Vorläufiger Insovenzverwalter Michael Jaffé - Der Scherbenfeger bei Wirecard

Wirecard wird aus dem Dax fliegen und der vorläufige Insolvenzverwalter Michael Jaffé soll retten, was zu retten ist. Schon oft hat der Fachanwalt für Insolvenzrecht bewiesen, dass er durchgreifen und mit Skandalfirmen umgehen kann. Nur was wird von Wirecard bleiben?

Auf Michael Jaffé wartet eine Mammutaufgabe / dpa
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Nils Wischmeyer ist freier Finanz- und Wirtschaftsjournalist beim Journalistenbüro dreimaldrei

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Als Michael Jaffé einen ersten Blick in die Bücher wagte, ging es bei Wirecard drunter und drüber: 1,9 Milliarden Euro vermisste der Konzern mit Sitz in Aschheim, ein Ex-Vorstand war untergetaucht, und bei vielen Geschäften des Konzerns war plötzlich unklar, ob sie existieren oder nur Luftnummern waren. Der Aktienkurs fiel um mehr als 90 Prozent, und plötzlich stand die Frage im Raum, ob Wirecard diesen Bilanzskandal überhaupt überleben kann.

Während die Staatsanwaltschaft mittlerweile gegen aktive und ehemalige Manager ermittelt, ist Michael Jaffé bei Wirecard dafür zuständig, das Chaos zu ordnen. Er wurde vom Amtsgericht München zunächst als Gutachter, dann als vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Als solcher kämpft er sich seit Wochen durch die teils chaotisch geführten Unterlagen des Konzerns, muss am Ende so viel Vermögen und Arbeitsplätze wie möglich sichern. Kurz: Jaffé muss retten, was zu retten ist.

Jaffé weiß, wann Härte gefragt ist

Michael Jaffé (2002) / dpa

An Expertise mangelt es dem 57-Jährigen nicht. Seit Jahrzehnten gehört er zu den Top-Insolvenzrechtlern in Deutschland, wird gern gerufen, wenn einer großen Firma der Kollaps droht. Längst ist er eine eigene Größe der Wirtschaft, eine aber, über die man wenig weiß. Die Aufmerksamkeit sucht er selten, es existieren von ihm nahezu nur Paparazzi-Fotos. Fit halten soll er sich, indem er boxt, und Menschen, die ihn von früher kennen, bescheinigen ihm, „clever“ zu sein und zu wissen, wann Härte gefragt ist – und dann auch durchzugreifen.

Seine Karriere begann er nach dem Studium in München und Regensburg, bereits 1993 machte sich Jaffé selbstständig. Der große Durchbruch kam, als er im Jahr 2002 als Insolvenzverwalter für das Medienimperium von Leo Kirch bestellt wurde. Das verschachtelte Firmenkonstrukt des Film- und Fernsehmoguls wickelte Jaffé jahrelang ab, er erhielt Tausende Arbeitsplätze und zahlte nahezu 40 Prozent der Forderungen an die Gläubiger aus – eine ungewöhnlich hohe Quote. Auch bei anderen prominenten Fällen tauchte Jaffé mit seiner Kanzlei auf, beispielsweise als der Spielzeughersteller Nici, der Wohnwagenhersteller Knaus Tabbert oder der Chiphersteller Qimonda in den vergangenen Jahren in Schieflage gerieten.

Mit Skandalfirmen weiß Michael Jaffé umzugehen. Das zeigt auch seine jüngste Arbeit im Fall P&R. Tausende Privatanleger hatten Schiffscontainer des Konzerns gekauft, die dieser dann mietete und nach einigen Jahren zurückkaufte. Im Frühjahr 2018 musste P&R Insolvenz anmelden, Jaffé sollte für Ordnung sorgen. Statt 1,6 Millionen fand er gerade einmal 600 000 existierende Container – ein gigantischer Anlegerskandal, bei dem rund 3,5 Milliarden Euro auf dem Spiel stehen. Mehr als 50 000 Anleger musste Jaffé koordinieren. Die Gläubigerversammlung hielt er notgedrungen in der Olympiahalle in München ab. Dort, wo sonst Rockstars ihre Lieder zum Besten geben, redete Jaffé vor 2500 Gläubigern, die ihm immer wieder applaudierten, dem Mann, der ihr Geld retten sollte. „Menschen an die Hand nehmen und sie führen“, so erzählt es einer, der ihn aus dem Fall kennt, „das kann er sehr gut. Das ist sicherlich eine Stärke.“

Eine Mammutaufgabe

Am Sitz von Wirecard in Aschheim erwartet Jaffé nun die nächste Mammutaufgabe, deren Ausmaß noch gar nicht abzuschätzen ist. Rund 1,9 Milliarden Euro, die wohl nie existierten, stehen in der Bilanz von Wirecard, Kredite in Millionenhöhe bei diversen Banken aus, und Anleger, die viel Geld verloren haben, werden wohl versuchen, den Verlust zu erstreiten.

Im ersten Schritt muss Michael Jaffé den Konzern stabilisieren und dabei penibel darauf achten, dass das Unternehmen genug Liquidität behält, um weiterarbeiten zu können. Immerhin stehen neben den Forderungen der Gläubiger auch fast 6000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Und als wäre das nicht schon aufwendig genug, waren bei Wirecard mutmaßlich aktive wie ehemalige Manager in die Tricksereien eingebunden. Jaffé muss entsprechend aufpassen, dass in dem komplizierten, weltweit verzweigten Firmengeflecht niemand klammheimlich Unterlagen verschwinden lässt, die später noch wichtig werden könnten.

Wird Michael Jaffé schließlich als endgültiger Insolvenzverwalter benannt, könnte er in einem zweiten Schritt die lukrativen Teile von Wirecard verkaufen, darunter etwa die USA-Sparte. Firmen, die ein Auge auf die gesunden Teile des Zahlungsdienstleisters werfen, gibt es dem vorläufigen Insolvenzverwalter zufolge genug. Bereits Anfang Juli verkündete er, dass es mehr als 100 Interessenten für das Kerngeschäft und gesunde Teile von Wirecard gebe. Was am Ende aber übrig bleibt von dem einst so gefeierten deutschen Konzern, das wird sich erst zeigen, wenn Jaffé die Scherben zusammengefegt hat.

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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