Imagepolitur bei Opel - Auf die Katze gekommen

Übernimmt Peugeot das Kommando? Zumindest lebt Opel wieder. Aber die strukturellen Probleme sind geblieben

Erschienen in Ausgabe
Die Zukunft von Opel ist klein und zieht die Mundwinkel nach unten / Jörg Brüggemann
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Um angesagt zu sein, setzt Opel auf eine schlecht gelaunte Katze. Grumpy Cat heißt das Tier. Es gehört einer amerikanischen Kellnerin und wurde wegen seiner heruntergezogenen Mundwinkel vor ein paar Jahren zu einem Internethype. Ein Hype um seine Autos wünscht sich auch das Traditionsunternehmen. Endlich nicht mehr bieder und spießig, sondern cool und begehrenswert. So wurde die Katze zum Herzstück einer neuen Marketingkampagne. Die Fotografin Ellen von Unwerth hat das Tier zusammen mit dem Model Georgia May Jagger für einen Kalender fotografiert.

Bling-Bling statt Opel-Popel

Ähnlich hatte es für 2016 schon Karl Lagerfeld mit seiner Hauskatze gemacht. Nun also Grumpy Cat. Eine riesige Skulptur der Katze steht in einem ehemaligen Kraftwerk in Berlin-Kreuzberg. Um ihren Hals hängt eine Goldkette mit dem Opelblitz als Anhänger. Bling-Bling statt Opel-Popel. 

Keine zehn Jahre ist es her, da stand Opel kurz vor dem Aus. Der Niedergang des einst größten deutschen Autoherstellers, der seit 1928 eine Tochter des US-Konzerns General Motors (GM) ist, vollzog sich erst schleichend, dann holterdiepolter. Noch 1995 verkaufte Opel in Europa mehr Autos als VW. Doch immer öfter kauften die Menschen nur noch einen Opel, wenn sie sich einen VW nicht leisten mochten. Das Geschäft brach ein, und als die Finanzkrise 2008 den Mutterkonzern ins Schlingern brachte, stand Opel vor dem Kollaps. Konkurs? Kauf durch den Zulieferer Magna? Rettung durch Angela Merkel? Diese Fragen hielten das ganze Land in Atem. Demonstranten versammelten sich vor den Werkstoren.

Und der damalige Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) brachte das ganze Land gegen sich auf, weil er öffentlich über eine geordnete Insolvenz nachdachte. Im letzten Moment entschied sich GM, inzwischen selbst vom amerikanischen Staat gerettet, Opel doch zu behalten, und stieß alle anderen vor den Kopf. 

Fragwürdige Werbestrategie für neues Modell "Crossland"

So kommt es, dass Opel 2017 in Berlin neben der Katze auch sein neues Modell vorstellen kann. Es ist der Crossland, endlich der von Experten lange ersehnte SUV. Geladen hat die Marke zu dem Ereignis mit den Worten: „Schmeiß die Muschis in den Klub und schrei Miau, Miau!“
Trotzdem sind einige Leute gekommen. Sie müssen aber erst durch eine Art Tunnel, an dessen Ende Karl-Thomas Neumann und Tina Müller stehen. Der CEO im hellblauen Anzug ohne Krawatte, die im Vorstand für Marketing zuständige Müller auf High Heels in weißer Jacke und schwarzer Hose. 

Internethypes sind für ihre Kurzlebigkeit bekannt. Heute in aller Munde, morgen vergessen. „Wo ist eigentlich Grumpy Cat geblieben?“, fragte ein Internetportal bereits im Frühjahr 2016. Nun, könnte man sagen, sie treibt sich jetzt bei Opel rum. Dabei kämpft die Marke gerade darum, dass ihr Neuanfang nicht nur ein Strohfeuer ist, sondern nachhaltig bleibt. Dafür standen eigentlich Tina Müller und Karl-Thomas Neumann. Die 49-Jährige, früher beim Körperpflegehersteller Henkel, und der acht Jahre ältere Neumann, ein Automensch durch und durch, früher bei Volkswagen und Continental, galten bald als Dream­team, als sie 2013 an die Spitze des Unternehmens kamen. Hier die knallige Kreative mit schwarzen Locken und signalrotem Lippenstift, dort der kühle Rechner mit hoher Stirn und Brille.

Umparken im Kopf

Neumann und Müller wurden anfangs wegen der vermeintlichen Aussichtslosigkeit ihrer Mission bemitleidet, dann bald bewundert. Die Sache ließ sich gut an. Die Kampagne „Umparken im Kopf“ mit Sympathieträger Jürgen Klopp setzte Maßstäbe, die Experten schwärmten von den Produkten. Der Astra, das Brot-und-Butter-Auto bei Opel, wurde zum Auto des Jahres gewählt. Die Auszeichnungen für andere Modelle häuften sich: Allradauto des Jahres, bester Kompaktwagen der Geschichte, bestes Design, verlässlichster Gebrauchtwagen in der Mittelklasse und so weiter. Opel überholte die anderen Hersteller beim Wachstum und sollte 2016 erstmals wieder schwarze Zahlen schreiben. 

Der Kater folgte im kalten Februar, kurz nach dem Katzenevent in Berlin. Da wies die Mutter GM für ihr Europageschäft 2016 einen Jahresverlust von 257 Millionen Dollar aus. Chef Neumann gibt den Briten die Schuld. „Unser Kurs stimmt: Ohne das Brexit-Votum hätten wir ein positives Jahresergebnis erzielt“, sagt er. Tatsächlich ist Großbritannien, wo Opel als Vauxhall antritt, weit vor Deutschland der wichtigste Einzelmarkt. Und dort hielten sich die Autokäufer nach dem Brexit-Votum zurück. Auf anderen Märkten Europas konnte Opel zulegen und schaffte mit 1,16 Millionen Fahrzeugen ein Absatzplus von 4 Prozent. „Wir haben unser Ergebnis im Jahr 2016 gegenüber 2015 um rund 600 Millionen Dollar verbessert. Für GM in Europa ist dies das beste Jahresergebnis seit zehn Jahren“, sagt Neumann.

Skepsis angebracht

Hört sich beeindruckend an. Aber in den Zahlen steckt eine Menge Spin, wenn man Klaus Franz glaubt. Franz war bis zu seinem Ruhestand 2011 Gesamtbetriebsrat des Konzerns. Er war das Gesicht der Rettung 2009, auch wenn sein Plan, Opel aus dem US-Konzern herauszulösen, letztlich scheiterte. Die Abwendung der Insolvenz betrachtet „Mr. Opel“ als seine größte Lebensleistung. 

Das Schicksal seines ehemaligen Arbeitgebers lässt ihn nicht los. Franz hat gerade ein Buch über seine Zeit bei Opel geschrieben. Und er hört nicht auf zu rechnen. Zum Beispiel, wenn es um das Opel-Ergebnis geht. Da hätte es ja die Schließung des Opel-Werkes in Bochum 2014 gegeben. Die habe bis zu 700 Millionen Euro gekostet und ist im Jahr 2015 voll abgeschrieben worden. Eine Fabrik der Größenordnung Bochum weniger, das spare dem Unternehmen jährlich etwa 500 Millionen Euro Strukturkosten ein. Das kam 2016 zum Tragen. Das heißt, man machte 2016 einen Verlust trotz einer Einsparung von einer halben Milliarde Euro. 

Nicht alles auf den Brexit schieben

Experten wie Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, teilen die Skepsis. „Alles auf den Brexit zu schieben, ist zu einfach.“ So verkauft etwa der Konkurrent Ford auf der Insel weit mehr Autos als Opel. Bei den Absatzzahlen von Opel muss man zudem genau hinschauen. „Die Marktzulassungen sind erkauft worden mit dem hohen Anteil an Eigenzulassungen, die enorm teuer sind“, sagt Klaus Franz. Damit meint er die beliebte Methode, Neuwagen für kurze Zeit auf Hersteller oder Händler zuzulassen, um sie anschließend als junge Gebrauchte kräftig rabattieren zu können. Opel ist deutscher Meister darin, sich selbst sein bester Kunde zu sein. 43 Prozent der Neuwagen sind Eigenzulassungen. Das treibt die Absatzzahlen in die Höhe, drückt aber den Gewinn nach unten. 

Franz glaubt nicht, dass das Marketing-Brimborium da viel retten könne. „Mit dem Klopp hat das gut angefangen. Aber dann kommt da der Karl Lagerfeld um die Ecke und jetzt eben eine Katze. Das ist Effekthascherei und eher die Homestory der Tina Müller als eine wirkliche Aufladung der Marke.“ Gern hätte man gehört, was Müller selbst dazu sagt. Aber für ein Gespräch stand sie nicht zur Verfügung.

Strukturelle Probleme bleiben

Alles Aufpolieren der Marke hilft nichts, wenn strukturelle Probleme nicht behoben werden. Die hat Opel nach wie vor. Jeder, mit dem man außerhalb des Unternehmens über Opel spricht, kann sie schnell benennen. Gerade jetzt, wo die Branche vor der vielleicht entscheidendsten Veränderung ihrer Geschichte steht, könnte Opel endgültig den Anschluss verlieren. Die Zukunft sind Elektrofahrzeuge und selbstfahrende Autos. Die werden wohl nicht mehr nur in Deutschland und Japan, sondern auch im Silicon Valley und demnächst auch von chinesischen Herstellern gebaut. Daimler-Boss Dieter Zetsche nannte es die „zweite Erfindung des Automobils“.

Wie schwierig es für Opel wird, da mitzuhalten, versteht man, wenn man aus Berlin tief in den Westen fährt. Weiter weg von der hippen Party in Berlin kommt man wohl nicht als vor die Ruine des Opel-Werkes in Bochum. 415 000 Kubikmeter Beton und 89 000 Tonnen Stahl waren hier 1962 verbaut worden, das Werk stand einmal für einen Aufbruch im Ruhrgebiet. Vorbei. Zehntausende hatten gegen die Schließung protestiert. Vergeblich. Jetzt ist das Gelände eine gigantische Baustelle; was dort entstehen soll, weiß keiner so genau. 

"Ein Denkmal der Schande"

Von 1972 bis 2014 ging Rainer ­Einenkel jeden Tag durch das Werkstor. Heute darf er nur noch bis zum Zaun. Dort steht der 62-Jährige in Weste und Jeans. Als er anfing im Konzern, trugen die Angestellten stolz eine „1“ angesteckt am Revers, weil Opel mit mehr als 20 Prozent Marktanteil der größte deutsche Hersteller war. Legendäre Modelle wie den Admiral, den Diplomaten oder den Kapitän fuhr man mit Stolz, im Ruhrgebiet auch den oft veralberten Manta. Es gab Überlegungen, VW zu kaufen. ­Einenkel wurde zum Betriebsrat des Bochumer Werkes und sah es untergehen. Der Marktanteil von Opel beträgt heute 7,2 Prozent. Die Baustelle nennt er „ein Denkmal der Schande“.

Schon vor der Schließung des Bochumer Werkes lieferte sich Einenkel heftige Auseinandersetzungen mit den Verantwortlichen bei GM. Und immer noch sei die Abhängigkeit vom Mutterkonzern ein unüberwindbares Hindernis. „Die haben uns eine Käseglocke übergestülpt. Deswegen dürfen wir nicht nach China oder Südamerika, sondern bleiben in Europa eingesperrt.“ Opel sei wie eine Tochter, deren Mutter ihr die Miete bezahlt, ihr aber auch vorschreibt, wie sie zu leben hat, und sie sich nicht entfalten lässt. VW etwa verkauft von 10,5 Millionen Autos allein mehr als vier Millionen in China. Die gute Ausbildung und Erfahrung der deutschen Ingenieure sei für GM zwar stets wichtig gewesen. Aber alle technologischen Innovationen seien bei Opel und GM von Einsparungen getrieben. So sei die Entwicklung alternativer Antriebe von Europa in die USA verlagert worden. „Dafür wäre das Werk in Bochum hervorragend geeignet gewesen“, sagt Einenkel und kann seine Verbitterung nicht verhehlen. 

Opel-Wehmut 

Noch ein bisschen weiter westlich, in Neuss, sitzt Peter Dahlmann im Büro seines Autohauses und presst Kaffee aus einer riesigen Thermoskanne. Vor zwei Jahren hat er die Geschäfte an seine drei Kinder übergeben, die eines der größten Opel-Autohäuser in Deutschland nun in fünfter Generation führen. 20 000 Autos verkaufen die Dahlmanns im Jahr, auch von anderen Fabrikaten. Der 67-jährige, weißhaarige Patriarch hängt aber so sehr an Opel, dass er 2008 im Kanzleramt vorstellig wurde, um mit anderen Händlern das Unternehmen zu retten. Eine Karikatur des Treffens zwischen ihm und Merkel holt er aus der Schreibtischschublade.

Auch Dahlmann kann nicht ohne Wehmut über Opel sprechen. Für ihn ging es mit der Marke bergab, als an ihrer Spitze in den neunziger Jahren ein schillernder Manager aus Spanien auftauchte: José Ignacio López. „Das Einzige, was der konnte, war, die Zulieferer im Preis zu drücken“, erinnert sich Dahlmann. „Die lieferten eine miserable Qualität. Ich wusste schon vorher, dass die Lenkgetriebe vom Astra nach 30 000 Kilometern kaputtgehen. Und danach mussten wir wieder die gleichen Mistdinger einbauen.“ 

Kunden springen ab

Von diesem Imageschaden hätte sich Opel nicht mehr erholen können. Obwohl die Autos wieder gut seien. „Der Astra, an dem stimmt einfach alles. Und der Insignia, das nächstgrößere Modell, ist von der Straßenlage das beste Auto, das ich je gefahren bin, der klebt wie Pattex auf der Straße“, sagt der Autohändler. Nur hätte er das den Kunden schon so oft versprochen, dass die ihm das nicht mehr glaubten. Und wenn sie es doch tun, hat Opel nicht genügend Modelle zu bieten. „Das Flaggschiff ist der Insignia – ein Mittelklassemodell – und dann hört’s auf.“ In das obere Segment, wo man die größten Margen erzielen kann, könnten die Kunden mit der Marke nicht wachsen. „Wenn die einmal abgesprungen sind, kommen die nicht wieder. Da fährt dann der Mann einen Audi A8, Mutti einen A1 und der Sohn bekommt dann auch einen.“ Grund für die Misere sei vor allem die fehlende Kontinuität im Management. „Ich habe 14 Generaldirektoren erlebt, die meisten waren Legionäre aus Amerika. Je mehr Ertrag die aus dem Unternehmen herausgequetscht haben, umso besser für sie. Dann wollten die alle wieder zurück. Bei VW waren es in derselben Zeit drei.“

Jetzt endlich würde Opel mit dem Crossland auch in das margenträchtige SUV-Segment einsteigen. Quasi als Letzter. Dahlmann kennt das von anderen Modellen. „Ich wollte seit 20 Jahren ein günstiges Einsteigerauto haben. Dann kam 2015 der Karl. Der war zwar kleiner als der Corsa, aber teurer. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.“ Trotzdem hat Dahlmann noch einen Hoffnungsträger: den Opel Ampera-E. Das Elektroauto kommt im Frühjahr auf den Markt und soll eine Reichweite von 500 Kilometern haben. Das ist fast so viel wie beim Tesla, zum halben Preis. „Das wäre ein Riesenschritt für Opel.“

Grumpy Cat's düsterer Blick in die Zukunft von Opel

In Berlin, eine Woche vor Bekanntgabe der Verluste, geben sich Karl-Thomas Neumann und Tina Müller bei der Grumpy-Cat-Party gelöst. Sie schütteln zu Technobeats Hände oder küssen die Wangen der Gäste – einer eigenartigen Mischung aus Managern in schwarzen Anzügen, schwulen Designern in bunten Jäckchen, leicht bekleideten Models, C- und D-Promis und Autoverkäufern mit Schnauzern und offenem Hemd. Zum Schluss der Begrüßungsrunde kommt dann der Höhepunkt durch den Tunnel. Die Katze auf dem Arm der ehemaligen Kellnerin. Die Zukunft von Opel ist klein und zieht die Mundwinkel nach unten. 

 

Dieser Text stammt aus der Märzausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erhalten.

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