Friedrich Merz - „Es müsste eine 'Agenda für die Fleißigen' geben“

Der Vizepräsident des CDU-Wirtschaftsrates, Friedrich Merz, sieht Deutschland vor der größten industriellen Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Zur drohenden Rezession komme ein nie da gewesener Strukturwandel. Höhere Abgaben und Steuererhöhungen seien völlig fehl am Platz

Friedrich Merz: „Agenda für die Fleißgen“ / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Herr Merz, Deutschland droht eine Rezession. Was macht die Regierung falsch?
Wirtschaftspolitisch sind die letzten Jahre im Großen und Ganzen ja gut gelaufen, wir sind nicht zuletzt durch die seinerzeitigen Entscheidungen der Bundesregierung gut und sehr schnell durch die Finanzkrise gekommen. Gleichzeitig hat die deutsche Wirtschaft vor allem im Export viel Erfolg gehabt. Allerdings gab es für diesen Erfolg neben der Qualität der Produkte eine ganz wesentliche Ursache: Wir haben sehr davon profitiert, dass die EZB den Euro künstlich immer weiter geschwächt hat, damit wurden unsere Exporte immer wettbewerbsfähiger.

Und dieser Vorteil besteht nicht mehr?
Dieser Vorteil neigt sich jetzt dem Ende zu, da andere Industrieländer, vor allem China und die USA, aber auch viele kleinere Länder, aufholen. Hinzu kommt, dass wir uns im zyklischen Abschwung der Konjunktur befinden. Auf diese Herausforderung hat die Bundesregierung erkennbar keine Antwort. Im Gegenteil, die Große Koalition beschließt weitere Ausgaben und diskutiert Steuererhöhungen in den Abschwung hinein. Das löst bei Verbrauchern und in der Industrie gleichzeitig sehr große Verunsicherung aus.

Was fordern Sie stattdessen, vielleicht eine „Agenda 2030“?
Eine „Agenda 2030“ müsste die Frage in den Vordergrund stellen, wie die Arbeitsplätze in unserer Industrie für die nächsten 10 Jahre gesichert werden können bei gleichzeitiger Erfüllung der Klimaschutzziele. Außerdem müssten aber die Fleißigen in unserem Land einmal gefördert und unterstützt werden, denn sie sind es, die letztlich auch unseren Sozialstaat finanzieren. Es müsste also auch eine „Agenda für die Fleißigen“ geben.

Wie immens sind die jetzigen Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft?
Wir stehen vor der größten industriellen Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Globalisierung und Digitalisierung sind so massive Veränderungen, dass man schon fast von „schöpferischer Zerstörung“ sprechen müsste. Es entsteht viel Neues, aber fast alle alten Industrien und Produktionsmethoden werden auf den Prüfstand gestellt. Eine solche Veränderung hat es in so kurzer Zeit noch nie gegeben.

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Einige große Mittelständler haben entgegen ihrer Mentalität erkannt, dass es durchaus angezeigt ist, dass der Staat nun auch massiv industriestrategisch eingreift und investiert, etwa in Infrastruktur. Sehen Sie das so, wie ihr Parteikollege und Wirtschaftsminister Peter Altmaier?
Deutschland und die Europäische Union brauchen durchaus eine abgestimmte Industriestrategie. Das betrifft aber zu allererst die Rahmenbedingungen etwa bei Forschung und Entwicklung, Steuern und Abgaben sowie die Ausgestaltung des Arbeitsmarktes. Der Staat und auch Europa sollten sich aber davor hüten, einzelne Industrien oder gar einzelne Technologien festzulegen, die sie für besonders förderungswürdig und zukunftsfähig halten. Das wissen die einzelnen Unternehmen und unsere Ingenieure allemal besser als der Staat.

Die EU27 wirken in der Frage des Brexits geschlossen. Dennoch schrumpft die EU mit diesem Austritt, die politische und wirtschaftliche Situation in Italien machen Sogen. Die Visegrad-Staaten wirken wie ein eigener Block. Warum sucht sich Deutschland eigentlich keine verlässlicheren Partner, vielleicht sogar außerhalb der EU?
Henry Kissinger hat einmal gesagt: „Deutschland ist für die Welt zu klein und für Europa zu groß.“ In diesem Satz steckt viel Wahres, auch in der Wahrnehmung unserer Größe durch unsere europäischen Nachbarn. Aber wir sollten uns keinen Illusionen hingeben: Wer es gut meint mit Deutschland, der muss dafür sorgen, dass Europa stark bleibt. Oder, um es einmal mit Jean-Claude Juncker zusagen, Europa muss „weltpolitikfähig“ werden, und daran müsste Deutschland ein besonders großes Interesse haben.

Befürchten Sie bei einem weiteren wirtschaftlichen Abschwung einen weiteren Aufschwung für die AfD?
Wir haben es augenscheinlich mit einer grundlegenden Verschiebung innerhalb unseres Parteiensystems zu tun, die vor allem die beiden Volksparteien besonders trifft. Es kommen außerdem strukturelle Unterschiede zwischen Ost und West hinzu, die die Sache nicht leichter macht. Ich würde mich ausgesprochen unwohl fühlen, wenn es in einem solchen Prozess der AfD gelingen würde, sich als wesentlicher politischer Faktor in der deutschen Parteienlandschaft dauerhaft zu etablieren. Das zu verhindern, ist nicht allein, aber vor allem eine Aufgabe der Union aus CDU und CSU.

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