Infektionszahlen und Sterberate - Was sagen die Corona-Daten wirklich aus?

Sind die derzeitigen Infektionsraten mit den Daten aus der ersten Welle und mit denen der Nachbarländer vergleichbar? Und was bedeutet das für die Wirtschaft? Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hat sich die Zahlen genauer angesehen.

Die Anzahl der Coronatests pro Woche hat sich seit April verdreifacht / dpa
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Prof. Gabriel Felbermayr ist Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Gleichzeitig hat er einen Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Forschungs- und Beratungstätigkeit konzentriert sich auf Governance-Fragen in der internationalen Wirtschaftspolitik, der wirtschaftlichen Integration Europas und der deutschen Wirtschaftspolitik.

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In der Corona-Pandemie beherrschen Zahlen über das Infektionsgeschehen die Diskussion. Sie prägen die politischen Maßnahmen und das Verhalten von Menschen. Damit sind sie auch für das wirtschaftliche Geschehen von großer Relevanz. Wenn man erahnen will, was die nun rollende zweite Welle wirtschaftlich bedeutet, muss sich selbst der epidemiologisch unberufene Wirtschaftswissenschaftler über die empirische Evidenz beugen.

Die Dynamik ist unbestreitbar. In ganz Deutschland steigen die Infektionszahlen. Die über die letzten sieben Tage gemeldeten Fälle pro 100.000 Einwohner liegen im Bundesgebiet seit einigen Tagen deutlich über 60. Das ist mehr, als zum Höhepunkt der ersten Welle Anfang April gemeldet wurde. Die Zahlen stimmen sorgenvoll; was aber taugt der Vergleich der Zahlen über die Zeit und im Ländervergleich?

Anzahl der Tests verdreifacht

Es ist klar, dass sich seit April sehr viel verändert hat. Unter anderem hat sich die Anzahl der Tests pro Woche verdreifacht. Kollegen vom ifo Institut schätzen, dass man mit der aktuellen Testpolitik im Frühjahr dreimal höhere Werte gefunden hätte, als sie tatsächlich gemessen werden. Auch diverse Hochrechnungen mit epidemiologischen Modellen zeigen im Frühjahr sehr viel höhere Dunkelziffern als derzeit.

Der kritische Wert von 50 bei der Inzidenzrate wurde im Frühjahr festgelegt. Wenn die heute gemeldeten Werte näher am wahren Infektionsgeschehen liegen als damals, dann bedeutet das Festhalten an der Marke von 50, dass der Wert strenger ist als im Frühjahr. Das sollte man wissen, wenn man restriktive Maßnahmen aller Art an diesen Wert knüpft. 

Die Mortalitätsrate bleibt gering

Unterschiedliche Teststrategien machen auch den internationalen Vergleich schwierig. Der Vergleich mit den Nachbarländern ist dennoch informativ, weil sie zumindest ähnlich intensiv testen. Hier wird klar, dass Deutschland im europäischen Vergleich immer noch gut liegt: Alle Nachbarländer haben viel höhere Inzidenzraten: Tschechien liegt bei über 650, Belgien bei fast 400, die Niederlande bei 330, Frankreich bei 270, Österreich bei circa 130. Dies stimmt für Deutschland pessimistisch: Gut möglich, dass wir ein ähnliches Wachstum noch vor uns haben.

Andererseits gibt es aber auch eine positive Nachricht. Die hohen Inzidenzraten bei unseren Nachbarn liegen teilweise nun schon lange vor; trotzdem sind die Sterbefälle selten geblieben. Frankreich etwa hat den kritischen Wert von 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten 60 Tagen ununterbrochen überschritten. Zwei Wochen, nachdem dort die Inzidenzrate den Maximalwert der ersten Welle (47) überschritten hatte, lag die Mortalitätsrate (Siebentagessumme der Covid-19 Sterbefälle pro 100.000 Einwohner) bei 10. Seit August hat sie bisher noch nie den Wert von 1,5 überschritten, obwohl die Inzidenzrate aktuell fünfmal höher liegt als im April. Die deutsche Bevölkerung mag älter und somit verwundbarer sein; sie ist aber auch risikoaverser. Bisher kann man also durchaus hoffnungsfroh annehmen, dass die zweite Welle weniger tödlich ist als die erste.

Wenn das so ist, dann können auch die privaten und öffentlichen Eindämmungsmaßnahmen unter jenen der ersten Welle liegen. Der wirtschaftliche Schaden bliebe dann in Grenzen. Ob dies ausreicht, damit sich die in unserer jüngsten Diagnose für das vierte Quartal 2020 erwartete Wachstumsrate von circa zwei Prozent nicht in eine schwarze oder rote Null verwandelt, bleibt abzuwarten.

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