Erdgas aus Deutschland - Kippt das Fracking-Verbot? Geologen springen Christian Lindner bei

Die FDP will mehr Erdgas in Deutschland fördern. Dazu ist die Fracking-Technologie notwendig. Doch dagegen wehren sich die Grünen. Nun haben sich renommierte Geologen in die Debatte eingeschaltet. Sie wollen mit Vorurteilen aufräumen und sehen in der heimischen Gasgewinnung großes Potenzial.

„Modernes Leben ist momentan ohne Erdgas nicht vorstellbar“: Fracking-Anlage in Großbritannien / dpa
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Robert Horvath hat Biochemie und Kommunikations-wissenschaften studiert. Derzeit absolviert er ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Laut Bundesnetzagentur sind die deutschen Gasspeicher zu mehr als 99 Prozent gefüllt. Doch diese Erfolgsmeldungen sind trügerisch. Denn mit fallenden Temperaturen des bevorstehenden Winters schmelzen die Vorräte schneller dahin, als das Gas ersetzt werden kann. Grund dafür sind die ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland. Sie haben eine gewaltige Lücke in die nationale Gasversorgung gerissen. Die Auswirkungen auf Bevölkerung und Wirtschaft sind massiv: Strom- und Gaspreise schießen in die Höhe, Produktionen werden zurückgefahren oder ausgesetzt, erste Insolvenzen werden angemeldet.

Vor allem mit erhöhten Importen aus den Niederlanden und Norwegen versucht die Bundesrepublik diesen Wegbruch auszugleichen, doch auch wenn man das Flüssiggas aus den Vereinigten Staaten mit einkalkuliert, wird das fehlende russische Gas in unmittelbarer Zukunft nicht zu substituieren sein. Deshalb hat FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner nun einen Tabubruch gewagt. Er fordert, dass Deutschland seine eigenen Gasvorkommen aus dem Boden holen soll – und zwar mittels Fracking. Er halte es für „nicht verantwortbar“, in der jetzigen Lage darauf zu verzichten.

Bundestag müsste Fracking-Verbot abschaffen

Das Problem ist: Seit 2017 ist die Fracking-Technologie zur Gewinnung von Erdgas aus bestimmten Gesteinsschichten in Deutschland verboten. Der Bundestag müsste daher zunächst die entsprechenden Gesetze ändern. Dafür gäbe es zwar bereits eine parlamentarische Mehrheit. Denn aus Union und AfD kamen bereits ähnliche Forderungen. Allerdings spielt Lindners Koalitionspartner bislang nicht mit: Für die Grünen, die das Fracking-Verbot maßgeblich mit erkämpft haben, ist das Thema fast so heikel wie die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. 

Nun haben sich Fachleute in diese politische Diskussion eingemischt und eindeutig Stellung bezogen. Der Berufsverband Deutscher Geowissenschaftler ruft zur „umweltfreundlichen Schiefergasgewinnung in Deutschland durch Fracking“ auf. So lautete der Titel einer Pressekonferenz des Verbandes, bei der sich namhafte Experten diese Woche für die Anwendung der umstrittenen Fördermethode ausgesprochen haben.

Von Importen abhängig

Christoph Hilgers, Geologie-Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sagt: „Modernes Leben ist momentan ohne Erdgas nicht vorstellbar.“  Um neben russischem auch unabhängiger von Erdgasimporten anderer Länder, wie zum Beispiel den USA, zu werden, schlagen er und die anderen drei eingeladenen Fachleute eine unideologische, nüchterne und rationale Neubewertung heimischer Erdgasförderung durch Fracking vor. Derzeit importiert die Bundesrepublik gefracktes Flüssiggas aus den USA, lehnt dieselbe Fördermethode auf eigenem Staatsgebiet aber ab.

Bis zu 3020 Milliarden Kubikmeter des Rohstoffs werden in hiesigen Böden vermutet. Zwar könnte man diesen und nächsten Winter noch keine nennenswerten Gasmengen gewinnen, selbst wenn es zu einem zügigen Umdenken in der Politik kommt, sagt Hans-Joachim Kümpel, ehemaliger Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Doch bereits in drei bis vier Jahren wären Fördermengen, die 40 Prozent des russischen Gases ersetzen, vorstellbar – und dies für viele Jahrzehnte.

Risiken beherrschbar

Dieselbe Jahresmenge an heimischem Erdgas, 20 Milliarden Kubikmeter, sei noch vor ungefähr 20 Jahren mit konventionellen Methoden gefördert worden. Doch diese Reserven sind nun weitestgehend erschöpft, so der Geologe. Daher müsse in Erwägung gezogen werden, möglichst bald auf die Reserven zuzugreifen, die ausschließlich durch das Fracking zugänglich seien.

 

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Doch was passiert eigentlich beim Fracking und warum sind Hilgers und Kümpel der Überzeugung, dass diese Technologie umweltfreundlich und unproblematisch ist? Mit bereits über drei Millionen Bohrungen in den USA sei das Fracking mittlerweile technologisch etabliert und wissenschaftlich gut untersucht, betonen sie.

Grundwasser bleibt unberührt

Zuerst wird dabei wenige Kilometer in die Tiefe gebohrt, bevor die Bohrung horizontal für bis zu weitere zehn Kilometer fortgesetzt wird. Ab Tiefen von 3000 bis 5000 Metern wird im folgenden Schritt das sogenannte Fracfluid, bestehend aus Wasser, Chemikalien und Sand, mit hohem Druck in das Bohrloch geleitet, woraufhin kleinste Risse im gashaltigen Schiefergestein oder Kohleflötz entstehen. Durch den mitgeführten Sand werden die Risse am vollständigen Wiederverschluss gehindert.

In diesen Tiefen findet man natürlich vorkommendes und aufgrund von Hitze und Lösungsvorgängen hochtoxisches sogenanntes Formationswasser. Nachdem das Gemisch wieder abgesaugt wird, fließt Gas aus den Rissen durch die Rohre an die Oberfläche. Das Grundwasser, das sich in 100 bis 300 Meter Tiefe befindet ist durch mehrere, kilometerdicke Gesteinsschichten vom natürlichen Formationswasser und den Frackingvorgängen getrennt und selbst die Risse reichen bei weitem nicht von den tiefen Lagen bis zum Grundwasser hinauf, so Kümpel.

Wirkungsvolle Schutzmaßnahmen

Die vertikalen Rohrstrecken, die auch durch die Gesteinsschichten des Grundwassers verlaufen, sind durch ein Multibarrierensystem, bestehend aus Stahl und Zement, geschützt, ergänzt Hilgers. Zudem seien die entsprechenden Rohre permanenten, hochsensiblen Druckkontrollen ausgesetzt, die schnelles Eingreifen ermöglichen. Eine Beeinträchtigung des Grundwassers sei demnach nicht vorstellbar und auch merkliche Erdbeben sind auszuschließen, denn in solchen Gegenden bekäme man in Deutschland keine Genehmigung, so Kümpel.

Leichte Erdbeben seien bei der bereits seit Jahrzehnten in Deutschland durchgeführten konventioneller Erdgasförderung aus Sandstein sogar erheblich wahrscheinlicher als beim Fracking in Schiefergestein, erklärt er. Sensible geologische Voruntersuchungen der Bodenbeschaffenheit würden zudem geeignete von ungeeigneten Orten trennen. 

50 bis 200 Bohrplätze, jeweils mit der Größe von ein bis zwei Fußballfeldern, seien hierzulande vorstellbar. Nach einer Bohrung könnte ein Standort bis zu sieben Jahre Gas liefern. Das geförderte Gas ließe sich wenig umständlich an die bestehenden Gasnetzstrukturen anschließen, weshalb keine kostenintensiven Transportmöglichkeiten etabliert werden müssten. Die Experten nennen das als Vorteil gegenüber den amerikanischen Schiefergaslieferungen. Denn dieses müsste erst energieintensiv verflüssigt und dann um den halben Globus nach Deutschland verschifft werden, was die CO2-Bilanz gegenüber dem heimischen Schiefergas deutlich verschlechtert.

Mit Geothermie kombinierbar

Von einem weiteren Vorteil des Frackings schwärmt Hans-Joachim Kümpel: So sei eine regenerative Nachnutzung des Bohrlochs möglich und auch schon in Anwendung. Die Rede ist von Geothermie, also Erdwärme. Man würde für einige Jahre kaltes Wasser in die Bohrung einführen und heißes Wasser zurückerhalten. Doch auch diese Quelle von Wärme versiegt früher oder später. Dann wäre der Betreiber zum Verschluss des Bohrlochs und zu Rückbau und Renaturierung verpflichtet.

Problem bei der Diskussion von Fracking sei, dass die Diskussion „zu 80 bis 90 Prozent ein politisches Thema und nur zu 10 bis 20 Prozent ein wissenschaftliches“ sei, bedauert Hilgers. Gegner argumentierten mit zum Teil falschen „Horrorstorys“. Doch räumen die beiden Geologie-Professoren auch ein, dass in den USA früher beim Fracking nicht alles problemlos lief. Wenn Betreiber insolvent gegangen sind, kam es vor dass das Bohrloch nicht ordnungsgemäß verschlossen wurde und weiterhin Erdgas ausströmen und in die Atmosphäre gelangen konnte, so die Experten, „aber das wäre in Deutschland nicht möglich“.

Beide Experten hoffen nun auf eine ergebnisoffene politische Diskussion und idealerweise eine schnelle Gesetzesänderung, die entsprechenden Firmen Anreize setzt, die einheimischen Gasreserven zu fördern.
 

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