz abhanden kamen.

Vorzugsbehandlung für Fußballer

Wäre da nicht die Skandalnudel aus der Hauptstadt gewesen. Die Spieler von Hertha BSC jubelten und herzten sich bei ihren drei Toren hemmungslos, als befänden sie sich gerade auf einer Hygiene-Demo. Auf das sorglose Verhalten befragt, erklärte Torschütze und Kaderveteran Vedad Ibisevic, „Emotionen kann man nicht verstecken.“ Es handelte sich dabei um die dümmstmögliche Antwort, wodurch die Hertha ihren Spitzenplatz in der Champions League der Abgehobenen souverän festigte. Anderen Spielern gelang es bekanntlich, ihre Emotionen zu zügeln, selbst dem Karlsruher SC, der am Abgrund der zweiten Bundesliga steht und einen überraschenden Heimsieg gegen Darmstadt einfuhr. Berlin aber – wir erinnern uns an das Skandalvideo des mittlerweile ehemaligen Hertha-Stürmers Salomon Kalou – war schon mit der korrekten Umsetzung der Hygienebestimmungen in der Umkleidekabine überfordert: ein hoffnungsloser Fall.

Was wird bleiben vom ersten Geisterspieltag, dem acht weitere bis Ende Juni folgen sollen? Der Wettbewerb ist gewährleistet, es gab keine Resultate von himmelschreiender Unwahrscheinlichkeit. Das Risiko spielt mit und ist nur durch weiterhin massenhafte Tests klein zu halten. Fußball ohne Fans versprüht weniger Emotionen und verführt seltener zu schauspielerischen Einlagen. Die Profis haben ihren Part meistens seriös erfüllt. Dennoch ist und bleibt es eine Vorzugsbehandlung, solange viele andere Unterhaltungskünstler ihren Beruf zur gleichen Zeit nicht ausüben dürfen. Und schließlich: Wenn das nächste Mal über ein Rechtepaket für die ersten beiden Profiligen verhandelt wird, sollten ARD und ZDF sich zurückhalten. Auch ein noch so beliebter Volkssport gehört nicht zur Grundversorgung.

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