Ferdinand Piëch - Herr der Ventile und Zylinder

Mit jeder Schraube im Motor schien Ferdinand Piëch bestens vertraut gewesen zu sein. Mit Akribie und autoritärem Stil machte der Ingenieur Volkswagen zum erfolgreichen Weltkonzern, häufte ein Milliarden-Vermögen an und prägte einen ganzen Industriezweig - positiv, wie negativ

1998 sitzt der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder mit Ferdinand Piech (l) in einem Prototyp des W 12-Roadsters von VW / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Karl-Heinz Büschemann war unter anderem Chefreporter im Wirtschaftsressort der Süddeutschen Zeitung und arbeitet als Wirtschaftsjournalist in München.

So erreichen Sie Karl-Heinz Büschemann:

Anzeige

Oft sind es Kleinigkeiten, die Aufschlussreiches über einen Menschen sagen. Bei Ferdinand Piëch ist es die Sache mit der Tür. Piëch, der ein herausragender Autoingeneur war und der den Volkswagen-Konzern prägte wie kein zweiter, hat nur ungern über Persönliches gesprochen. Aber diese Geschichte erzählte er stolz mit seinem manchmal zuckenden Lächeln:

Er hasse weiche Betten, erzählte der Mann mit dem fast kahlen Schädel und der asketischen Erscheinung. Und wenn er in ein Hotel kam, in dem die Matratze nicht seinen Ansprüchen an Härte genügte, hatte der Ingenieur eine rabiate Lösung: „Ich habe die Tür zum Bad ausgehängt und unter die Matratze geschoben.“

Im Positiven wie im Schlechten

Jetzt ist der Mann mit dem Hang zur Härte mit 82 Jahren gestorben. Er hat den Wolfsburger Autokonzern erst vor der drohenden Pleite bewahrt und dann in die Weltliga geführt. Er hat in seinen Jahren als Vorstandsvorsitzender von 1993 bis 2002 und später als Chef des Aufsichtsrates die gesamte Industrie geprägt. Der heutige VW-Konzern ist zum großen Teil das Produkt dieses Österreichers, dessen Großvater der legendäre Autokonstrukteur Ferdinand Porsche war. Das gilt im Positiven wie im Schlechten. Auch die Wolfsburger Krisen und Katastrophen der vergangenen 20 Jahre von bestochenen Betriebsräten, über von der Konkurrenz gestohlenen Daten, bis zur betrügerischen Manipulation bei Dieselmotoren, sind wohl nur mit der Kultur erklärbar, die Piëch in Wolfsburg prägte.

Es war zuletzt ruhig geworden um den Mann, ohne den bei VW lange gar nichts lief. Man munkelte von Krankheit, es war zu spüren, dass die Kraft und der Einfluss des Patriarchen nachgelassen hatten, auch ohne offiziellen Posten noch vom Alterssitz in der Nähe von Salzburg auf das Unternehmen einzuwirken. Zuletzt gab es keine kurzen Anweisungen über die Medien mehr, die manchmal Hinrichtungen waren und bei VW gewaltige Beben auslösen konnten.

Das letzte Opfer war Martin Winterkorn

Piëch hat zahllose Top-Manager im Konzern mit einem einzigen Satz erledigt, den er in den Medien unterbrachte. Zum Beispiel den langjährigen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking. Das letzte Opfer war Martin Winterkorn, sein Hausmeier und Vertrauter, der als Konzernchef von 2007 bis 2015 alles tat, um den Willen des „Alten“, wie Piëch im Unternehmen genannt wurde, umzusetzen. Dem Spiegel sagte Piëch im April 2015 völlig überraschend: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“. Bald darauf wurde der Dieselskandal ruchbar, und Winterkorn musste gehen. Doch zuvor wurde Piëch gezwungen, den Chefposten im Aufsichtsrat aufzugeben.

Piëch wurde am 17. April 1937 in Wien in eine großbürgerliche österreichsiche Familie geboren. Großvater war der Autopionier Ferdinand Porsche, der für die Nazis den Volkswagen-Käfer entwickelt hatte und später den Porsche-Mythos begründete. Der junge Ferdinand erbte vom Großvater die Begeisterung für Autos, musste aber durch eine harte Schule gehen. Die Familie war damals nicht reich, aber sie schickte ihn auf ein teures Schweizer Internat, in dem er unter Einsamkeit und seiner Legasthenie litt. Später studierte er in Zürich an der Technischen Hochschule und entwickelte für seine Diplomarbeit einen luftgekühlten 12-Zylindermotor.

Die Piëchs waren halt nur die Piëchs

Ein privilegierter junger Mann, der in emotionaler Armut aufwuchs und der mit dem Malus leben musste, nicht Porsche zu heißen, sondern nur ein Piëch zu sein. Sein Vater Anton Piëch hatte eine Tochter von Ferdinand Porsche geheiratet, und wurde später zum Chef des Wolsburger VW-Werkes. Aber die Piëchs waren halt nur die Piëchs. Familienmitglied zweiter Klasse zu sein, war einer der Antriebe für Ferdinand, seinen zahlreichen Cousins zu zeigen, wer der bessere Erbe des Großvater ist.

Erst einmal ging der autoverrückte Ingenieur in die Firma des Großvaters, doch bald wurden alle Familienmitglieder bei Porsche verdrängt. Piëch ging zu Audi und machte sich dort als Entwicklungschef ein Namen. Er wurde später Chef bei der Marke mit den vier Ringen, die er – bei Personenwagen vorher undenkbar – mit einem Allrad-Antrieb erfolgreich gemacht hatte. Kaum ein Automanager wusste soviel über Autos wie dieser Ingenieur mit dem Hang zur Perfektion und Kompromisslosigkeit. Diskussionen waren seine Sache nicht. Piëch ordnete an, und wer nicht folgte, musste gehen. „Wer nicht spurt oder meine Kreise stört, hat es verspielt“, hat Piëch in seiner Autobiographie freimütig über seinen Führungsstil verraten.

Mit jeder Schraube bestens vertraut

Das war der Grund für den technischen Erfolg bei Audi und später bei Volkswagen. Aber er legte damit auch den Grundstein für eine autoritäre Firmenkultur, die allem widersprach, was für modernes Management steht. Aber der Erfolg gab ihm oft recht. Piëch verdoppelte in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender den Umsatz und sorgte für sprudelnde Gewinne. Unter Piëch ging es in Wolfsburg ständig aufwärts. Wer wollte als kleiner Wolfsburger Ingenieur einem Konzernchef widersprechen, der selbst mit scheinbar jeder Schraube im Motor bestens vertraut ist?

Es gelang diesem Getriebenen, VW ganz groß zu machen, und zudem macht er seine Familie märchenhaft reich. Ob Porsche oder Piëch: Die beiden Sippen mögen zerstritten gewesen sein. Dass sie als Großaktionäre von Volkswagen zu Milliardären wurden, verdanken sie allesamt der Energie und dem Ehrgeiz von Vetter Ferdinand, der die beiden Mythen der Autoindustrie, Volkswagen und Porsche, unter ein Dach und in den Besitz der Familien brachte. Ferdinand Piëch hatte es allen gezeigt.

Ohne Piëch gäbe es VW vielleicht nicht mehr

Die Zeit des Ferdinand Piëch ist auch in Wolfsburg abgelaufen. Der große Wolfsburger Dirigent und Anhänger des Verbrennungsmotors konnte sich nie für Elektroautos begeistern. Dass VW so spät in die Entwicklung neuer Antriebe einstieg, hat auch mit Ferdinand Piëchs Begeisterung für Ventile und Zylinder zu tun und mit seiner Verachtung für Stromautos. Inzwischen zieht eine neue Kultur in Wolfsburg ein.

Aber ohne Ferdinand Piëch sähe VW heute anders aus, vielleicht gäbe es den Konzern gar nicht mehr.

Anzeige