Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen - Genosse Größenwahn: SPD will die Stahlindustrie verstaatlichen

SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty verspricht im Landtagswahlkampf 30 Milliarden Euro, um die nordrhein-westfälische Stahlindustrie in eine grüne Zukunft zu führen. Doch dieser „Transformationsfonds“ ist Wählertäuschung. Eine weitere Idee, die direkte Beteiligung des Landes an der kriselnden Stahlsparte von Thyssenkrupp, zeigt, wohin die Reise geht: Die Sozialdemokraten wollen die Schwerindustrie verstaatlichen.

Staatskapitalismus nach chinesischem Vorbild? In NRW planen die Sozialdemokraten die große Transformation / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Zu welcher Katastrophe es führen kann, wenn Politiker meinen, ihrem Land einen radikalen Wirtschaftsumbau vorschreiben zu müssen, zeigt Maos „Großer Sprung nach vorn“. Der chinesische Kommunistenführer wollte Ende der 1950er-Jahre aus der Volksrepublik einen modernen Industriestaat machen. Sein ausgefeilter Plan sah unter anderem vor, die Stahlproduktion anzukurbeln. Da das Geld für große Stahlwerke fehlte, kamen die chinesischen Machthaber auf eine geniale Idee: Lasst uns viele kleine bauen!

Im ganzen Land wurden Minihochöfen aus Sand, Steinen, Tonerde und Ziegeln errichtet, mit denen die Dorfbevölkerung Eisenerz verarbeiten sollte. In seiner Rede auf dem Parteikongress im Mai 1958 gab Mao die großen Ziele vor: „Mit elf Millionen Tonnen Stahl im nächsten Jahr und 17 Millionen Tonnen Stahl im Jahr danach werden wir die Welt erschüttern. Wenn wir 40 Millionen Tonnen in fünf Jahren erreichen können, werden wir Großbritannien bereits in sieben eingeholt haben. Und weitere acht Jahre später werden wir mit den USA gleichgezogen sein.“

Doch der Plan ging nicht auf. Die Qualität des quasi in bäuerlicher Heimarbeit hergestellten Stahls war viel zu schlecht für den Export. Und auf den Feldern fehlte die Arbeitskraft der an die Minihochöfen gezwungenen Landarbeiter. Ergebnis des „Großen Sprungs“ war eine gigantische Hungersnot mit Millionen von Toten.

Ins Zeitalter des „grünen Stahls“

Natürlich ist Nordrhein-Westfalen nicht die Volksrepublik China, die SPD nicht die Kommunistische Partei, und ihr Spitzenkandidat bei der Landtagswahl am kommenden Sonntag, das sei an dieser Stelle ausdrücklich betont, hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit Mao Zedong. Große Pläne hat Thomas Kutschaty allerdings auch. Und sie haben ebenfalls mit Stahl zu tun. Mit ihm als Ministerpräsidenten soll die kriselnde Schwerindustrie in eine neue Blütezeit geführt werden: in das Zeitalter des „grünen Stahls“.

Grüner Stahl ist rein äußerlich genauso grau wie herkömmlicher Stahl. Er soll auch genauso stabil sein und sich genauso verarbeiten lassen. Er ist nur deutlich teurer. Denn grün macht ihn die CO2-Bilanz seiner Produktion. Er wird statt in kohlebefeuerten Hochöfen in sogenannten Direktreduktionsanlagen hergestellt, die mit klimaneutralem Wasserstoff betrieben werden sollen. Das ist allerdings alles noch Zukunftsmusik.

Der Staat weist die Richtung

Noch ist weder klar, woher der mittels Ökostrom erzeugte Wasserstoff kommen soll, noch, ob sich der ganze Aufwand irgendwann rechnet. Aber für Kutschaty und seine SPD steht schon fest, dass Nordrhein-Westfalen mit voller Kraft voranschreiten muss. Und dass die „erfolgreiche Transformation“ der heimischen Stahlindustrie nur gelingen kann, wenn ihr der Staat die Richtung weist und kräftig unter die Arme greift.

Im Dezember stellte Kutschaty ein „Fünf-Punkte-Programm“ vor, das „der Stahlbranche im Land auf den Weg zu einer erfolgreichen Zukunft helfen“ soll. „Eine wesentliche Herausforderung besteht unter anderem in den milliardenschweren Investitionen in neue Anlagen und erhöhten operativen Kosten auf dem Weg zu grünem Stahl. Die Politik in NRW muss den Transformationsprozess endlich unterstützen“, forderte der sozialdemokratische Herausforderer des CDU-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst. Und wie diese Unterstützung aussehen soll, wird in zwei Punkten des Fünf-Punkte-Plans klar: Es geht um Verstaatlichung.

Land soll mindestens 25 Prozent der Aktien kaufen

„Wir können uns eine Landesbeteiligung vorstellen, um Stabilität und Perspektive in der Transformation der Stahlbranche zu geben“ steht da unter Zweitens. Die Idee ist nicht ganz neu. Bereits einen Monat zuvor, Anfang November, stellte die von Kutschaty geführte SPD-Fraktion einen bemerkenswerten Antrag im Landtag: Das Land Nordrhein-Westfalen solle als Großaktionär bei der schwächelnden Stahl-Sparte des Essener Konzerns Thyssenkrupp einsteigen und „mindestens 25 Prozent am Unternehmenskapital“ erwerben. So könnten „die Zielsetzungen bei der mittel- und langfristigen Transformation des Unternehmens hin zu einem klimaneutralen Stahlproduzenten dauerhaft verbindlich gesichert und unterstützt werden“.

Der Antrag fand keine Mehrheit im Landtag. Aber die SPD lässt nicht locker. Im Wahlkampf setzte Spitzenkandidat Kutschaty das Thema erneut auf die Agenda und versprach, im Falle eines Sieges am kommenden Sonntag für die Teilverstaatlichung der Thyssenkrupp Steel Europe AG bereit zu stehen, wenn das Unternehmen dies wolle.

Sigmar Gabriel wird Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel

Was das Unternehmen will und was die SPD will, lässt sich allerdings nicht mehr ganz trennscharf voneinander unterscheiden. Denn kurz nachdem Kutschaty seine Idee, das Land zum Stahlgroßaktionär zu machen, wieder ins Spiel brachte, gab Thyssenkrupp eine interessante Personalie bekannt: Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel wurde Anfang April zum Chef des Aufsichtsrats der Stahltocher gekürt.

Die Vorstandsvorsitzende des Thyssenkrupp-Mutterkonzerns, Martina Merz, kommentierte die Entscheidung wohlwollend und machte deutlich, dass es um Politik geht, nicht um Managementerfahrung. „Besonders aus seiner Zeit als Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsminister bringt er wertvolle Erfahrungen mit, die für die grüne Transformation von Thyssenkrupp Steel von essenzieller Bedeutung sein werden“, ließ sich Merz in einer Pressemitteilung zitieren. „Wir sind daher überzeugt, dass Sigmar Gabriel nicht nur eine ausgezeichnete Ergänzung für das Gremium darstellt, sondern auch klare Akzente für die weitere Entwicklung des Stahlbereichs setzen wird.“

 

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Gabriel, der zu den einflussreichsten Gazprom-Genossen der SPD zählte, sitzt bereits in den Aufsichtsräten der Deutschen Bank und von Siemens Energy. Als Chef des Kontrollgremiums von Thyssenkrupp Steel wird sein Einfluss begrenzt bleiben. Denn solange die in Duisburg angesiedelte Stahlsparte unter dem Dach der Thyssenkrupp AG bleibt, werden die wichtigen unternehmerischen Entscheidungen in der Konzernzentrale in Essen gefällt. Und dort verspricht man sich von Gabriel wohl vor allem, dass er möglichst viel Steuergeld für den teuren Umbau von der Kohle zum Wasserstoff organisiert. Sollte die SPD bei der Landtagswahl unterliegen, bliebe sie immer noch in Berlin an der Macht.

Transformationsfonds mit 30 Milliarden Euro

In Nordrhein-Westfalen kamen die Genossen noch auf eine weitere Idee, wie sie der Stahlbranche in eine grüne Zukunft verhelfen wollen. Ein „Transformationsfonds“ soll geschaffen werden, der vor allem mittelständische Betriebe bei anstehenden Investitionen unterstützt. Der Plan klingt zunächst einmal marktwirtschaftlicher, da der Fonds zwar von der staatlichen NRW-Bank aufgelegt und verwaltet, das Geld aber am privaten Kapitalmarkt eingesammelt werden soll.

„Das Geld kommt nicht aus dem Landeshaushalt. Das Land sichert den Fonds nur indirekt über seine Beteiligung an der NRW.Bank ab. Der Fonds wird dadurch nicht auf die Schuldenbremse angerechnet, weil er nicht durch das Land NRW eingerichtet wird“, betont die Landes-SPD gegenüber Cicero. „Mit der Unterstützung beim Eigenkapital sollen die Unternehmen in der Lage sein, mittelfristige Investitionen für die Transformation tätigen zu können. Durch den strategischen Erwerb von Firmenanteilen erwirbt der Fonds Vermögen. Es handelt sich nicht um verlorene Zuschüsse an private Firmen, die irgendwann aufgebraucht sein werden, sondern um Vermögenswerte, die bei wirtschaftlichem Erfolg zumindest erhalten bleiben.“ Ein toller Plan. Doch ist er realistisch?

„Das ist völlig surreal und Wählertäuschung“

In der Finanzwelt schüttelt man den Kopf. Vor allem wegen der schwindelerregenden Summe, mit der Kutschaty im Landtagswahlkampf jongliert hat: 30 Milliarden Euro sollen die Anleihen des staatlichen Transformationsfonds einbringen. „Das ist völlig surreal und Wählertäuscherei, denn das gelingt nicht mal den erfolgreichsten Private-Equity-Fondsgesellschaften“, kommentiert ein Brancheninsider den SPD-Plan. Zumal die NRW-Bank als regionale Förderbank keine Erfahrung im Managen von Fonds dieser Größe vorzuweisen hat.

Die Gefahr ist, dass letztendlich doch wieder der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Denn um Investoren zum Kauf einer solchen Anleihe zu bewegen, muss der Staat das Verlustrisiko in irgendeiner Form absichern. Sonst hätten private Geldgeber keine Motivation, ausgerechnet in diesen Fonds zu investieren. Denn wer an die erfolgreiche Transformation der Stahlbranche glaubt und deshalb dort sein Kapital anlegen will, der tut das einfach und wartet nicht auf einen landeseigenen Transformationsfonds.

Bürokraten entscheiden, Unternehmer halten die Hand auf

Es ist das Grundproblem der gesamten Energiewende- und Klimapolitik in Deutschland: Auf Parteitagen und in Ministerien werden große Pläne geschmiedet und ehrgeizige Ziele gesetzt, die oftmals an der wirtschaftlichen Realität scheitern. Doch statt auf die kreative Kraft der freien Marktwirtschaft und des Unternehmertums zu setzen, reagieren die Plänemacher mit noch detaillierteren Vorgaben. Die in Bedrängnis geratenen Unternehmen lassen es sich zwar gefallen, dass ihnen Bürokraten und Parteipolitiker erklären, wie ihr Geschäft zu funktionieren hat. Aber im Gegenzug erwarten sie, dass die Subventionen fließen. Sonst, so drohen sie recht unverhohlen, wandern sie ab – in Länder mit billiger Energie und niedrigeren Lohnkosten.

Die „Große Transformation“, der sich Deutschland und die EU zur Rettung des Weltklimas verschrieben haben, endet höchstwahrscheinlich nicht in einer epochalen Hungerkatastrophe. Aber sie droht auf einen gelenkten Staatskapitalismus hinauszulaufen, der weniger an das China unter Maos Führung erinnert als an die heutige Volksrepublik.

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