GDL will Bahn-Gewerkschaft EVG verdrängen - Claus Weselsky bläst zur Attacke

Die Deutsche Bahn will die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) aus dem Konzern drängen und Tarifverträge nur noch mit der handzahmen Hausgewerkschaft EVG abschließen. Doch der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky gibt sich nicht geschlagen – und dreht den Spieß um.

GDL-Chef Claus Weselsky: „Die Bahn hat den Fehdehandschuh in den Ring geworfen“ / dpa
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Der 19. November 2020 hat durchaus das Zeug, in die Annalen der deutschen Gewerkschaftsgeschichte einzugehen. Denn selten hat ein Gewerkschaftsführer eine derartig kompromisslose Kampfansage an seine „Tarifpartner“ gesendet wie Claus Weselsky, der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), am heutigen Donnerstag in Dresden bei einer Online-Pressekonferenz.

Hintergrund ist die vor einer Woche gescheiterte Schlichtung bei der Deutschen Bahn AG. Das Unternehmen hatte von der GDL verlangt, einen „Sanierungstarifvertrag“, den sie mit der konkurrierenden, zum DGB gehörenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im September vereinbart hatte, zu übernehmen, was die GDL kategorisch ablehnte.

Die EVG sollte die Tarifhoheit erhalten

Viel gravierender war allerdings, dass der Konzern von der Gewerkschaft auch verlangte, ihre bislang geschlossenen Tarifverträge abzuwickeln und alle künftigen Abschlüsse der Tarifhoheit der EVG zu unterstellen. Dabei beruft sich der Konzern auf das seit 2015 geltende Tarifeinheitsgesetz, welches der jeweils mitgliederstärksten Gewerkschaft in einem Unternehmen die Tarifmacht einräumt. Ein zwischen Bahn und GDL vereinbartes Moratorium zur Anwendung des Gesetzes läuft Ende Dezember aus und wird von der Bahn nicht verlängert.

Weselsky begreift das als Herausforderung: „Die Bahn hat den Fehdehandschuh in den Ring geworfen, und den werden wir aufnehmen“. Die GDL sei „keinesfalls bereit, die hart erkämpften tarif- und sozialpolitischen Errungenschaften an der Garderobe abzugeben und ihre Mitglieder der gemeinsamen Willkür der DB und der „Einkommens-Verringerungs-Gesellschaft“ (EVG) preiszugeben“.

„Willfähriger Steigbügelhalter“

Künftig werde man nicht mehr nur für Lokführer und andere Berufsgruppen des Zugpersonals, sondern für „alle systemrelevanten Berufsgruppen bei Eisenbahnverkehrs- und Infrastrukturunternehmen Verantwortung übernehmen“ und diese „in einer Gewerkschaft vereinen, die diesen Namen auch verdient hat“.

Dazu gehören laut Weselsky unter anderem Werkstattmitarbeiter, Wagenmeister, Fahrdienstleiter, Signaltechniker, Aufsichten und andere Mitarbeiter des direkten Personals. Die EVG habe viel zu lange als „allzeit willfähriger Steigbügelhalter des Arbeitgebers die Drecksarbeit für die DB übernommen“, wenn es darum ging, die Löhne zu drücken.

Weselsky will die EVG verdrängen

Damit sei jetzt Schluss: Man werde als bald mitgliederstärkste Gewerkschaft im Eisenbahnsystem die EVG „verdrängen“, so seine klare Ansage. Das sei auch kein Pfeifen im Walde, man wisse, „dass viele Kollegen auf einen solchen Schritt warten“ und werde „die ganze Erfahrung und Power der GDL investieren, um diese Erwartungen auch zu erfüllen“. Sie alle seien „mehr wert als 0,75 Prozent Einkommenserhöhung pro Jahr“, wie sie Bahn und EVG im September in dem Sanierungstarifvertrag vereinbart haben.

Derweil würden sich „die Führungskräfte des Konzerns weiter die Taschen füllen“, obwohl sie in steter Regelmäßigkeit etliche Milliarden in abenteuerlichen, „eisenbahnfremden Investments in allen Teilen der Welt verpulvert haben“. 

Keine „Wasserträger des Managements“

Für die 1867 als Standesvertretung der Lokomotivführer gegründete Gewerkschaft, die sich 2002 für weitere Berufsgruppen des Fahrpersonals öffnete und die Tarifgemeinschaft mit den anderen Bahn-Gewerkschaften wegen deren Zustimmung zu Reallohnsenkungen im Zuge der Börsenpläne des Konzerns aufkündigte, wäre dies ein historischer Schritt, der aber, so Weselsky, angesichts der Zuspitzung des Konflikts unausweichlich sei.

„Ab sofort übernehmen wir Verantwortung für alle Herzstücke des Eisenbahnverkehrs in Deutschland. Und wir dulden es nicht länger, dass eine Gewerkschaft, die nur der Wasserträger des Managements ist, die Vertretung vom Kollegen in ehrenwerten Berufen simuliert“.  

Ausdrückliche Zustimmung für den Vorstoß kam am Donnerstag auch von Ulrich Silberbach, dem Vorsitzenden des Deutschen Beamtenbundes (dbb tarifunion), dem die GDL angehört.

Frischer Wind für die Gewerkschaftsbewegung

Eines ist jedenfalls klar: Die sich jetzt anbahnende Auseinandersetzung bietet kaum Spielraum für Kompromisse. Die GDL stellt offen die Machtfrage im wichtigsten öffentlichen Infrastrukturkonzern. Sie legt sich dabei nicht nur mit der Konzernspitze, sondern auch mit der Politik und dem dort gut vernetzten Deutschen Gewerkschaftsbund an. Das ist ambitioniert, aber schließlich geht um ihre nackte Existenz.

Viel Zeit hat sie nicht, ihre Kampfansage zu untermauern. Am 28. Februar laufen ihre bislang gültigen Tarifverträge bei der Bahn AG aus, bis dahin herrscht Friedenspflicht. Doch dann muss sie beweisen, ob es ihr tatsächlich gelungen ist, eine große, mächtige Einheitsgewerkschaft für den gesamten Schienenverkehr zu schmieden.

Weselsky gibt sich zuversichtlich. Man werde selbstbewusst in die Auseinandersetzung gehen, und dass die GDL die Kraft habe, ihre Forderungen auch mit Arbeitskämpfen durchzusetzen, „sollte sich beim Bahn-Management eigentlich rumgesprochen haben“. Für die festgefahrenen Strukturen der deutschen Gewerkschaftsbewegung könnte das jedenfalls eine heilsame Explosion bedeuten. Und für den maroden Staatskonzern auch.

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