Geisterspiele in der Fußball-Bundesliga - Nehmt die Maske endlich ab!

Die Fußball-Bundesliga plant wegen Corona Geisterspiele. Absurd? Sicher. Moralisch verwerflich? Vielleicht. Aber der einstige Volkssport hat sich dem Markt ohnehin vollkommen ausgeliefert. Der Fußball sollte die Zeit der Krise nutzen, sich endlich ehrlich machen und sich für einen Weg entscheiden.

Eine ganz spezielle Blase: Die Allianz-Arena in München
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Christian Bartlau ist freier Journalist und lebt in Österreich. 2019 hat er im Papyrossa-Verlag sein Buch „Ballverlust: Gegen den marktkonformen Fußball“ veröffentlicht.

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Wenn das hier der sonntägliche Fußball-TV-Stammtisch „Doppelpass“ wäre, wären gleich mal fünf Euro für das Phrasenschwein fällig. Aber es stimmt nun einmal: In der Krise zeigt sich der wahre Charakter. Das gilt auch für den deutschen Profifußball, der sich in diesen Wochen selbst enttarnt – wenn auch nicht ganz freiwillig.

Ein Geständnis entfuhr Christian Seifert am 16. März. Auf einer Pressekonferenz redete der Chef der Deutschen Fußball Liga (DFL), des Zusammenschlusses der Klubs aus Liga 1 und 2, über die Corona-Krise: „Vielleicht kommen wir nun an einen Punkt“, sagte er, „an dem wir uns eingestehen müssen, dass wir ein Produkt herstellen. Wenn es dieses Produkt nicht mehr gibt, gibt es uns nicht mehr.“

Eine spezielle Blase für die Kicker

Ab Mai will die Bundesliga den Spielbetrieb wiederaufnehmen. Inmitten einer Pandemie, in der zehntausende Amateurvereine um ihre Existenz bangen. Ohne Zuschauer, die gerade ohnehin ganz andere Sorgen haben. Die organisierten Fan-Szenen haben sich in einem Statement klar gegen die Fortsetzung der Saison ausgesprochen, die „blanker Hohn gegen den Rest der Gesellschaft wäre“. Laut einer Umfrage des WDR votiert nur eine knappe Mehrheit der Bevölkerung dafür, ein denkbar schlechtes Ergebnis für den Lieblingssport der Deutschen.  

Medizinisch sind Geisterspiele machbar, sagte der Virologe Alexander Kekulé vor einigen Wochen. Man müsse nur „eine spezielle Blase“ für die Kicker schaffen, 20.000 Tests brauche es dafür bis Saisonende. Wie gesagt: machbar. Aber moralisch zu rechtfertigen, wenn zeitgleich Krankenpflegerinnen ohne ausreichende Schutzausrüstung wichtigen Dienst für die Gesellschaft leisten? Eher nicht.

In der speziellen Blase, die nun angeblich geschaffen werden müsste, hat sich der Profifußball aber ohnehin seit Jahren eingenistet. Hier zählt nicht Moral. Hier zählt das Geschäft. Das ist also keine überraschende Wendung. So betrachtet ist das Weitermachen-auf-Teufel-komm-raus nicht absurd oder unsensibel, sondern schlicht überlebensnotwendig – und vielleicht sogar, die nächsten fünf Euro ins Phrasenschwein: eine Chance in der Krise.

Trotzdem stellt die Entscheidung pro Geisterspiele eine Zäsur dar: Der Profifußball sollte sich als spätestens jetzt von seiner noch immer gepflegten Lebenslüge verabschieden, er hätte noch irgendetwas mit dem Volkssport zu tun. Die Zeit ist reif für eine abgeschlossene Elite-Liga, powered by Red Bull.

Wo ist das ganze Geld hin?

An die Absurditäten der Kommerzialisierung des Fußballs hat man sich in den letzten Jahren mehr oder weniger gewöhnt. Es bleibt nur das Erstaunen, was sich Fans noch immer alles bieten lassen, ohne dass sich die Stadien leeren oder die Einschaltquoten sinken. Um nur einiges zu nennen: Das ist die nach Katar vergebe Fifa-Fußball-WM, irrwitzige Millionen-Transfersummen, immer neue Turnierformate und Anstoßzeiten quasi rund um die Uhr.

Umso erstaunlicher werden für viele Menschen die Alarmsignale aus der DFL-Zentrale Mitte März gewesen sein: 13 der 36 DFL-Vereine wandeln am Abgrund, hieß es da plötzlich, ohne Geisterspiele würden an sieben Standorten noch im Mai die Flutlichter ausgehen. Dabei hatte der Ligaverband noch vor zwei Monaten einen neuen Rekordumsatz von 4,8 Milliarden Euro vermeldet.

Vielleicht ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um zu erklären, wo das ganze Geld aus dem globalen Fußball-Boom geblieben ist: Der Löwenanteil wird auf dem Spielermarkt hin- und her sowie in die Taschen von Spielern, Beratern und Agenturen geschoben. In der Saison 2017/18 kassierten Spielerberater allein in Liga 1 und 2 fast 200 Millionen Euro. Wer zu Geld kommt, steckt es sofort in den Kader, um sich den nächsten Erfolg zu kaufen, nennenswerte Gewinne schreiben international nur ein paar dutzend Klubs. Langfristig profitieren nur jene, die sich den Fußball als Werkzeug für ihre Interessen halten: Sponsoren, Investoren, Autokraten.

Die deutsche Liga als Krisengewinnler?

Schon vor Corona sah es so aus: Wer gut wirtschaftet, geht jede Saison ein kalkuliertes Risiko ein, wer schlecht wirtschaftet, hangelt sich von Spielzeit zu Spielzeit. Für diesen Überlebenskampf werden die Stadionbesucher tatsächlich immer unwichtiger – die Spieltagserlöse tragen laut DFL-Finanzreport 2020 nur noch 12,9 Prozent zu den Gesamteinnahmen bei, der Übertragungsrechte-Verkauf hingegen fast 37 Prozent. In der englischen Premier League, die mit TV-Rechten noch mehr Geld scheffelt, würden einige Vereine selbst ohne einen einzigen Zuschauer auf den Rängen noch schwarze Zahlen schreiben. Für die unteren Ligen gilt das nicht, ganz zu schweigen von Sportarten wie dem Eishockey – die deutsche Liga stoppte hier den Betrieb mitten in der entscheidenden Phase abrupt, weil jedes Geisterspiel vor leeren Rängen Unsummen verschlungen hätte.

Die deutsche Bundesliga hingegen könnte mit Geisterspielen nicht nur ihre Vereine retten, sondern sie im internationalen Wettbewerb um TV-Gelder prominent im Schaufenster platzieren: Die Premier League kann wohl erst ab Juni wieder spielen, die Lage in Italien ist unklar, in Spanien deutet sich ein Abbruch an – die ganze Fußballwelt würde also nach Dortmund, Berlin und Frankfurt blicken. Nicht zu vergessen der milliardenschwere Wettmarkt, der nach Spielen dürstet. Nie wieder dürfte so viel Geld auf Köln gegen Mainz gesetzt werden wie am nächsten Spieltag.

Entscheide dich, Fußball

Was aber, wenn die Rechnung nicht aufgeht? Wenn Standorte wackeln, weil Firmen sich das teure Sponsoring nicht mehr leisten wollen und können, weil die Ticket-Erlöse länger fehlen, als gehofft? Dann könnte der Fußball wie die Politik an seiner Verfasstheit rütteln – schon jetzt diskutiert die Branche, ob die sogenannte 50+1-Regel fallen muss, Heiligtum der deutschen Fußballkultur:

In der Bundesliga treten derzeit nur noch fünf reine Mitgliedervereine gegen dreizehn Kapitalgesellschaften an. Bei ihnen stellt die 50+1-Regel sicher, dass auch hier ihre Stammvereine eine Mehrheit von mindestens 50 Prozent plus einem Anteil an diesen Ausgliederungen halten. Es ist ein Stoppschild für Investoren, die ungern Geld geben, ohne das Sagen zu haben.

Der „Kicker“ zitierte zuletzt einen Investment-Experten mit den Worten, die Bundesliga sei „im Fokus“ einiger Fonds. Die deutschen Traditionsvereine im Besitz von Heuschrecken – das ist der Albtraum vieler Kurven. Wobei sie sich die Frage stellen müssen, ob die real existierende Bundesliga tatsächlich so viel besser ist.

Der Fußball hat zwei Optionen

Denn längst hat sich auch der Profifußball in Deutschland hemmungslos der Profitlogik hingegeben: Gut ist, was Geld bringt. Dabei verliert der Fußball seine Seele, hört man oft, eine etwas verschwurbelte Formulierung für eine Entwicklung, die mit Fakten belegbar ist. Sepp Herberger hat das Grundversprechen des Fußballs einmal so ausgedrückt: Die Leute gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht. Das war einmal. Nun gilt: Fußball ist ein Spiel von 22 Leuten, die einem Ball hinterherjagen. Und am Ende gewinnen die Reichen.

Seit dem FC Porto im Jahr 2005 hat kein Verein ehr außerhalb der fünf großen Ligen die Champions League gewonnen. Der Punkteschnitt sowie die Torausbeute der Ersten der Gruppenphase steigt ständig, weil sie nicht mehr gegen die „Kleinen“ verlieren. Auch die deutschen Fans kennen diese Tendenz zu Genüge. Schnelles Quiz: Wann war der FC Bayern letztmals nicht Deutscher Meister? Na?

Ein Solidarfonds?

Weil die Branchen-Supermächte geschwächt, aber noch immer weit stärker als die kleinen Vereine aus der Krise kommen werden, werden die gar nicht so feinen Unterschiede weiter einzementiert. Will die Liga den Wettbewerb spannend halten, muss sie sich etwas einfallen lassen. Vielleicht eine Art Sozialdemokratisierung des Fußballs – eine gerechtere Verteilung der TV-Gelder zum Beispiel, einen echten Solidarfonds, vielleicht sogar eine Obergrenze für Gehälter.

Nur: Wer hätte daran ein Interesse? Der FC Bayern, der BVB und RB Leipzig sicher nicht, die mit der internationalen Elite um die Fleischtöpfe der Champions League balgen. Auch nicht Christian Seifert, der um die TV-Rechte pokert. Weil der deutsche Profifußball keine andere Idee von sich entwickelt hat, als das Rattenrennen um das große Geschäft mitzumachen, wäre schon ein derart leichter Kurswechsel ein radikaler Schritt – und damit eher unwahrscheinlich.

Eine rein privatwirtschaftliche Liga?

Wenn der deutsche Profifußball sich weiter als Produkt begreifen will, könnte er auch einen ähnlich radikalen, aber komplett entgegengesetzten Weg gehen – den der amerikanischen Profiligen. Eine privatwirtschaftlich organisierte Liga, in der die Eigentümer der Klubs, allesamt Multimillionäre und Milliardäre, die Einnahmen unter sich aufteilen. Einen Auf- und Abstieg gibt es nicht, nur sündhaft teure Lizenzen.

Jeder Klub muss mit einem fixierten Gehaltsbudget haushalten – es gewinnt, wer clever ist, nicht wer das meiste Geld ausgeben kann. Ein ähnliches Modell skizzierte übrigens der Geheimplan für eine europäische Superliga. Natürlich wäre das der endgültige Sieg des Kommerzes. Aber es wäre wenigstens ehrlich. Und die Fans können selbst entscheiden, ob sie den Quatsch mitmachen wollen. Oder ob so eine Liga dann immer vor leeren Rängen spielt, mit oder ohne Pandemie.

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