Inflation - Die EZB kommt in Erklärungsnot

Die Preise steigen und steigen – doch Europas Währungshüter halten an der Geldflut fest. Sie behaupten, die Inflation sei nur ein vorübergehendes Phänomen.

Der Preisstabilität verpflichtet? EZB-Chefin Christine Lagarde bleibt bei der Nullzinspolitik / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Das „vorrangige Ziel“ des Europäischen Zentralbankensystems ist es, „die Preisstabilität zu gewährleisten“. So steht es schwarz auf weiß in der EZB-Satzung und im Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaft. Doch Europas Währungshüter scheinen davon nicht mehr viel wissen zu wollen. Trotz steigender Inflationsraten halten sie an ihrem Kurs fest, den Euroraum mit billigem Geld zu fluten, statt durch eine Zinsanhebung den Preisanstieg zu stoppen.

Inflationstreiber sind derzeit die steigenden Energiepreise. Gasknappheit, Windflaute und neue Klimaschutzabgaben haben Strom und Heizen deutlich teurer gemacht. Auch der Ölpreis ist gestiegen, was Autofahrer an den Tankstellen zu spüren bekommen. Und da Energie zur Herstellung jedes Produkts, ob Lebensmittel oder Haushaltsgerät, benötigt wird, schlagen steigende Energiepreise auf alle anderen Preise durch.

Inflation auf 4,5 Prozent gestiegen

Im Oktober lagen die Verbraucherpreise in Deutschland 4,5 Prozent über denen des Vorjahresmonats. Das ist die vorläufige Inflationsrate, die das Statistische Bundesamt am Donnerstag bekanntgegeben hat. Eine so hohe Inflation hatte die Wiesbadener Behörde zuletzt im Oktober 1993 gemessen. Im September lag sie bereits bei 4,1 Prozent.

Der Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht davon aus, dass sie im November sogar auf 5 Prozent steigen könnte. „Nach der Jahreswende wird die Teuerungsrate wieder fallen, weil Sondereffekte wie der Wiederanstieg der Mehrwertsteuer wegfallen“, sagte Krämer. „Aber ich warne davor, die längerfristigen Inflationsrisiken kleinzureden.“

Genau das geschieht allerdings derzeit bei der EZB. Zentralbank-Chefin Christine Lagarde bleibt dabei, dass der hohe Preisanstieg, der im gesamten Euroraum inzwischen bei 3,4 Prozent liegt, nur eine „Phase der vorübergehenden Inflation“ sei. Hauptursache sei der schnelle Wirtschaftsaufschwung nach dem Corona-Schock, betonte Lagarde. Doch die EZB trägt mit ihrer Nullzinspolitik und den Milliarden, die sie über den Ankauf von Staatsanleihen verteilt, zum Inflationsrisiko bei. Eine gefährliche Entwicklung, die irgendwann nicht mehr aufzuhalten ist.

Kritiker der ultralockeren Geldpolitik warnen davor immer wieder. Einer von ihnen, der Bundesbank-Chef Jens Weidmann, sitzt noch im EZB-Rat. Doch er wird sein Amt zum Jahresende aufgeben. Wer sein Nachfolger wird, ist noch nicht entschieden.

Belgischer Notenbankchef mahnt

Jüngst mahnte allerdings auch der Chef der belgischen Notenbank, Pierre Wunsch, vor den Auswirkungen des EZB-Kurses auf die Teuerungsrate. „Wir wissen, dass eine anhaltend expansive Geldpolitik negative Nebenwirkungen hat, die mit der Zeit zunehmen“, sagte Wunsch der Wirtschaftswoche. „Ich plädiere für einen graduellen Ausstieg aus dem aktuellen Modus.“

Auf offene Ohren stieß er bei seinen Kollegen im EZB-Rat offenbar nicht. Bei ihrer jüngsten Sitzung am Donnerstag entschieden die Währungshüter, den Leitzins im Euroraum auf dem Rekordtief von null Prozent zu halten. Auf diesem Niveau liegt der Zins nunmehr seit März 2016. Geschäftsbanken müssen nach wie vor 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank in Frankfurt parken.

Sollten die Teuerungsraten im Euro-Raum weiterhin hoch bleiben oder sogar weiter steigen, kommt die EZB zunehmend in Erklärungsnot. Denn nicht nur in Deutschland, wo die Angst vor der Geldentwertung aus historischen Gründen groß ist, steigt der öffentliche Unmut und damit der politische Druck. Zumal immer offensichtlicher wird, dass sich die EZB längst einem anderen „vorrangigen Ziel“ verpflichtet fühlt: nicht der Preisstabilität, sondern der Stabilisierung überschuldeter Euro-Staaten.

mit dpa-Material

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