Insekten für die Agrarrevolution - Zwei Klappen mit einer Fliege

Die Schwarze Soldatenfliege könnte den Mist unserer Nutztiere beseitigen – und selbst nachhaltiges Tierfutter sein. Heinrich Katz will die Insekten nun im großen Stil züchten. Er hofft darauf, dass die EU bald die notwendigen Weichenstellungen vornimmt.

Steht in den Startlöchern für eine Agrarrevolution: Heinrich Katz / Thomas Meyer/Ostkreuz
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Heinrich Katz öffnet eine der zig Schubladen im Bioreaktor. Einem mit Abwärme beheizten, 6 mal 2,5 mal 3,5 Meter großen Klotz, ganz hinten im Flachbau mit den durchsichtigen Gewächshauswänden. Stockdunkel ist es und 30 Grad warm, bei exakt 60 Prozent Luftfeuchtigkeit. So haben es seine Bewohnerinnen am liebsten. Jetzt aber drängen die Hunderttausenden Maden in der Schublade ihre prallen, weiß-gelb glänzenden Leiber gegen- und übereinander. Luftzug und Tageslicht haben sie in Aufruhr versetzt. Für einen Wimpernschlag in ihrem kurzen Leben unterbrechen die Larven der Schwarzen Soldatenfliege ihre Lieblingsbeschäftigungen: Fressen und Wachsen.

Kaum ein Tier dieser Erde versteht sich auf beides besser. „Aus einem Kilogramm Fliegeneiern entstehen bei uns in 20 Tagen sechs Tonnen Larven-Frisch­masse“, sagt Katz. „Jeder Schweinebauer wird neidisch, wenn er das hört.“ Die Schwarze Soldatenfliege stammt ursprünglich aus Amerika. Heute lässt sie Menschen wie Heinrich Katz weltweit von einer gesünderen Umwelt träumen – und vom großen unternehmerischen Erfolg.

Der Flachbau, in dem der 62-Jährige mit seinem Bruder Insekten züchtet, mag unscheinbar wirken zwischen den rauchenden Megaschloten im Industriegebiet von Baruth, 40 Kilometer südlich von Berlin. Aber so ambitioniert wie bei der Hermetia Baruth GmbH – benannt nach dem lateinischen Namen der Soldatenfliege – wird’s hier weit und breit nicht. „Wenn Historiker in 2000 Jahren meinen Grabstein finden“, sagt Katz und lächelt, „dann steht da hoffentlich drauf: ‚Er hat der Insektenindustrie zum Durchbruch verholfen.‘“

Die Unternehmer mussten sich neu erfinden

Innovationsgeist liegt Heinrich und Peter Katz quasi im Blut. Sie stammen aus Welzheim, nahe Stuttgart. Dort hatte Gottlob Bauknecht einst die Waschmaschine revolutioniert. Katz’ Vater produzierte hoch spezialisierte Werkzeuge für Bauknecht. Als es mit dem Konzern Ende der achtziger Jahre bergab ging, war es an den Söhnen, sich neu zu erfinden. 1992 gründeten sie die Katz Biotech AG, züchteten Insekten zur biologischen Schädlingsbekämpfung. 2002 der Umzug nach Brandenburg. In Baruth ziehen sie etwa Wespen, die sie in Kartons an Biogärtner verschicken – damit sie in deren Gewächshäusern die Schildläuse fressen.

Auf die Soldatenfliege kamen die Brüder im Jahr 2005. Seither setzen sie darauf, dass die bis zu 27 Millimeter langen und sechs Millimeter breiten Fliegenlarven das Zeug haben, den mehrere Billionen Dollar schweren Futtermittelweltmarkt auf den Kopf zu stellen. Zeit wäre es. Um die Erderwärmung „deutlich unter zwei Grad“ zu halten, wie es das Pariser Abkommen vorsieht, müsste auch das globale System der Nutztierhaltung umgebaut werden. Laut Welternährungsorganisation (FAO) verursacht es rund 15 Prozent aller menschengemachten Emissionen.

Lösen die Tierchen unser Gülle- und Klimaproblem? 

Hier könnten die Larven helfen: Zum einen fressen sie Nutztiermist und wandeln ihn in Fett und Eiweiß um. „Die Tierchen könnten problemlos die gesamte Gülle Deutschlands verwerten“, sagt Katz. Bislang wird sie auf Misthaufen oder im Ackerboden auch zu dem hochwirksamen Treibhausgas Stick­oxid abgebaut. Zum anderen ließen sich die Larven selbst zu Futter verarbeiten. In Baruth werden sie nach 20 Tagen im Eisschrank getötet, getrocknet und in einer Rapsmühle zu Mehl und Öl verarbeitet. Im großen Stil gezüchtet, könnten die Larven laut FAO „eine Reihe von Umweltproblemen lösen“. Etwa Fischmehl ersetzen, das in Aquakulturen verfüttert wird, oder Soja-Viehfutter, für dessen Anbau Regenwald gerodet wird.

Das Problem der Züchter: Rechtlich stellt die EU Insekten anderen Nutztieren gleich. Es gelten die strengen Regeln aus der BSE-Zeit: Weder darf man sie mit tierischen Exkrementen – ihrer natürlichen Nahrung – füttern, noch sie im verarbeiteten Zustand Schweinen oder Hühnern zu fressen geben. Katz und andere Insekten-Unternehmer drängen in Brüssel seit Jahren auf rechtliche Änderungen. Auch externe Geldgeber setzen darauf, dass die EU sich bewegt. Ein Konsortium aus Indien, Deutschland und Südafrika hat gerade einen zweistelligen Millionenbetrag in Katz’ Unternehmen investiert. In Brandenburg sollen ab 2021 täglich 150 Millionen Fliegen so viele Eier legen, dass dabei am Ende 5000 Tonnen Insektenmehl herauskämen. Bis spätestens 2028 hofft Katz auf den Durchbruch. Da wird er 70 und die zweite Generation von Insekten-Visionären wird übernehmen müssen. 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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