Bauernproteste bei der Grünen Woche - Was der Bauer nicht kennt

Deutschlands Bauern fühlen sich nicht mehr von der Bundesregierung vertreten. Bei der „Grünen Woche“ in Berlin wollen sie gegen das geplante Agrarpaket demonstrieren. Aber können sie die Ökowende noch aufhalten?

Wut auf die Regierung: Die Bauern fühlen sich als Opfer des Klimaschutzes / picture alliance
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Am Freitag öffnet die Internationale Grüne Woche (IGW) in den  Messehallen am Berliner Funkturm für eine Woche ihre Tore. Bei der weltweit größten  Verbraucherschau für Landwirtschaft, Ernährung und Gartenbau werden auch in diesem Jahr wieder rund 400.000 Besucher und mehr als 1800 Aussteller aus 61 Ländern erwartet. Doch die IGW ist mehr als ein Magnet für „Häppchenjäger“, sie ist auch ein wichtiges Forum für die Agrar- und Verbraucherpolitik. Veranstaltet wird sie zwar von der Messe Berlin, als Träger fungieren aber der Deutsche Bauernverband (DBV) und die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). 

Doch der Konsens bei der Förderung der Agrarwirtschaft ist längst zerbrochen. Zunächst waren es Umwelt- und Naturschutzverbände, die zusammen mit ökologischen und kleinbäuerlichen Anbauverbänden gegen Massentierhaltung, den ausufernden Einsatz von Pestiziden, Antibiotika und Düngemitteln auf die Straße gingen. Auch an der EU-Subventionspolitik, die vor allem an der Förderung der hochindustrialisierten Landwirtschaft orientiert ist, entzündete sich die Kritik. Nunmehr zum 10. Mal wird am Sonnabend das Bündnis „Wir haben es satt“ anlässlich der Grünen Woche mit einigen 1.000 Teilnehmern aus dem ganzen Bundesgebiet in der Hauptstadt demonstrieren.

Entfremdung vom Bauernverband 

In der ersten Jahren bewegte sich dieses Bündnis in einer „grünen Nische“ und entwickelte, abgesehen von ein paar kleineren Erfolgen, wenig Durchschlagskraft. Doch der Wind hat sich gedreht. Das Bienensterben, der drastische Rückgang der Artenvielfalt in Flora und Fauna und nicht zuletzt die Klimadebatte haben zu einem Umdenken in großen Teilen der Bevölkerung geführt, die Debatte um das möglicherweise krebserregende Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat schlägt hohe Wellen.

Sogar das scheinbar unverbrüchliche Bündnis zwischen CDU/CSU, FDP und auch Teilen der SPD mit dem einst mächtigen DBV hat mittlerweile deutliche Risse bekommen. Zumal der Bundesregierung die Europäische Kommission beharrlich im Nacken sitzt und auf die Einhaltung der seit einigen Jahren verbindlichen Grenzwerte für die Nitratbelastung von Gewässern pocht. Es drohen noch in diesem Jahr empfindliche Strafzahlungen von 800.000 Euro pro Tag.

Die Protestwelle rollt weiter 

Die Bundesregierung scheint den Schuss gehört zu haben und hat im September vergleichsweise zügig ein „Agrarpaket“ geschnürt, das unter anderem eine restriktivere Düngemittelverordnung und ein umfassendes Insektenschutzprogramm beinhaltet und noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll. Auch ein Verbot von Glyphosat ist vorgesehen, allerdings erst für Ende 2023. 

Unter den Bauern sorgt dieses Agrarpaket für beträchtlichen Unmut. Quasi aus dem Nichts entstand das Bündnis „Land schafft Verbindung“ (LSV) , das seit Oktober mit mehreren Großdemonstrationen, unter anderem im November in Berlin mit 40.000 Teilnehmern und über 8.000 Traktoren auf sich aufmerksam machte. Dem DBV, der eher auf traditionelle Lobbypolitik in den Hinterzimmern der Macht setzt, ist die Kontrolle über diese Bewegung vollkommen entglitten. Zwar hat sich dieses Bündnis entlang von Differenzen über die Vorgehensweise und wohl auch aufgrund persönlicher Animositäten mittlerweile gespalten, doch die Protestwelle rollt weiter. Am Freitag, einen Tag vor der ökologisch orientierten „Wir haben es satt“-Demo, wollen erneut LSV-Anhänger die Berliner Innenstadt mit Traktoren teilweise lahmlegen.

„Entweder wir sterben, oder wir wehren uns“

Augenfällig ist, dass sich die noch junge Bewegung teilweise deutlich radikalisiert hat. Sie lehnt das „Agrarpaket“ in Gänze ab und fordert im Prinzip, das alles so bleibt, wie es ist. Also kein Insektenschutzprogramm und keine weiteren Restriktionen beim Düngemitteleinsatz. Die Argumentationsmuster erinnern stark an die Klimaschutzdebatte und sind teilweise sogar deckungsgleich. Die überhöhte Nitratbelastung von Gewässern durch Überdüngung wird ebenso bestritten wie die negative Klimabilanz der industriellen Landwirtschaft und der Einfluss von Pestiziden auf das Artensterben. Globale, nahezu absurde Schadensketten wie die Futtermittelproduktion auf abgeholzten Regenwaldflächen und deren Verwendung in der stark exportorientierten deutschen Fleischproduktion werden schlicht ignoriert.

Statt dessen werden die „Wettbewerbsfähigkeit“ der deutschen Landwirtschaft und deren drohende Vernichtung beschworen. „Entweder wir sterben oder wir wehren uns“, sagte LSV-Sprecher Dirk Andrehen in einem im Internet verbreiteten Video. Die Bauern würden „zum Schafott geführt“. Dazu passt, dass man für gemeinsame Aktionen auch Bündnisse mit Gruppen wie „Fridays for Hubraum“ sucht, einer Art autonomer Autofreunde-Lobby, die den schädlichen Einfluss von PKW-Abgasen oder auch von CO2 allgemein auf das Klima bestreitet und über 500.000 registrierte Unterstützer hat.

Ist Hühnerfrikassee nach Afrika noch zeitgemäß?  

Mit ihren Protesten erzielen die Bauern durchaus eine gewisse Wirkung. Der Unterstützung der Oppositionsparteien FDP und AfD können sie sich sowieso sicher sein, aber auch in der CDU/CSU gibt es erste Absetzbewegungen vom „Agrarpaket“ - vor allem bei Abgeordneten aus stark landwirtschaftlich geprägten Regionen. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Silvia Breher (Wahlkreis Cloppenburg-Vechta) warnte am Montag davor „dass uns die Bauern davonlaufen“, und in der CSU mehren sich die Stimmen derjenigen, die den protestierenden Bauern „Nachbesserungen“ beim Agrarpaket versprechen. Auf der anderen Seite werden sich die Unionsparteien wohl kaum als diejenigen vorführen lassen wollen, die aufgrund von ein paar Protesten Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt und des Grundwassers blockieren.  

Rund um die Grüne Woche werden diese Debatten jedenfalls große Aufmerksamkeit erzielen.  Doch es gibt kein Zurück mehr. Die deutsche Landwirtschaft wird sich – ähnlich wie die Automobil- und Kohleindustrie – an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen müssen. Sie muss besser werden, im Sinne von ökologisch vertretbarer Produktion hochwertiger Nahrungsmittel für die Versorgung der Bevölkerung – und nicht für den Massenexport von Schweinefüßen und Hühnerkarkassen nach China oder Afrika. Wenn sich die Bauern mehrheitlich gegen diese Agrarwende stemmen, dann sind sie tatsächlich in ihrer Existenz bedroht. Die Politik muss dafür Leitplanken setzen, Anreize schaffen und Geld für den Strukturwandel in die Hand nehmen. Das Agrarpaket ist ein erster, zaghafter Schritt in diese Richtung, weitere müssen folgen.  

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