Koalitions-Zoff um den Ökonomen Lars Feld - Weg mit dem Schuldenbremser

Hinter dem Koalitions-Streit zwischen CDU und SPD um den bisherigen Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen Lars Feld steckt mehr als eine Personalie: Es geht um den Umgang der Parteien mit unabhängigen Beratungsgremien der Bundesregierung. Vor allem aber geht es um die unklare Haltung zur Schuldenbremse.

Lars Feld (Mitte) muss gehen: Die SPD wollte den Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen loswerden / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Einen derartigen Streit zwischen SPD und CDU hat es wohl noch nie gegeben, wenn es um die Besetzung eines der fünf Posten für den Rat der Wirtschaftsweisen ging, also den „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Was sich aber nun wenige Monate vor der Bundestagswahl in der Großen Koalition abspielt um die Abberufung des langjährigen Vorsitzenden Lars Feld, das erinnert in Zügen an eine Debatte in den USA aus dem vergangenen Jahr. Dort stritten Republikaner und Demokraten nach dem Tod der Bundesrichterin Ruth Bader Ginsburg kurz vor der Präsidentschaftswahl um die Neubesetzung ihrer Stelle am Supreme Court.

Der Vergleich mag schräg wirken; Lars Feld ist kein Bundesrichter, sondern Ökonom und quicklebendig. Doch beide Auseinandersetzungen haben etwas gemeinsam: Die streitenden Parteien beeinflussen eine Institution, beziehungsweise ein Gremium, dessen Unabhängigkeit sonst stets betont und eingefordert wird. Bei der Auswahl der Wirtschaftsweisen geht es eben um sehr viel mehr als nur um eine Personalie und um Sachverstand. Es geht um die langfristige Ausrichtung von Politik, und in der Causa Lars Feld um den Einfluss auf höchstinstanzliche Bewertungen der künftigen deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Kurz: um die Deutungshoheit, in deren Zentrum insbesondere die noch ungeklärte künftige Haltung zur Schuldenbremse steht.

Vorgeschobene, ungeschriebene Formalien

Seit Monaten schon gab es politisches Gezerre um die Personalie Lars Feld zwischen dem von Peter Altmaier (CDU) geführten Wirtschaftsministerium, dem Finanzministerium von Olaf Scholz (SPD) und, mittendrin, dem Kanzleramt. Die SPD wollte die Nachfolge des als ordoliberal geltenden Feld am liebsten schon lange vor dem Ende von dessen zweiter Amtszeit klären. Doch Altmaier, in dessen Zuständigkeit das Gremium fällt, schlug schließlich den renommierten Lars Feld nach zehn Jahren für eine weitere, dritte Amtszeit von fünf Jahren vor. Wohl auch, weil etwas anderes dem Wirtschaftsflügel der CDU kaum zu vermitteln gewesen wäre. Olaf Scholz und die SPD aber stellten sich quer und kamen damit durch. Lars Feld muss nun zum Ende des Monats gehen. Seine Stelle bleibt vakant bis nach der Bundestagswahl, erst dann wird auch das jährliche Gutachten erscheinen. Feld hätte hierfür die Federführung gehabt.

Die dünne Begründung für die SPD-Blockade formulierte Olaf Scholz so: Die Bundesregierung und der Sachverständigenrat seien bislang von dem Prinzip ausgegangen, dass nach etwa zehn Jahren ein Amtswechsel stattfinden solle. Zwar schieden die meisten Mitglieder des Gremiums bisher tatsächlich nach ein oder zwei Amtszeiten wieder aus. Festgeschrieben aber steht das nirgends. So weit, so fadenscheinig. Die Formalie wäre eine Lappalie. Denn ausgerechnet der einst von den Gewerkschaften berufene und als linksliberal geltende Ökonom Peter Bofinger war zuletzt von 2004 bis 2019, also 15 Jahre lang Wirtschaftsweiser – die CDU legte damals kein Veto ein.

Von einem „Ärger über die eigene Harmlosigkeit“ spricht deshalb der CDU-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Finanzausschuss Olav Gutting gegenüber Cicero. „Die Frage ist schon, ob man sowas eskaliert oder ob man so etwas einfach laufen lässt“, sagt Gutting. Ihn ärgere grundsätzlich, dass sich die CDU immer wieder von der SPD vorführen lasse, insbesondere, wenn es um Personalfragen gehe. Ähnlich unbefriedigend laufe es etwa bei der Suche nach einem neuen Vorsitz für die Finanzaufsicht Bafin. Darüber hinaus gibt es noch ein weiteren personellen Streitpunkt für die Große Koalition: Auch der Chefposten der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) muss noch neu besetzt werden.

Wenig Interesse an Schuldenbremse-Befürwortern

Insbesondere beim Wirtschaftsflügel der CDU stellt man sich inzwischen die Frage, inwieweit es der eigenen Bundeskanzlerin, ihrem Kanzleramtschef Helge Braun und dem Wirtschaftsminister sogar selbst ganz gut in den Kram passt, dass Feld nicht weitermachen darf. Der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, der zugleich wissenschaftlicher Beirat im Wirtschaftsrat der CDU ist, befürwortete zwar in der Corona-Pandemie stets das vorübergehende Aussetzen der Schuldenbremse. Grundsätzlich aber steht Lars Feld immer weiter steigenden Staatsschulden äußerst kritisch gegenüber. Da insbesondere das Wirtschaftsministerium derzeit mit Milliardenhilfen um sich wirft, ist das Interesse dort gering, bald wieder einen dicken Rotstift anzusetzen. Feld war zudem einer der ersten Kritiker von Altmaiers „Nationaler Industriestrategie 2030“ und dürfte sich so keinen Freund in ihm gemacht haben. Einige Fraktionsmitglieder sprechen hinter vorgehaltener Hand hingegen von „schlichtem Unvermögen“ des Wirtschaftsministers.

Auch das Kanzleramt wird wissen, dass die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der Corona-Politik noch viele Haushalte negativ belasten werden. Die Alternative zu immer neuen Notfall-Aussetzungen wäre eine Reform der bisherigen Schuldenbremse. Wohl nicht ohne Grund hatte Helge Braun vor wenigen Wochen einen Testballon zu einer generellen Lockerung der Schuldenbremse aufsteigen lassen, um ihn nach heftigem Protest der Unionsfraktion sofort wieder platzen zu lassen. Für Gutting wäre das denn auch der Worst Case: „Wenn wir die Tür zur Schuldenbremse auch nur einen Spalt aufmachen, bricht alles auf.“ Die Begehrlichkeiten gerade im sozialpolitischen Bereich würden den Staat überrollen, und zwar inmitten einer demografischen Situation, in der die Sozialkassen ohnehin immer weiter bezuschusst werden müssten.

Es ist also kein Wunder, dass der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet die Personalie Lars Feld zum Anlass nehmen musste, um deutlich und mit allerlei Orthografie-Fehlern auf Twitter gegen die SPD zu keilen. Zumal auch Friedrich Merz längst einen Angriff gegen die Bundesregierung insgesamt gestartet hatte.

Medienberichten zufolge soll Laschet in einer Unionsfraktionssitzung Olaf Scholz gar als „Apparatschik der SPD“ bezeichnet haben. Das Ganze sei „ein ungeheuerlicher Vorgang“. Nur weil man ideologisch die gesamten Wirtschaftsweisen auf einen neuen Linkskurs der SPD bringen wolle, so Laschet laut Teilnehmern. Die Frage, die sich nun Mitglieder der Fraktion rund um den Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann stellen, ist: „Meint der Laschet das ernst oder sagt er das nur, um uns bei der Stange zu halten?“ Dass Peter Altmaier den Tweet von Laschet zwar verbreitet hatte, aber selbst zur Sache schwieg, sorgte für jedenfalls für weiteren Unmut.

Alte Rechnungen aus NRW?

Die SPD hingegen, so viel darf man erwarten, will künftig auf ein kontinuierliches Aufweichen der strengen Vorgaben einer Politik der Schwarzen Null setzen. Und wer verstehen will, weshalb die Sozialdemokraten Lars Feld nicht mehr bei den Wirtschaftsweisen sehen wollten, kann dazu auch einen Blick in die Vergangenheit werfen. Vor rund zehn Jahren nämlich fertigte Feld ein Kurzgutachten im Auftrag der Fraktionen von CDU und FDP im Landtag von Nordrhein-Westfalen an. Grund war der damalige Nachtragshaushalt der rot-grünen Landesregierung. Finanzminister war damals der heutige Co-Vorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans. Das Landesverfassungsgericht kippte schließlich dessen Vorhaben und folgte der Argumentation des Gutachtens von Lars Feld.

Einige mögen im Verhindern von Lars Felds dritter Amtszeit als Wirtschaftsweisen nun einen späten, persönlich motivierten Rachefeldzug von Walter-Borjans sehen, und einen willfährigen Olaf Scholz, der von seiner linken Parteispitze komplett abhängig ist. Tatsächlich aber dürfte es um ein grundsätzlich unterschiedliches Verständnis darüber gehen, wie der Staat künftig wirtschaften soll. Selbst unter nicht-linken Ökonomen kursiert dabei übrigens die These, auch Deutschland solle sich nun besser massiv verschulden. Und zwar schlicht deshalb, weil es alle anderen Staaten in der Europäischen Union und in der Eurozone auch tun. Da Deutschland am Ende ohnehin für deren finanzielle Schieflagen werde aufkommen müssen, wenn es selbst gut dastehe, hätte man sonst nur das Nachsehen.

Klar ist: Je weiter das Jahr voranschreitet und je klarer wird, wie drastisch die Schuldenlast in den kommenden Jahren wird, desto drängender werden die Parteien im Wahlkampf Fragen zur Finanzierung beantworten müssen: Steuererhöhungen? Wenn ja, für wen? Schulden machen? Wenn ja, wie viele? Lars Feld war nun ausgerechnet im Corona-Jahr Vorsitzender der Wirtschaftsweisen. Seine Sicht auf die Maßnahmen der Regierung im kommenden Herbstgutachten wäre wertvoll gewesenen.

Er wird sicherlich auch weiterhin die Antworten der Politik kommentieren und kritisieren. Nun aber ausschließlich als Chef vom Walter-Eucken-Instituts in Freiburg. Eine Stimme unter vielen bleibt er.

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