Hildegard Müller - Die Mobil-Macherin

Mitten in ihrem ohnehin schweren Verteidigungskampf muss der Verband der Automobilindustrie (VDA) auch noch die Coronakrise stemmen. Die neue VDA-Präsidentin Hildegard Müller ist ausgerechnet eine einstige Merkel-Vertraute und soll das Kanzleramt umgarnen.

Erschienen in Ausgabe
Für Hildegard Müller ist klar: „Man muss streiten, sonst kommen die Dinge nicht voran“ / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Michael Hirz arbeitet als freier- Journalist und wohnt in Köln. Zuvor war er Programmgeschäftsführer beim Informationkanal Phoenix.

So erreichen Sie Michael Hirz:

Anzeige

Wenn es stimmt, dass Optimismus ein Gegengift gegen Depressionen ist, dann hat die deutsche Automobilbranche mit einer ihrer wichtigsten Personalentscheidungen alles richtig gemacht. Denn Hildegard Müller, die im Dezember von der Branche einstimmig zur neuen Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA) gewählt wurde und im Februar ihre Arbeit aufnimmt, ist als bekennende Rheinländerin zum Optimismus fast verpflichtet. „Für mich“, sagt sie, „ist das Glas grundsätzlich immer eher halb voll als halb leer.“

Optimismus können die im VDA zusammengeschlossenen Unternehmen, von Autoherstellern wie Audi bis Zulieferern wie ZF Friedrichshafen, dringend gebrauchen. Die 52-jährige Düsseldorferin übernimmt die Aufgabe in einem Augenblick, der für die deutschen Autobauer kaum schwieriger sein könnte. Die Liste der aktuellen und drohenden Probleme ist bedrückend lang: Weltweit geht der Absatz zurück, was die extrem exportabhängigen deutschen Hersteller empfindlich trifft, die Mobilitätswende weg vom Verbrennungsmotor ist voller Risiken, wird viele Arbeitsplätze kosten und erhebliche Mittel binden, neue und teils branchenfremde Produzenten treten als ernst zu nehmende Konkurrenten an, und die Klimadebatte hat am Image des Autos mehr als nur Lackschäden verursacht. Zu allem Überfluss hat sich die Branche mit ihren Diesel-Tricksereien einen hausgemachten Skandal geleistet, der viel Geld gekostet und noch mehr Vertrauen zerstört hat.

Beste Voraussetzungen für den neuen Job

Es gibt also jede Menge zu tun für Hildegard Müller. Um als Chef-Lobbyistin von Deutschlands Schlüsselindustrie erfolgreich zu sein, bringt sie gute Voraussetzungen mit, denn sie kennt beide Welten bestens – die Welt der Politik ebenso wie die der Wirtschaft und der Verbände. Die diplomierte Betriebswirtin und gelernte Bankkauffrau war die erste Frau an der Spitze der Jungen Union, Mitglied im Vorstand und Präsidium der CDU, direkt gewählte Bundestagsabgeordnete und von 2005 an mehrere Jahre Staatsministerin im Bundeskanzleramt, wo sie als Vertraute von Angela Merkel galt. Als Hauptgeschäftsführerin des wichtigen Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) lernte sie die Arbeit an der Lobbyfront kennen. Künftig die unterschiedlichen Interessen der Mitglieder beim VDA zu organisieren, dürfte aber eine besondere Herausforderung sein. Zuletzt war Müller Vorstand des Energieunternehmens Innogy, wo sie den Geschäftsbereich Netz und Infrastruktur verantwortete.

Die gesammelten Erfahrungen und das umfangreiche Netzwerk hat sie bei ihrer Fahrt in die Autowelt im Gepäck. Aber sie formuliert auch klare Überzeugungen, zu denen das glaubhafte Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft mit ihrem Aufstiegsversprechen gehört. „Mein Vater war mittlerer Beamter und meine Mutter ist putzen gegangen, damit wir drei Kinder an Klassenfahrten teilnehmen konnten. Über Bildung konnte ich meinen Weg machen“, sagt Müller. Heute hinge Bildung viel zu sehr von sozialer Herkunft ab – ein Unding. Diese und andere soziale Schieflagen müssten dringend angegangen werden. Hier sieht sie das Bürgertum in einer Pflicht, Chancengerechtigkeit herzustellen. „Die Mitgliedschaft in einem Golfclub ist eben noch kein soziales Engagement.“ Wohlstand beinhalte auch einen Auftrag: Sie selbst löst ihn ein, indem sie aktiv im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZDK) und bei Unicef mitarbeitet. „Es ist für unser Gesellschaftsmodell eine Überlebensfrage angesichts der weltweiten Entwicklung, sich wieder um sein Land zu kümmern.“

Deutlicher Nachholbedarf beim Thema Diversität

Wirtschaft und Soziales hat Hildegard Müller, ganz im Geiste des Rheinischen Kapitalismus, immer im Zusammenhang gesehen. Darum ging sie als Wirtschaftspolitikerin im Bundestag in einen der sozialen Ausschüsse und hat im ZDK den Fachbereich Wirtschaft und Soziales geleitet.

Dass sie als Frau in einer Branche, die bei vielen unter Testosteronverdacht steht, Schwierigkeiten bekommen könnte, glaubt sie nicht. Dennoch bestehe dort deutlicher Nachholbedarf beim Thema Diversität. „Es gibt so viele überzeugende Nachweise, dass diverse Strukturen auch unternehmerisch erfolgreicher sind, etwa bei Transformationen“, so ihr Credo. Nur so entstünden kreative und produktive Diskurse.

Dabei sei Streit durchaus erwünscht. Der komme ihr auch in der Politik durchaus zu kurz. „Man muss streiten, sonst kommen die Dinge nicht voran.“ Opfer dieser Überzeugung könnte künftig auch die allzu gern ausweichende Kanzlerin werden – etwa, wenn es um die Klimaziele geht. Für die Bundeskanzlerin und auch für die Branche steht viel auf dem Spiel: Vermächtnis oder Verkaufszahlen.

Dieser Text ist in der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

Jetzt Ausgabe kaufen

 

 

 

 

 

 

Anzeige