Luxemburg - Zum Steuerparadies verdammt

Schon oft musste sich Luxemburg neu erfinden. Doch auch nach den Leaks bleibt das kleine Land eine abhängige Steueroase – bis auf wenige Ausnahmen

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Trotz Steuerskandalen: Luxemburg bleibt Steuerparadies / picture alliance
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Christoph Bumb ist Journalist und Gründer des in Luxemburg erscheinenden digitalen Magazins Reporter.lu

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Wir leben seit 30 Jahren von Ausländern, die ihr Geld nach Luxemburg bringen. Deshalb können wir hier eine Sozialpolitik machen und Infrastrukturen bauen, die kein anderes Land fertigbringt.“ Selten hat ein Luxemburger den Kern des eigenen Erfolgsmodells so aufrichtig auf den Punkt gebracht wie der ehemalige Finanzminister Luc Frieden. Seine Worte stammen aus einer Parlamentsrede des Jahres 2005, als die damalige Regierung die Abschaffung der Vermögensteuer beschlossen hatte. Doch sie haben noch immer Gültigkeit.

Die Attraktion von ausländischem Kapital ist bis heute ein wichtiges Standbein des Geschäftsmodells des Großherzogtums. Das Bankgeheimnis, und damit das im Land gehortete Schwarzgeld aus aller Welt, ist zwar passé. Auch von den schwarzen Listen der OECD ist man mittlerweile verschwunden. Doch Luxemburg hat seine lukrative „Nischenpolitik“ längst diversifiziert. Die paradiesischen Zustände gelten heute vor allem für ausländische Unternehmen.

Strukturen der Steuervermeidung bleiben

Wie wirksam sich Konzerne über Briefkastenfirmen in Luxemburg einer Besteuerung ihrer Gewinne entziehen, enthüllten die sogenannten Luxleaks im Jahre 2014. Über den Weg von konzern­internen Darlehen oder Gewinnen aus geistigem Eigentum drückten Multis wie Amazon, Apple, Ikea oder Eon massiv ihre Steuerlast. Der von ihren Holdings effektiv gezahlte Steuersatz tendierte dank wohlwollender Unterstützung der hiesigen Steuerverwaltung mitunter gegen null. In der Hochzeit der luxemburgischen Steuervermeidungsindustrie winkte ein einziger Steuerbeamter am Tag Dutzende von zweifelhaften Vorbescheiden, sogenannte Tax Rulings, durch.

Seitdem sind einige Jahre vergangen und die heutige Regierung ist bemüht, das Image des Steuerparadieses hinter sich zu lassen. Man wolle nur noch Unternehmen mit wirtschaftlicher Substanz anziehen und trete für einen fairen Steuerwettbewerb ein, heißt die Devise. Die Realität sieht jedoch anders aus. Noch vor wenigen Wochen attestierte die Europäische Kommission Luxemburg eine „aggressive Steuerplanung“. Zwar habe das Land durchaus Fortschritte gemacht. Die nationale Gesetzgebung könne aber weiterhin für „Strukturen der Steuervermeidung“ genutzt werden.

Niedrige Steuersätze und gesetzliche Ausnahmen

Die Wirtschaft des 600 000-Einwohner-Staates bleibt denn auch in hohem Maß abhängig von den Aktivitäten des Finanzplatzes. Die Sociétés de participations financières, kurz Soparfi, machen fast die Hälfte aller in Luxemburg ansässigen Unternehmen aus. Diese rund 46 000 Beteiligungsgesellschaften sind weitgehend unreguliert und unter bestimmten Bedingungen von Steuerzahlungen befreit. Es fällt lediglich ein geringer Mindeststeuersatz an, der sich in der Addition der Firmen für den Staat durchaus lohnt. Auch die Bedeutung des Bankensektors ist ungebrochen. 136 Finanzinstitute waren 2018 in Luxemburg mit Niederlassungen registriert, darunter 25 deutsche Banken. Luxemburg gilt zudem mit einem verwalteten Anlagevermögen von über drei Billionen Euro nach den USA als zweitgrößter Standort für den Vertrieb von Investmentfonds. Auch hier spielt das fast unschlagbare steuerliche Umfeld eine entscheidende Rolle. Für institutionelle Fonds etwa fällt ein Steuersatz von nur 0,01 Prozent an.

Die Konsequenz dieser politisch geförderten Aktivitäten liegt auf der Hand. Durch niedrige Steuersätze und gesetzliche Ausnahmen strömten seit den 1980er Jahren etliche ausländische Unternehmen nach Luxemburg; ein Territorium von der Größe des Saarlands, von dem der aktuelle Außenminister Jean Asselborn einmal sagte: „Als kleines Land haben wir keinen Platz für so viele Häuser, deshalb haben wir so viele Briefkästen.“ Der Clou dabei: Eine minimale Besteuerung von einer im Vergleich mit Luxemburgs Größe sehr hohen Anzahl von steuerpflichtigen Entitäten zahlt sich letztlich für die Staatskasse aus. Dies stimmt umso mehr, wenn man die Ansiedlung der peripheren Buchhaltungs- und Beratungsindustrie in die Rechnung einbezieht. Die „Big Four“ PwC, Deloitte, EY und KPMG gehören zu den größten Arbeitgebern im Land.

Hoher Lebensstandard inklusive Sozialstaat

Der hohe Abhängigkeitsgrad von dieser Branche lässt sich leicht veranschaulichen: Fast ein Drittel aller Steuereinnahmen und allein drei Viertel des Aufkommens aus der Besteuerung von Unternehmen haben ihren Ursprung in Finanzdienstleistungen. In ähnlichem Maß treiben die auf Steuersparmodellen basierenden Wirtschaftszweige das Wachstum an. Je nach Berechnungsmethode macht der Finanzsektor bis zu 25 Prozent des BIP aus. Nicht zuletzt durch die Dynamik seines politisch gehegten Finanzplatzes hat sich das luxemburgische BIP seit 1985 mehr als verzehnfacht. Bis zur Finanzkrise 2007 wuchs die Wirtschaft im Schnitt um über 5 Prozent pro Jahr. Das BIP pro Kopf ist mit über 90 000 Euro knapp doppelt so hoch wie in Deutschland und sichert Luxemburg seit Jahren einen Platz in den weltweiten Top drei. Die Arbeitslosigkeit liegt aktuell bei unter 6 Prozent, der Staatshaushalt ist im Gleichgewicht und die Schuldenquote mit gerade einmal 23 Prozent des BIP die zweitniedrigste unter den EU-Staaten.

Gleichzeitig kann sich Luxemburg einen hohen Lebensstandard leisten, großzügiger Sozialstaat inklusive. „Wenn es dem Land gut geht, soll es auch den Menschen gut gehen“, sagte der liberale Premier Xavier Bettel nach seiner Wiederwahl im Oktober. Seine Regierung hat etwa angekündigt, ab März 2020 jegliche Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln kostenfrei zu machen. Die Kinderbetreuung soll ebenso bald komplett gratis sein. Der gesetzliche Mindestlohn wurde erhöht und beträgt aktuell über 2000 Euro im Monat. Ein gängiges Argument für das Fortbestehen der Steuernischen lautet demnach: Letztlich profitieren wir doch alle davon.

Keine Selbstkritik

Doch Luxemburgs Ruf als Finanzgroßmacht hat eine Kehrseite – vor allem die Tatsache, dass der Reichtum des Landes nur auf Kosten anderer entstehen konnte. Der französische Ökonom Gabriel Zucman geht in seinem Buch „Steuer­oasen“ allein für den deutschen Staatshaushalt von Einbußen in Höhe von mindestens 20 Milliarden Euro pro Jahr aus, die durch Steueroptimierung multinationaler Unternehmen über Staaten wie Luxemburg, Irland oder Malta verursacht werden. Doch auch im eigenen Land häufen sich die Kollateralschäden. Die Wohnungspreise sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten explodiert. Die Verkehrsinfrastruktur ist überlastet, nicht zuletzt wegen der täglich im Land zirkulierenden knapp 200 000 Grenzgänger aus Belgien, Deutschland und Frankreich. Den Sozialsystemen droht der Kollaps, falls sich das rasante demografische und wirtschaftliche Wachstum eines Tages verlangsamen sollte.

Im vergangenen Wahlkampf debattierte das Land über Möglichkeiten und Folgen einer Entschleunigung des Wachstums. Die hohe Abhängigkeit vom Finanzsektor spielt dagegen im politischen Diskurs keine herausragende Rolle. Enthüllungen wie Luxleaks werden nicht als Anlass zur Selbstkritik genommen, sondern als bewusste Attacken aus dem Ausland abgetan. Selbst linke Parteien haben sich mit den Exzessen der Steuervermeidung arrangiert. Auch in der Wissenschaft herrscht mehrheitlich eine affirmative Haltung vor. Systematische Forschung zu möglichen wirtschaftlichen Auswegen für den kleinen Staat aus dieser Abhängigkeit gibt es nicht.

Anrüchige Steuerparadies im Herzen Europas

Dabei ist die Perspektive eines tief greifenden Wandels des luxemburgischen Finanzplatzes seit Jahren real. Die auf EU- und OECD-Ebene vorangetriebene Steuerharmonisierung wird laut Experten früher oder später Folgen für Luxemburg haben. „Der globale Kontext hinsichtlich der Besteuerung von Unternehmen verringert immer mehr unseren Handlungsspielraum und droht der Attraktivität des Landes als Hort für internationale Konzerne zu schaden“, heißt es in einem aktuellen regierungsinternen Gutachten. Ein Beispiel ist die seit diesem Jahr geltende EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken (Anti Tax Avoidance Directive). Die Richtlinie nimmt einen Kern des Luxemburger Modells ins Visier: Briefkastenfirmen ohne wirtschaftliche Substanz.

Es ist aber nicht das erste Mal, dass sich das Land mit dem Nation-Branding-Motto „Let’s make it happen“ neu erfinden muss. Der Finanzplatz selbst ist das Ergebnis eines solchen Anpassungsprozesses. Bis vor nicht allzu langer Zeit basierte Luxemburgs Wirtschaft nämlich weniger auf Banken und Briefkästen als auf qualmenden Hochöfen. Erst die Stahlkrise der späten 1970er Jahre trieb die wirtschaftliche Diversifizierung voran. Aus dem einstigen stolzen Musterland der Stahlindustrie wurde erst über die Jahrzehnte das mitunter anrüchige Steuerparadies im Herzen Europas.

Neuer Vorstoß zur Diversifizierung

Die seitdem verfolgte „Nischenstrategie“ setzte jedoch nicht nur auf Finanzaktivitäten. Am Beispiel des weltweit führenden Satellitenbetreibers SES lässt sich erkennen, dass Luxemburg auch in anderen Branchen zu den First Movers gehören kann. Die ökonomische Realität des Landes ist durchaus divers. Der Sitz des größten Stahlkonzerns der Welt Arcelor-Mittal gehört dazu, ebenso wie die staatlich geförderten IKT- und Logistiksektoren. Große Betriebe aus der Automobilindustrie (Goodyear, Delphi) oder der Medienbranche (RTL Group, Amazon) sind hier ansässig – und zwar nicht nur mit Briefkästen, sondern mit Tausenden Angestellten.

Luxemburgs neuester Vorstoß zur Diversifizierung seiner Wirtschaft ist das Space Mining. Mehrere Firmen haben sich mit dem langfristigen Ziel der Nutzung von Rohstoffen aus dem Weltraum bereits im Großherzogtum angesiedelt. Inwiefern das Projekt Erfolg verspricht, lässt sich zwar noch nicht sagen. Doch der luxemburgische Staat investierte hier früher als andere und hofft wie in der Vergangenheit, aus diesem Vorsprung Kapital zu ziehen. „Als kleines Land müssen wir von Zeit zu Zeit etwas wagen“, drückt es der bei diesem Vorhaben federführende Wirtschaftsminister aus. Etienne Schneider betont als einer der wenigen Politiker stets den Willen, die Abhängigkeit seines Landes von den üblichen Finanzaktivitäten zu verringern. „Wir können kein Micky-Maus-Land sein, das nur einen Finanzplatz hat und Dienstleistungen anbietet“, lautet sein Credo. „Wir brauchen die Industrie, auch um nach außen als vollwertiges Land anerkannt zu werden.“

An Luxemburgs Geschäftsmodell ändert sich nichts

Bis sich diese Strategie auszahlt, vertraut aber auch die aktuelle Regierung weiter auf die sprudelnden Steuereinnahmen aus den Finanzdienstleistungen. Gleichzeitig bremst Luxemburg auf europäischer Ebene, wenn es um eine gerechtere Besteuerung von Konzernen geht. „Wir können uns keine Regeln geben, die unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit indirekt unser Wachstum bremsen“, sagte der Premier Xavier Bettel etwa im Zusammenhang mit den Plänen zur Einführung einer EU-Digitalsteuer. Als Gründungsmitglied der EU pocht Luxemburg gerne auf Einheit und Solidarität – nur nicht in Steuerfragen. Gleichzeitig verwahren sich seine politischen Vertreter regelmäßig gegen das vermeintlich unfaire Steuerparadies-Image.

Ob man es Steuerparadies, Wettbewerbsfähigkeit oder anders nennt: Luxemburgs Geschäftsmodell wird weiter auf jene „Ausländer, die ihr Geld nach Luxemburg bringen“ angewiesen sein. Seine Interessen verfolgt es nicht mehr ganz so offen und hemmungslos wie früher, aber dennoch zielstrebig. Um seinen rasant angewachsenen Wohlstand zu verteidigen, bleibt dem Kleinstaat mit dem großen Finanzplatz bis auf Weiteres auch nichts anderes übrig.

Dies ist ein Artikel aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten












 

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