Maut-Minister Andreas Scheuer - „Just shut up, man!“

In der Maut-Affäre um den CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer vergessen einige aus lauter Verzweiflung inzwischen ihre Manieren. Tatsächlich müsste sich die Wut der Opposition auch gegen die Bundeskanzlerin richten. Sie entfernte Minister schon wegen weit weniger teurer Verfehlungen.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vor dem Maut-Untersuchungsausschuss / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Die politische Front, an der aktuell am schmutzigsten gekämpft wird, verläuft zwischen CSU und FDP. Erst Mitte der Woche verkündete Markus Söder in einem Interview mit der Schwäbischen Zeitung, dass die Grünen denkbare Koalitionspartner seien. Die Liberalen hingegen würden ein „hohes Maß an Unseriosität“ zeigen. Namentlich meinte er damit Wolfgang Kubicki, der bestimmte Corona-Auflagen für verfassungswidrig hält. Doch Unseriosität macht sich nun augenscheinlich sein Parteikollege, CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer, zu eigen. Im Kurznachrichtendienst Twitter verbreitete Scheuer am Morgen über den FDP-Politiker Oliver Luksic:

Wenn daraufhin der für gewöhnlich diplomatisch auftretende Alexander Graf Lambsdorff in Biden-Manier aus der Haut fährt und derart antwortet, müssen Wut und Verzweiflung schon besonders tief sitzen.

Erinnerungslücken und gegenseitige Bezichtigungen

Zugegeben, es war eine lange Nacht im gestrigen Untersuchungsausschuss zum Maut-Desaster, und Oliver Luksic gehört zu jenen, die dem Verkehrsminister seit Monaten das Leben wohl besonders schwer machen. Scheuer, so die Überzeugung vieler, habe ohne erkennbare Not Steuermillionenversenkt, weil er partout die Mautverträge mir der österreichischen Firma Kapsch und der deutschen Ticketfirma Eventim abschließen wollte, bevor der Europäische Gerichtshof über die Rechtskonformität entschieden hatte. Das Ende ist bekannt: Der EuGH lehnte das CSU-Konzept einer ausländerdiskriminierenden Maut in Deutschland ab. Den finanziellen Schaden tragen nun wir alle, denn Scheuer hatte eben nicht abwarten wollen. Doch es steht Aussage gegen Aussage:

Im Untersuchungsausschuss blieben Georg Kapsch, Chef des gleichnamigen österreichischen Unternehmens, und der CEO der Ticketfirma Eventim, Karl-Peter Schulenberg, nun bei Ihrer Schilderung, sie hätten Andreas Scheuer bei einem ohnehin umstrittenen Treffen während des Vergabeverfahrens angeboten, mit einer Vertragsunterzeichnung bis zur EuGH-Entscheidung zu warten. Dieses Angebot habe Scheuer aber direkt abgelehnt, weil die Maut „noch im Jahr 2020 eingeführt werden solle“. Sowohl im Bundestag, als auch im Untersuchungsausschuss blieben der CSU-Verkehrsminister und sein ehemaliger Staatssekretär Gerhard Schulz (inzwischen Vorsitzender der Geschäftsführung der Maut-Firma Toll Collect GmbH) bei ihrer Version des Treffens. Schulz kann sich angeblich an vieles nicht mehr so richtig erinnern. Scheuer sagt nach wie vor, es habe dieses Angebot von Kapsch und Eventim nicht gegeben.

Auch die Kanzlerin trägt Maut-Verantwortung

Was bleibt Scheuer auch übrig? Würde er das Gegenteil erzählen, müsste er umgehend zurücktreten. Denn damit würde er zugeben, dass er Parlament und Öffentlichkeit belogen hat. So, wie er sich jetzt verhält, bleibt ihm zumindest die Chance, sich noch bis zur Bundestagswahl im Amt zu retten. Doch Wut und Verzweiflung der Opposition sind nachvollziehbar. Immerhin wurde ein CSU-Minister wie Karl-Theodor von und zu Guttenberg einst wegen weit weniger für die Allgemeinheit kostspieliger Vergehen das berühmte „vollste Vertrauen“ von der Bundeskanzlerin ausgesprochen, um ihn anschließend zum Rücktritt zu bewegen.

Aber die Bundeskanzlerin steckt zumindest politisch selbst mit im Maut-Sumpf. Im Bundestagswahlkampf 2013 sagte sie: „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben“, zumindest keine, die die deutschen Autofahrer mehr belasten solle. Angela Merkel hat recht behalten: Mit ihr gibt es keine Maut. Aber es gibt dafür eine Belastung nicht nur für die deutschen Autofahrer, sondern gleich für alle deutschen Steuerzahler. Mit ihr gab es eine CSU, die dieses durch den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages für unrealistisch eingestufte Projekt mit ihrem Segen derart unseriös durchboxen durfte. In Zeiten von Corona-Neuverschuldungen scheinen die nun fälligen Steuermillionen mickrig. Aber sie sind es nicht. Lange vor der Pandemie hätten sie etwa in die Digitalisierung von Schulen oder in Laptops für Lehrer investiert werden können. Beim Homeschooling für ihren Verkehrsminister jedenfalls hat sie bislang offensichtlich versagt. Aber wie sagte die Kanzlerin neulich bei einer Pressekonferenz: „Man lernt ja immer dazu“.

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