Bundesweite Maskenpflicht bleibt - Der Konsumkiller

Ganze 24 Stunden hat Deutschland über das Für und Wider der Maskenpflicht im Einzelhandel diskutiert, nachdem Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsminister Harry Glawe (CDU) deren Abschaffung gefordert hatte. Dass es zu dieser Symbol-Diskussion gekommen ist, hat einen einfachen Grund.

Feindbild des Einzelhandels / dpa
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Was Harry Glawe da am Wochenende in der Welt am Sonntag zur Maskenpflicht zum Besten gab, nennt man im politischen Geschehen einen Testballon. Man lässt ihn aufsteigen, einfach um zu schauen, wie weit er wohl fliegen wird, ob der Wind gut steht. Dabei nimmt man in Kauf, dass er sich womöglich gleich in einem Strommasten verheddert, platzt oder einfach wieder auf die Erde zurück sinkt. Gleich mehrfach ließ sich der CDU-Gesundheitsminister von Mecklenburg-Vorpommern zitieren: „Ich kann die Ungeduld des Handels sehr gut nachvollziehen, die Maskenpflicht abzuschaffen“, „Wenn das Infektionsgeschehen so gering bleibt, sehe ich keinen Grund, länger an der Maskenpflicht im Handel festzuhalten“ und „wir versuchen, für alle norddeutschen Bundesländer eine einheitliche Regelung hinzubekommen.

Noch lieber wäre mir ein bundesweites Ende der Maskenpflicht im Handel“. Schon Anfang August zur Kabinetts-Sitzung in Schwerin, mitten in den Sommerferien in Meckpomm, geht Glawe davon aus, dass ein Ende der Maskenpflicht beschlossen würde. Der Testballon von Schwerin, man sah ihn bis nach Berlin. Ganz Deutschland diskutierte plötzlich wieder pro und contra Maskenpflicht.

Widerspruch von der eigenen Ministerpräsidentin

Doch nur wenige Stunden nach seiner Ballonfahrt ist Harry Glawe einigermaßen unsanft gelandet. Widerspruch von der eigenen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. In einer gemeinsamen Konferenzschaltung der Landesgesundheitsminister mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wurde beschlossen, die Maskenpflicht in ganz Deutschland beizubehalten.

Von „Einigung“ war sogleich die Rede, was darauf schließen lässt, dass es Streit, zumindest aber Uneinigkeit gegeben haben muss. Im Bundesgesundheitsministerium war man ungehalten bis irritiert, sowohl über den Glawes-Vorschlag als auch über das Wording von der Einigung. Es habe keine Einigung gegeben, hieß es noch am Abend aus dem BMG, die Maskenpflicht gelte, und dies sei unstrittig, von keinem der Gesundheitsminister in Zweifel gezogen worden.

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Glawe, der personifizierte Zielkonflikt

Verantwortlich für Tourismus, Wirtschaft und Gesundheit: Herr Glawe /
dpa

Bis auf Harry Glawe offenbar, was auch nicht verwundert. Denn sein Ministeriumszuschnitt in Mecklenburg-Vorpommern weist ihm nicht nur den Gesundheitsbereich zu. Glawe ist Minister für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit und damit in Sachen Corona der personifizierte Zielkonflikt. Gesundheitliche Interessen zur Pandemie-Eindämmung stehen den Interessen, etwa des Einzelhandels oder des Tourismussektors, entgegen.

In keinem anderen Bundesland wird das Gesundheitsressort mit dem Wirtschaftsressort in dieser kuriosen Personalunion geführt. Hinzu kommt, dass Glawe bereits von 2011 bis 2016 Minister für Wirtschaft, Bau und Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern gewesen ist. Es liegt durchaus nahe, dass ihm das sprichwörtliche Hemd näher als die Hose ist. Wie aber kommt ein Minister dazu, ausgerechnet ein Ende der Maskenpflicht als heilsbringend für die darbenden Bereiche des Einzelhandels zu erklären?

Masken tragen nicht zum Komfort bei 

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Einzelhändler (HDE), Stefan Genth, erklärt auf Cicero-Nachfrage: „Die Maskenpflicht dämpft die Shoppinglust, das berichten viele Kundinnen und Kunden den Händlern.“

Das mache auch eine Umfrage des Instituts für Handelsforschung aus Köln deutlich. Demnach würden rund die Hälfte der Befragten angeben, ohne die Maskenpflicht mehr Lust am stationären Einkauf zu haben (52 Prozent), vermehrt in Geschäften zu stöbern (50 Prozent) oder diese generell aufzusuchen (48 Prozent). Auch würden rund ein Drittel der befragten Konsumenten vermuten, ohne die Maskenpflicht mehr Produkte zu kaufen. Die Umfrage war allerdings nur eine Stichprobe unter 500 Online-Befragten und ist somit kaum repräsentativ. Dennoch, das Tragen von Masken dürfte tatsächlich kaum zum Komfort beim Shoppen beitragen.

Masken sind nicht der Hauptgrund

Konsumpsychologe Oliver Büttner / UDE

Oliver Büttner, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Universität Duisburg-Essen sagt zu Cicero: „Der Einzelhandel versucht, Konsum als durchweg positiv besetztes Erlebnis zu gestalten.“ Es gehe darum, Kunden möglichst lange in den Läden zu halten, um die Wahrscheinlichkeit eines Kaufs zu erhöhen. „Die Masken tragen auf jeden Fall dazu bei, dass das Einkaufserlebnis weniger positiv wahrgenommen wird“, sagt Büttner. Das fange beim erschwerten Ein- und Ausatmen an, gehe weiter über fehlende Mimik und damit weniger emotionale Ausdrucksfähigkeit bei Kunden und Verkäufern und ende bei schlechterem gegenseitigen Verstehen und Umständlichkeiten, etwa beim Umziehen in Modegeschäften.

Dennoch: „Die Masken sind aber mit Sicherheit nicht der Hauptgrund, weshalb Menschen derzeit weniger einkaufen gehen“, stellt Büttner klar. Andere Sorgen wie Kurzarbeit, Angst vor Arbeitslosigkeit, Zeitmangel aufgrund von Homeoffice und Kinderbetreuung oder einfach Angst vor einer Corona-Infektion dürften eine größere Rolle spielen.

Stefan Genth, HDE-Hauptgeschäftsführer /
HDE/Hoffotografen

Selbst der Handelsverbands-Geschäftsführer Stefan Genth sagt: „Die Abschaffung der Maskenpflicht wäre sicherlich nur ein kleinerer Mosaikstein, um wieder mehr Menschen zum Shoppen in die Innenstädte zu bringen.“

Sorge ums Einkommen 

Viele Verbraucherinnen und Verbraucher hätten in Zeiten der Coronakrise Sorge um ihre Arbeitsplätze und darum, wieviel Einkommen ihnen in den kommenden Monaten zur Verfügung steht. In der Folge würden sie ihr Geld eher zusammenhalten, als es beim Einkaufen auszugeben.

Der HDE-Geschäftsführer klingt beinahe milder als der Gesundheitswirtschaftsminister aus Meckpomm, wenn er zu Cicero sagt: „Die Maskenpflicht im Einzelhandel sollte fallen, sobald es gesundheitspolitisch sicher und verantwortlich erscheint. Wann das ist und in welchen Regionen das vielleicht zuerst passieren kann, müssen Politik, Wissenschaft und Medizin entscheiden.“ Ob und wie regionalisierte Maßnahmen vonnöten seien, müssten Fachleute gemeinsam mit der Politik entscheiden.

Maske als Symbol

Und die Politik hat offenbar verstanden, wie heikel die Maskenpflicht-Diskussion ist. Um zu begreifen, wie lückenhaft die Trage-Disziplin ohnehin ist, muss man sich nur auf Deutschlands Einkaufsstraßen oder in den ÖPNV begeben. Während viele Geschäfte ihre Kunden sehr deutlich auf die Pflicht hinweisen, gibt es längst auch viele, in denen man den Kunden augenzwinkernd gestattet: Ach, das brauchen Sie bei uns nicht.

Man wisse ja eh nicht, was das bringe. In der thüringischen Stadt Jena, die als allererste eine Maskenpflicht einführte, war allerdings laut Studien anschließend ein deutlicher Abfall der Infektionszahlen zu beobachten. Auch in anderen Städten scheint die Maskentragepflicht einen positiven Einfluss auf das Infektionsgeschehen zu haben. Die Masken, so viel ist trotz Tragekomfort- und Shoppingunlust-Problemen klar, sind das deutlich günstigere Mittel zur Eindämmung, als etwa ein erneut notwendig werdender Lockdown, sobald ein Hotspot entstehen würde – gerade für den Einzelhandel.

Ein Stück Stoff als Zeichen der Unnormalität

Die Diskussion um die Maskenpflicht scheint insgesamt eine symbolhafte zu sein. So unsichtbar das Virus ist, so sichtbar zeigt sich Unnormalität eben an dem kleinen Stück Stoff im Gesicht. Doch es wäre eine Illusion zu glauben, das Virus sei weg, sobald wir alle wieder unsere Masken absetzen. Solange wir sie tragen, ist zumindest die Wahrscheinlichkeit geringer, dass das Virus wieder flächendeckend grassiert.

Im Bundesgesundheitsministerium weist man darauf hin, dass gerade angesichts der vielen Lockerungen, angesichts der Urlaubs- und Reisezeit, aber vor allem angesichts der inzwischen höchsten Anzahl von Neuinfektionen weltweit seit Ausbruch der Pandemie die Ruhe in Deutschland eine trügerische ist. Vielleicht hat das nun auch Harry Glawe verstanden.

Shoppingunlust als Folge des Lockdowns 

Für den Einzelhandel gibt es bezüglich der Regelung zumindest Entwarnung vom Konsumpsychologen Büttner: „Sollte die Maskenpflicht nicht aufgehoben werden, wäre zumindest damit zu rechnen, dass auf Kundenseite eine Art der Gewöhnung eintritt und Sie trotzdem einkaufen gehen, schlicht weil bestimmte Dinge gebraucht werden“, sagt Büttner. Eines sei aber auch klar, und daran ändere wohl auch das Aufheben einer Maskenpflicht nichts.

Der Online-Handel bleibe gegenüber dem stationären Handel in Zeiten von Corona klar im Vorteil. Und ein weiteres Ungemach droht dem stationären Handel: Interessant würde außerdem sein, so Büttner, zu untersuchen, inwiefern sich der vorübergehende Lockdown auf das Thema Verzicht auswirken wird. „Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass einige Menschen feststellen, dass sie auch mit weniger Shopping leben können“, sagt Büttner. Zusammen mit einer  Forschungs-Kollegin aus Wien ist er gerade mit einer Studie gestartet, die diese Effekte untersuchen soll.

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