CDU-Politiker - „Nachhaltigkeit ist nicht im Dauerbewusstsein meiner Partei“

Der CDU-Umweltpolitiker Rüdiger Kruse kritisiert die Grünen als zu dogmatisch, würde aber lieber mit ihnen koalieren als mit der SPD. Von seiner Partei fordert er Nachhaltigkeit als „kategorischen Imperativ“ für alle Gesetze. Dafür brauche es nicht weniger als einen Planungsstab im Kanzleramt

Zielkonflikte: Umweltschutz auf Kosten von Arbeitsplätzen? / picture alliance
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Herr Kruse, als Umweltpolitiker in der Union sieht es so aus, als könnten Sie sich derzeit mehr Gehör verschaffen als bislang. Jetzt dreht sich aber wieder alles um die SPD. Ärgert Sie das?
Ich habe Frau Nahles nicht zum Rücktritt gezwungen. Aber das Thema Nachhaltigkeit ist keine Eintagsfliege.
 
Die anhaltende Kritik an Ihrer Partei infolge des Rezo-Videos könnte man auch als nachhaltig bezeichnen. Haben Sie sich über den Youtuber eigentlich gefreut?
Ich habe mich insofern darüber gefreut, dass eine knappe Stunde reiner Text, in die Kamera gesprochen, so viele Menschen erreicht. Und das entgegen dem Klischee, alles über zweieinhalb Minuten würde sofort weggeklickt.
 
Aber Rezo kritisierte vornehmlich Ihre Partei.
Ich kann damit leben, wenn jemand „CDU-Dullis“ sagt. Ich weiß, wie das in etwa gemeint ist. Aber es hätte mich natürlich viel mehr gefreut, wenn er herausgestellt hätte, wie viele Dinge wir bereits umgesetzt haben. Aber das Leben ist kein Ponyhof. Er äußert fundamentale Kritik und damit müssen und werden wir umgehen.
 
Sie haben kein Youtube-Video gedreht, aber bereits im April dieses Jahres eine Art Weckruf an Ihre Fraktion verschickt. Darin kritisierten Sie, dass sich die Union insbesondere beim Thema Klimaschutz in einer Position der Schwäche befinde. Darum forderten Sie, Nachhaltigkeit zum “kategorischen Imperativ” für alle Politikfelder zu machen. Hört Ihre Partei lieber auf Youtuber, als auf mahnende Parteikollegen?
Die Union hat das Thema Umwelt immer wieder adressiert. Initiativen zum Waldsterben und zur Gewässerreinhaltung sprechen für sich. Die Klimakanzlerin kommt aus unseren Reihen. Aber trotzdem ist Nachhaltigkeit nicht im Dauerbewusstsein meiner Partei. Beim Thema soziale Marktwirtschaft ist uns das hingegen gelungen. Niemand in der Union will Umweltzerstörung oder Artensterben, aber wir betrachten die Felder zu vereinzelt. Es ist aber wichtig, dass gerade die Union im Sinne der Wortbedeutung die drei Bereiche Wirtschaft, Soziales und Nachhaltigkeit vereint.

Rüdiger Kruse (CDU)

Das klingt so, als könnten Sie Jamaika ohne Probleme parteiintern realisieren.
Wir sind eine Volkspartei. Es ist unsere Aufgabe verschiedene Gesellschaftsströmungen zusammenzufassen. Reine Klimaschutzpolitik funktioniert gesellschaftlich nicht. Sie müssen die anderen Bereiche mitdenken. Das bedeutet keine Schwächung des Klimaschutzes, sondern ermöglicht ihn, weil dann eben alle mitziehen.
 
Bezogen auf das Erreichen der CO2-Ziele, wie nachhaltig war die plötzliche Kehrtwende der Bundeskanzlerin beim Atomausstieg nach Fukushima?
Das Erreichen der Klimaziele würde es natürlich erleichtern, wenn wir die Atomkraftwerke länger laufen lassen würden. Aber nachhaltig wäre das nicht. Die Endlagersuche gestaltet sich schon jetzt ungeheuer schwierig. Ich habe deshalb damals schon gegen die Laufzeitverlängerung gestimmt.
 
Gerade die drei von der Union geführten Ministerien für Landwirtschaft, Verkehr und Bau werden dazu beitragen müssen, die CO2-Ziele zu erreichen. Warum halten die sich nicht an den von Ihnen geforderten, nachhaltigen „kategorischen Imperativ“?
Sie müssen Julia Klöckner, Andi Scheuer und Horst Seehofer nicht davon überzeugen. Sehen Sie sich allein die Initiativen von Andi Scheuer im Verkehrsbereich an. Er kämpft aktuell gegen SPD-Scholz für die Finanzierung der Verkehrswende.
 
Wenn alles so gut aussieht, warum dann überhaupt Ihre Forderung?
Es ist gut, dass die Unionspolitiker in den einzelnen Themen in die richtige Richtung laufen. Aber ihr jeweiliges Umfeld stimmt eben in puncto Ausstattung, Tempo und Koordination noch nicht. Ich möchte, dass das Thema Nachhaltigkeit wie von mir beschrieben als eine Klammer quer zu allen Ressorts geschaffen wird. Und die Koordination dafür gehört ins Bundeskanzleramt. Ebenso wie schon die Themen Integration und Digitales. Wir befinden uns durch Globalisierung, Digitalisierung und Klimaerwärmung in einem Zeitalter von massivem Strukturwandel. Nachhaltigkeit ist also das Thema Nummer eins, und die Kanzlerin bestimmt die Richtlinien der Politik.
 
Bislang bleiben die Staatsministerinnen für Digitales und Integration aber den Beweis noch schuldig, wie sinnvoll diese Art von Struktur im Kanzleramt ist. Was macht Sie so sicher, dass ein Staatsminister oder eine Staatsministerin für Nachhaltigkeit keine symbolhafte Position ohne wirkmächtige Befugnisse ist?
Es ist entscheidend, dass wir zeigen, dass das Thema Chefsache ist. Aber natürlich müssen wir dann beweisen, dass wir damit wirksam sind. Sonst könnte man auch ein riesiges Nachhaltigkeitsministerium schaffen. Dann wären wir aber die nächsten drei Jahre damit beschäftigt, nach Räumen und Personal zu suchen und die anderen Ministerien aufzubringen. Wir müssen aber jetzt beginnen, um Klimaneutralität zu erreichen.
 
Die Bundesregierung verfügt über eine Bundesumweltministerin. Ähnlich wie dem Finanzminister, könnte man ihr doch ein Vetorecht für alle Gesetze einräumen. Warum nicht Svenja Schulze als quasi fleischgewordener kategorischer Imperativ?
Umwelt ist eben nur ein Aspekt von dreien. Der Finanzminister hat dieses Recht, weil er das Geld verteilt. Wenn wir jetzt damit anfangen, auch anderen Ressorts ein Vetorecht einzuräumen, dann endet das in einem Konkurrenzkampf zwischen allen Ministerien. Wir brauchen eine Koordinierungsfunktion eine Ebene darüber, eine Art Planungsstab.
 
Haben Sie Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer Ihre Idee schon einmal unterbreitet?
Ich habe mit beiden gesprochen. Und beide sind an dem Thema Nachhaltigkeit, anders als derzeit der Eindruck erweckt werden mag, sehr interessiert.
 
Wir leben in äußerst unsicheren großkoalitionären Zeiten. Wird die Union demnächst unter grünen Lehrmeistern in Sachen Umweltschutz für Wirtschaft und Soziales kämpfen müssen?
Die Grünen wären überhaupt keine guten Lehrmeister, weil sie viel zu dogmatisch sind. Der Europa-Wahlkampf war ein reiner Smiley-Wahlkampf, wie ihn nur eine Partei führen kann, die nicht in Regierungsverantwortung steht. Wenn ich gut situiert lebe, kann ich natürlich gut damit leben, wenn die Milch plötzlich das doppelte kostet.
 
Die Behauptung, nur elitäre, urbane Gutverdiener würden die Grünen wählen, ist kaum zu halten. Die Grünen schicken sich an, zur neuen SPD zu werden. Vielleicht wären die ja der bessere Koalitionspartner?
Es ist tatsächlich die Frage: Wie ergänzt sich das? Ich war 2013 sehr enttäuscht, dass sich die Grünen gegen eine schwarz-grüne Koalition entschieden haben und sich in ihre Teestube zurückgezogen haben.
 
Bezogen auf die derzeitigen Wahlergebnisse und Umfragen war dieser Gang in die Teestube aus machtpolitischer Perspektive aber offensichtlich die richtige Entscheidung.
Ok, das kann man so sehen. Aber es geht doch darum: Wie schnell bekommen wir dieses Land nachhaltig organisiert. Das waren wichtige Jahre, in denen man die Weichen zu einer funktionierenden Energiewende sehr viel besser hätte stellen können als mit der SPD. Es ist nicht die Aufgabe von gewählten Politikern zu schauen, was für ihre Wahlergebnisse in vier Jahren am besten ist, sondern welche Koalition jetzt gut für unser Land ist. Auch wenn die Große Koalition viel auf den Weg bringt, sie bildet gesellschaftspolitisch nicht ab, was die Mehrheit im Land will. Jamaika wäre ebenfalls schwierig geworden, aber es hätte uns sehr viel mehr nach vorne gebracht.
 
Also wünschen Sie sich ein Ende der Groko?
Ich erwarte von einer gewählten Regierung, dass sie arbeitet. Wir haben diesen Wählerauftrag und einen Koalitionsvertrag. Wir müssen den Kohleausstieg in diesem Jahr durchs Parlament bringen. Im September stehen die Haushaltsberatungen an. Ich will einen Haushalt, der den Nachhaltigkeitsprinzipien entspricht. Ja, die Situation der SPD ist schwierig, aber die Abgeordneten sind gewählt, um ihre Arbeit zu machen. Durch Neuwahlen würden wir viel Zeit verlieren.
 
Glauben Sie wirklich, dass die Groko noch starke zwei Jahre hält?
Wenn die Koalition zerbricht, schrecke ich auch nicht vor Neuwahlen zurück. Aber das ändert nichts daran, dass wir uns jetzt im Juni befinden und jetzt handeln müssen, um Deutschland nachhaltig zu machen.

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