Linke Zukunftspolitik? - Das Umverteilungsthema ist zurück

Was kommt nach dem Neoliberalismus? Wieder mal die alte linke Leier von der Kapitalimuskritik? Linke Wirtschaftspolitik muss investieren in die Zukunft und darf die Solidität nicht als Gegenargument führen. Es braucht einen linken Neo-Schumpeterismus, fordert unser Gastautor Nils Heisterhagen.

Wie wirtschafen wir in der Zukunft? / dpa
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Autoreninfo

Nils Heisterhagen ist Sozialdemokrat und Publizist. Zuletzt sind von ihm im Dietz-Verlag erschienen: „Das Streben nach Freiheit“ und  „Die liberale Illusion“.

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Der bekannte niederländische Intellektuelle Rutger Bregman schrieb im Mai dieses Jahres einen Grundsatztext über den Zustand des Kapitalismus. Der Text fiel mitten in die totale Ungewissheit der Corona-Krise, die im Mai tatsächlich die Systemfrage sehr realistisch erschienen ließ. Bregmans Text war überschrieben mit „The neoliberal era is ending. What comes next?“

Der Text handelt auch von Umverteilung, die nun gekommen sei, und spricht von den „drei gefährlichen französischen Ökonomen“, Thomas Piketty, Emmanuel Saez, Gabriel Zucman. Umverteilung und Ungleichheit also? Wieder die alte, ohnehin linke Leier? Mehr Kapitalismuskritik? Die politische Linke in den USA war mit Hillary Clinton zwar einem „progressiven Neoliberalismus“ (Nancy Fraser) erlegen und diese Denke hatte auch in Deutschland über Jahre sein Unwesen getrieben – zulasten der SPD und zugunsten der Grünen. In Frankreich brachte der „progressiven Neoliberalismus“ mit Macron und En Marche sogar eine ganz neue Partei hervor.

Das Umverteilungsthema ist zurück

Aber es ist nicht so als sei seit Hillary Clinton und Peer Steinbrück nichts passiert. Eine Linkswende war im Gang – bei der man mittlerweile eher fragen muss, ob sie zu weit geht. Mehr Steuern für Reiche ist doch neuer Dauersound bei der SPD und der linke Flügel der US-Demokraten rückte die Demokraten insgesamt nach links. Selbst Macron musste unter dem Eindruck der „Gelbwesten“ Luft aus seiner wirtschaftsliberalen Agenda lassen. Bald wird nun eine Keynesianerin US-Finanzministerin sein. Das Umverteilungsthema muss ein Intellektueller wie Bregman also gar nicht mehr herbeischreiben. Es ist längst zurück.

Weitgehend neu ist allerdings ein weiterer Ökonominnen-Name von der Bregman in seinem Text berichtet: Mariana Mazzucato. Und ihr, so erklärt Bregman es, ginge es nicht so sehr um Steuern und Umverteilung des Wohlstandes. Es ginge ihr um Wohlstandsschaffung. Wie kann das aber links sein? Schafft im Kapitalismus nicht der „Markt“ den Wohlstand?

Eine andere Geschichte der Innovation

In ihrem Buch „Das Kapital des Staates“ schlägt Mazzucato die Idee des „Unternehmerstaates“ vor. In ihrer Lesart trägt dieser zu einer Art schöpferischen Zerstörung bei und zwar durch staatliche Innovationsförderung. War für Joseph Schumpeter der Unternehmer ein Typus Mensch von besonderer Art, und würde dieser innovative Unternehmer mit neuen Technologien und disruptiven Geschäftsmodellen ganze Produktionsformen umgestalten und neu schaffen, und damit Schumpeters berühmte „schöpferische Zerstörung“ ursächlich auslösen, erzählt Mazzucato eine andere Geschichte der Innovation.

Anschaulich ließe sich das machen, wenn man in Apple-Gründer Steve Jobs das schumpetersche Idealbild das kreativen Zerstörers sieht. In ihrem Kapitel „Der Staat hinter dem IPhone“ zerrupft Mazzucato aber ein wenig das Heldenepos. Sie zeichnet dort nach, wie Basistechnologien, die heute das IPhone prägen, von staatlicher Forschungsförderung und militärischem Beschaffungswesen abhängig gewesen sind. In Mazzucatos linkem Neo-Schumpeterismus ist der Staat nicht primär ein Instrument, um die Risiken des globalen Kapitalismus abzufedern, und die Verlierer zu entschädigen, sondern der Staat „übernimmt Risiken und schafft damit neue Märkte.“ Mazzucato schreibt: „Ein Unternehmerstaat investiert in Bereiche, in die der private Sektor nie investieren würde, selbst wenn er die Mittel dazu hätte.“ Und so entwirft sie eine neue linke Erzählung: „Einem großen Teil der keynesianischen Linken fehlt eine Wachstumsagenda, die Reichtümer schafft und zugleich umverteilt. Sie wird möglich, wenn man die Lehren von Keynes und Schumpeter kombiniert.“

Wie sieht es in Europa aus?

Für die USA arbeitet sie vier Beispiele kluger Innovationsförderung heraus. Erstens die DARPA (die Defense Advanced Research Projects Academy der US-Regierung). Zweitens: SBIR (Small Business Innovation Research). Drittens: den Orphan Drug Act und viertens die National Nanotechnology Initiative. In Ergänzung zur DARPA ist zudem die ARPA-E zu nennen, eine Behörde des Energieministeriums, die die Rolle der DARPA für grüne Industriepolitik nachahmt.
Wie sieht es dahingegen mit so einem linken Neo-Schumpeterismus in Europa aus?

Erstens ist es um den allgemeinen Geist Schumpeters in Europa nicht gut bestellt – wie auch der junge Gründer Sam Ginn in der Neuen Zürcher Zeitung schrieb: „In Europa aber scheut man leider Risiken und verurteilt Scheitern als Schande. Bevor man hier überhaupt nach Investoren sucht, erarbeitet man einen ‚realistischen‘ Geschäftsplan – mit einem konkreten und umsetzbaren Ziel, so risikoarm wie möglich. Investoren wollen Gewinne sehen: von technologischen Höhenflügen wird abgeraten, Ideen zu neuen Geschäftsstrategien werden mit Hinweis auf bewährte Methoden ausgeredet.“ Staatliche Innovationsförderung kann aber schließlich nur zu Innovationen und monetarisierten Geschäftsmodellen führen, wenn sie durch mutige Menschen aufgegriffen wird.

Zweitens gilt es aber zu fragen: Was hat Europa von den Erfolgen US-amerikanischer Innovationsförderung gelernt? Durchaus etwas muss man hier sagen. In Schweden gibt es seit 2001 die „Vinnovia“. Eine Behörde für Innovation mit einem Jahresbudget von rund 300 Millionen Euro. Und Schweden schneidet bei Innovationen europaweit weit überdurchschnittlich ab. Nach Vorbild der DARPA wurde in Deutschland unlängst die Innovationsagentur SprinD mit Sitz in Leipzig gegründet, die genau das tun soll, was Mazzucato sich wünscht: Risiken eingehen und investieren, wo privates Venture-Kapital sich noch nicht traut und zudem als Ankerinvestor bei vielversprechenden Projekten agieren. In den kommenden zehn Jahren sollen SprinD rund eine Milliarde Euro zur Verfügung stehen. Außerdem hat Deutschland mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Fraunhofer, Max-Planck, Helmholtz, Leibniz) eine Art Innovationsnetzwerk, was ordentlich finanziert ist.

Bei digitaler Wettbewerbsfähigkeit weit abgeschlagen

Ein linker Neo-Schumpeterismus würde hier fordern, die Ausgaben für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen perspektivisch drastisch zu erhöhen. Warum nicht eine Verdopplung ihrer jährlichen Mittel mittelfristig anvisieren und die deutsche Forschungsförderung komplett neu aufstellen – inklusive mehr Staatsinvestitionen? Ebenso bei SprinD: Warum nur eine Milliarde in zehn Jahren? Warum nicht 5 Milliarden Euro in zehn Jahren? Oder 10 Milliarden Euro? Bis 2030 sollen in China 150 Milliarden Dollar in Künstliche Intelligenz investiert werden. Eine einzelne chinesische Stadt wie Shanghai will bis zum Jahr 2021 13 Milliarden Euro bereitstellen. Und wir wollen wirklich wegen ein paar Milliarden Euro kämpfen?

Deutschland ist zudem bei der digitalen Wettbewerbsfähigkeit weit abgeschlagen, hat eine schlechte Patent-Quote und zu allem Überfluss noch Nachwuchs-Probleme im MINT-Bereich (während China dort reüssiert), sehr schlechte Mathematik- und Naturwissenschafts-Kenntnisse von Schülern (laut aktueller TIMSS-Studie), und eine völlig verkorkste Digitalisierung der Schulen.

Linke Politik muss Zukunftsinvestor sein

Aber wir brauchen in Deutschland solide Staatsfinanzen – ja? Das muss Priorität haben? Das ist wirklich das Letzte, was Deutschland gerade braucht. Deutschland muss investieren. In Straßen, Breitband und Köpfe und Ideen. Vor allem in Köpfe und Ideen. Das Entscheidende im 21. Jahrhundert ist das Humankapital. Das Geldkapital gibt es im Überfluss – es sucht sich ja sogar mittlerweile negative Rendite, wie deutsche Staatsanleihen, weil es nicht mehr weiß wohin.

Aber das Geldkapital braucht auch eine gewisse Sicherheit – deswegen geht das Geldkapital auch nicht in die riskantesten Investments, wo es u.a. auf Renditen jahrzehntelang warten muss – nennen wir hier die Beispiele Grundlagenforschung und Materialforschung. Da muss der Staat einspringen, wie Mariana Mazzucato meint. Der Staat muss quasi der mutigste und geduldigste aller Investoren sein – bis zum Preis dessen, dass ein Investment nichts einbringt, sich als Sackgasse erweist, oder erst in 50 Jahren Renditen einfährt. Anders gesagt: Die Idee für das Touchscreen wurde auch Jahrzehnte davor erfunden, bevor es ins IPhone kam.

Linke Politik kann und muss auch das sein: ein Zukunftsinvestor. Linke Wachstumspolitik ist linke Politik schlechthin. Eine Politik der Visionen. Das ist, was Linke auch auszeichnet – während die Konservativen für das Verwalten da sind.

Solidität nicht als Gegenargument

Vor allem die Solidität des Staatshaushaltes darf kein Gegenargument werden. Staatliche Schulden gibt es für Deutschland momentan quasi umsonst. In diesem Jahr hat der Bund sogar beim Schuldenmachen deutlich verdient – durch Zinseinnahmen kamen mehr als sieben Milliarden Euro zusammen, wie Spiegel Online berichtete. Das Geld ist also da für Innovationsförderung. Man muss sie nur wollen.

Auch selbst wenn die Frage der Solidität des Staatshaushaltes so drängend wäre, bliebe da ja immer noch die Möglichkeit die Einnahmen des Staates zu erhöhen – durch höhere Steuern für Reiche. Da würde sich der linke Kreis zur Umverteilung auch wieder schließen. Und darüber hinaus wird deutlich, dass ein linker Neo-Schumpeterismus kein Gegensatz zur Umverteilung ist, sondern eine Ergänzung. Wohlstandsverteilung und Wohlstandsschaffung können beides linke Politiken sein. Mit letzterer würde die politische Linke, insbesondere die SPD, auch wieder stärker die schmerzlich gelittene Wirtschaftskompetenz zurückgewinnen, die ihr drastisch verloren ging.

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