Haushaltszahlungen und Steuereinnahmen - Wie viel Geld braucht die EU von Deutschland?

Mit dem Brexit entsteht eine Lücke im EU-Haushalt. Ginge es nach Günther Oettinger, sollte Deutschland diese Lücke schließen. Allein bis 2022 hat allein der Bund laut aktueller Steuerschätzung zusätzliche Steuereinnahmen von 10,8 Milliarden Euro. Das Geld sollte in Deutschland bleiben, findet Thilo Sarrazin

Olaf Scholz will die hohen Steuereinnahmen nutzen, um Bürger kleinen und mittleren Einkommen zu entlasten / picture alliance
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Autoreninfo

Thilo Sarrazin (SPD) war von 2002 bis April 2009 Finanzsenator unter Klaus Wowereit. Seit dem 1. Mai 2009 war er Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank. Im Sommer 2010 trat Sarrazin als Vorstand zurück, nachdem er mit der Buchveröffentlichung "Deutschland schafft sich ab" eine heftige Kontroverse losgetreten hat

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Der jährliche Haushalt der EU hat einen Umfang von rund 145 Milliarden Euro (2017). Deutschland ist traditionell der größte Nettozahler und zahlt jährlich rund 13 Milliarden Euro mehr in den Haushalt ein, als es daraus bezieht.

Durch den Austritt des zweitgrößten Nettozahlers Großbritannien gerät das ganze komplizierte System der Finanzierung des EU-Haushalts aus dem Tritt. Mittelfristig fehlen jährlich zehn bis elf Milliarden Euro. Diese Lücke wäre allerdings durch Einsparungen im Haushalt ohne weiteres zu schließen. Es ist schließlich nicht einzusehen, dass aus dem EU-Haushalt allein rund 56 Milliarden Euro jährlich in die Landwirtschaft fließen, das meiste davon in pauschale Flächensubventionen an Großgrundbesitzer. Die Kommission möchte zwar bei Agrarausgaben sparen, bei anderen Ausgaben dagegen deutlich zulegen. 

Zusätzliche Gelder aus Deutschland

Die zusätzlichen Lasten sollen nach dem Willen der EU-Kommission vor allem von Deutschland getragen werden. Der Haushaltskommissar Günther Oettinger erklärte vor einigen Tagen, dass Deutschland auf der Basis seines Vorschlags jährlich elf bis zwölf Milliarden Euro zusätzlich zahlen müssen. Die deutsche Nettobelastung soll sich also in etwa verdoppeln.

Die Kommission greift damit einen Ball auf, den ihr Deutschland selber zugespielt hatte: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat 2017 in seinem fehlgeschlagenen Wahlkampf behauptet, die Probleme Europas lägen an einem Mangel an Geld, und in Aussicht gestellt, dass Deutschland diesem Mangel durch mehr finanzielle Leistungen abhelfen werden. Dieser Irrtum fand indirekt auch Eingang in die Koalitionsvereinbarung. Er erleichtert jetzt Jean-Claude Juncker und Günther Oettinger das Geschäft bei der Begründung ihrer unverschämten Forderung.

Erfolge an der falschen Stelle

Sie setzen damit die Irrfahrt Europas fort. Denn die europäische Politik erzielte ihre selbsternannten Erfolge in den vergangenen Jahren an den falschen Stellen:

 •  Das wirtschaftlich unbedeutende und notorisch bankrotte Griechenland wurde mit Entschuldungshilfen in dreistelliger Milliardenhöhe und ungewissen Zukunftslasten in der EU und im Euroraum gehalten. 

 •  Des europäische Kernland Großbritannien, wirtschaftlich gesund und der zweitgrößte  Nettozahler in der EU, wurde dagegen mit Nickeligkeiten solange geärgert und kleinlich behandelt, bis sich die knappe Mehrheit seiner Bürger für den Brexit entschied. 

Reichtum auf Kosten anderer?

Was sagt man zur Forderung, dass künftig anstelle der ausgetretenen Briten vor allem Deutschland die Lücken füllen soll?

Immer wieder hören wir, Deutschland sei doch so reich. Oft wird unterstellt auch von anderen EU-Ländern, dass unser angeblicher Reichtum auf Kosten anderer geht. Das ist natürlich Unfug: Deutsche Waren und Produkte sind im Ausland sehr beliebt. Umgekehrt ist das weniger der Fall: Soviel französischen Rotwein und amerikanische I-Phones können die Deutschen gar nicht kaufen, wie sie beim Export von Autos und Maschinen einnehmen. 

Darum steigen die deutschen Vermögensanlagen im Ausland und ebenso die gewaltigen Kredite, die die Deutsche Bundesbank über das Target-System indirekt andern Euroländern gewährt. In der Bilanz des Eurosystems sind mittlerweile in den sogenannten Target-Salden 750 Milliarden zugunsten der Deutschen Bundesbank aufgelaufen. In diesem Umfang haben andere Euroländer Warenbezüge aus Deutschland mit Notenbankkrediten finanziert. 

Es gibt also gewaltige Ungleichgewichte in Europa. Sie haben nichts, reineweg gar nichts, mit Lücken im EU-Haushalt, aber sehr viel mit der Zwangsjacke des Euro und den Wettbewerbsmängeln der Volkswirtschaften der Südländer zu tun.

Ein Zeichen der europäischen Solidarität

Jetzt argumentieren viele, auch in Deutschland, dass zwölf Milliarden Euro mehr aus Berlin für Brüssel, für die reichen Deutschen gar kein Problem sein. Wenn es der EU nicht hilft, so wird es auch nicht schaden. In jedem Fall verbessert es die Atmosphäre und zeigt unseren guten europäischen Willen. Immerhin hatten die Öffentlichen Haushalte in Deutschland 2017 einen Überschuss von 36,6 Milliarden Euro. Ist es nicht fair, davon ein Drittel in europäische Solidarität zu investieren?

So kann man denken, aber ist das wirklich fair, und wem wird damit geholfen? 

 •  Seit Angela Merkel Kanzlerin wurde, stieg die Abgabenquote am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 38,2 auf 40,3 Prozent, das sind satte 68,5 Milliarden Mehreinnahmen jährlich rein auf Kosten der Bürger.

 •  Gleichzeitig hat der deutsche Staat wegen der Niedrigzinspolitik der EZB jährliche Zinsersparnisse von rund 49 Milliarden Euro, so hat es die Deutsche Bundesbank ausgerechnet.

Es besteht Nachholbedarf

Heimliche Steuererhöhungen und niedrige Zinsen haben zusammen den Staat um 117 Milliarden Euro entlastet. Da ist es keine Kunst, einen Haushaltsüberschuss von 36 Milliarden Euro zu erzielen. Finanzminister Wolfgang Schäuble und seine Kollegen in Ländern und Gemeinden kamen in den vergangenen Jahren quasi im Schlafwagen zu einer scheinbaren Haushaltssanierung. 

Scheinbar ist diese Sanierung, weil es bei der Qualität der staatlichen Aufgabenerfüllung an vielen Stellen lichterloh brennt:

 •  Unsere Infrastruktur bröckelt, auf vielen Autobahnen herrscht Dauerstau. 

 •  Die deutsche Art der Klimawende macht Energie nicht nur immer teurer, sondern ihr Angebot auch immer instabiler.

 •  Die Leistungen unserer Schüler sinken. Intelligenz und Wissen, die wichtigsten Rohstoffe Deutschlands und der eigentliche Garant unseres Wohlstands, werden künftig immer knapper.

 •  Die direkten und indirekten Ausgaben für die Folgen der Masseneinwanderung steigen und liegen jetzt bei rund 30 Milliarden Euro im Jahr. Sie bilden heute schon eine Zukunftslast von vielen 100 Milliarden Euro.

 •  Die Verwaltungsgerichte ächzen unter einer Überlast. Zu 80 Prozent befassen sie sich nur noch mit Asylverfahren.

 •  Der Rentnerberg, der in wenigen Jahren droht, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der sechziger Jahre in Pension gehen, ist immer noch unfinanziert, obwohl man seit 40 Jahren Zeit hatte, sich auf ihn vorzubereiten.

 •  Die Bundeswehr ist ein Trümmerhaufen, mit ihren traurigen Resten ist konventionelle Verteidigung in Europa tatsächlich unmöglich geworden. Um die jährliche Annäherung unserer Militärausgaben an das Nato-Ziel von 2 Prozent des BIP wird ein kleinlicher Streit geführt. 

Kurzum: Auf vielen Gebieten öffentlicher Aufgabenerfüllung in Deutschland sind zwölf Milliarden Euro weitaus besser angelegt als in der Aufblähung europäischer Subventionen.  

Zunächst aber würde ich vorrangig dem Bürger die heimlichen Steuererhöhungen zumindest teilweise zurückgeben.
 

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