Angst vor feindlichen Übernahmen - „Wir brauchen eine Beyond-China-Strategie“

Während der Coronakrise wächst die Angst vor feindlichen Übernahmen, insbesondere aus China. Muss sich Deutschland vor einem Ausverkauf seiner Firmen wappnen? Im „Cicero“-Interview spricht FDP-Politiker Johannes Vogel über die Probleme und Chancen der Globalisierung.

Container im Hamburger Hafen /dpa
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Johannes Vogel ist Mitglied des Deutschen Bundestags und stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe. Seit 2007 ist er Mitglied des FDP-Bundesvorstandes und seit 2014 Generalsekretär der Freien Demokraten NRW.

Herr Vogel, die Aktienkurse vieler deutscher Großunternehmen sind im Keller. Daimler, BMW oder VW dürften derzeit infolge der Coronakrise extrem unterbewertet sein. Die Angst vor Übernahmen, insbesondere auch durch China, wächst. Sehen Sie diese Gefahr auch?
Es gibt in der aktuellen Situation in der Tat Menschen, die diese Sorge äußern. Wir sehen diesbezüglich aber keine deutlichen Aktivitäten. Wir haben in der vergangenen Zeit ja sogar eher einen Rückgang chinesischer Direktinvestitionen gesehen.

Weil hier staatlich inzwischen interveniert wird.
Nicht nur, aber auch. Nach Lage der Dinge ist es also bisher vor allem eine Sorge. Aber klar, wir müssen beobachten, ob aus diesem Geraune eine echte Gefahr für Schlüsselindustrien oder -kompetenzen erwächst. Ganz generell gilt: Im grundlegenden Systemwettbewerb, in dem wir uns mit China ganz unabhängig von der derzeitigen Krise befinden, sind permanente Aufmerksamkeit und Reflexion entscheidend. Aber auch China muss sich derzeit erst einmal wirtschaftlich erholen, immerhin kann auch so eine Epidemie wiederkommen. Ich bezweifle, dass die chinesische Regierung aktuell in erster Linie globale Übernahmepläne verfolgt.

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Das heißt, wir müssen uns keine Sorgen machen?
Wir müssen jetzt erst einmal sehen, dass wir es bei der Corona-Pandemie mit einer globalen Menschheitsaufgabe zu tun haben. Deren Ausbruch wurde zu Beginn zwar von China auch zu vertuschen versucht, das dürfen wir nicht vergessen. Aber zunächst einmal müssen wir hier jetzt weltweit zusammenarbeiten, etwa bei der Suche nach einem Impfstoff. Generell sollten wir die mittlerweile bestehenden gesetzlichen Instrumente selbstbewusst nutzen, die es der Regierung erlauben, ausländische Übernahmen zu prüfen, wenn es um Beteiligungen von mehr als zehn Prozent geht. Zudem sollten wir prüfen, ob der neue EU-Überprüfungsrahmen von November vorgezogen werden sollte, denn es ist eine europäische Herausforderung, keine deutsche. Wir müssen wachsam sein, ohne in Panik zu verfallen.   

Johannes Vogel, FDP / Foto: dpa

Auch wenn das aktuell kein Thema sein mag. Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona treffen insbesondere die Automobilindustrie, die ohnehin schon in einem wirtschaftlich heiklen Transformationsprozess steckt. Wie problematisch wird das mittel- bis langfristig?
Natürlich sollten wir generell an der Zukunftsfähigkeit unserer Industrien arbeiten. Die absolut notwendige Dekarbonisierung unserer Industrien muss den Gesetzen der Marktwirtschaft folgen und nicht gegen sie arbeiten. Anders gesagt: Auch bei den klimaneutralen Fahrzeugen sollte die deutsche Autoindustrie führend sein. Und die Digitalisierung stärker auch mit europäischen Unternehmen zu prägen, muss generell unser Ziel sein. Wir müssen aber auch sehen, dass die Situation in China nach wie vor sehr intransparent ist. Wir dürfen nicht der pessimistischen Annahme verfallen, dass wir diesem System unterlegen seien. Der autoritäre Staatskapitalismus dort fordert uns zwar tatsächlich heraus, indem er top-down manche Bereiche wie etwa KI pusht. Wir können aber auch selbstbewusst sein, denn unsere Stärke als freie Gesellschaft ist Innovation durch Bottom-up-Kreativität. Was haben wir für Möglichkeiten, wenn wir letzteres mit etwas mehr Drive zum Beispiel bei den Chancen der Digitalisierung verbinden würden.

Können wir durch die Coronakrise zumindest im Bereich Digitalisierung nun einen Sprung nach vorne machen?
Wir alle müssen jetzt Debatten von vor der Krise zurückstellen, pragmatische Lösungen im Alltag finden und uns auf eines konzentrieren: zu verhindern, dass die Ansteckungszahlen exponentiell zunehmen. Aber natürlich sehen in der aktuellen Situation zum Beispiel mehr Leute als vorher, dass der rechtliche Rahmen oft nicht zu Homeoffice oder digitalen Entscheidungen passt. Auch beim Thema Bildung zeigt sich jetzt, wie viele Chancen in der Digitalisierung stecken. Wir merken auch, was plötzlich alles geht, was angeblich bisher jahrelang nicht ging. Es wird eine Phase geben, in der wir auch positive Lehren aus der Krise ziehen können.

Es sieht derzeit so aus, als würden alle Länder der Welt mit ähnlichen wirtschaftlichen Problemen kämpfen. Ist das am Ende ein Vorteil für alle oder führt das zu einem Hyperwettbewerb in der Frage: Wer schafft es schneller und besser aus der Krise?
Das lässt sich seriös nicht prognostizieren. Aber es wird natürlich entscheidend sein, wie erfolgreich unsere Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stabilisierung sein werden, die wir am Mittwoch auch im Bundestag behandeln werden. Es wird aber auch darum gehen, wie schnell wir zu einer Normalisierung des öffentlichen Lebens kommen. Das wird darüber entscheiden, wie groß der wirtschaftliche Einbruch sein wird.

Was wäre dafür nötig?
Es muss jetzt darum gehen, mehr Testkapazitäten aufzubauen. Dann wäre eine wirtschaftliche Normalisierung denkbar, noch bevor der Impfstoff da ist. Das macht uns zum Beispiel Südkorea vor. Das halte ich für den absolut entscheidenden Faktor in den nächsten Tagen und Wochen. Wir brauchen flächendeckendere Tests für Verdachtsfälle, die bislang ungetestet in Quarantäne gesteckt wurden, aber auch anschließende Antikörper-Tests für Menschen, die einen milden Verlauf gar nicht mitbekommen haben. Diese Menschen werden ja insbesondere im Gesundheitssystem benötigt.

Aber was heißt das für den künftigen Wettbewerb in der Globalisierung?
Wir müssen an gesamteuropäischen Strategien arbeiten. Wir sind ein Wirtschaftsraum, der mit anderen Systemen, wie dem in China, als Ganzes im Wettbewerb steht. Wir müssen deshalb definieren, welche Bereiche für uns sicherheitskritische Infrastruktur sind, wo wir Autarkie brauchen. Egal, ob es sich dabei um die 5G-Technik handelt oder um medizinische Infrastrukturen. Das heißt aber gerade nicht, dass wir jetzt die Globalisierung rückabwickeln dürfen.

Warum eigentlich nicht?
Wir sehen doch gerade, dass es globale Menschheitsaufgaben gibt, die wir nur gemeinsam lösen können. Dass Forscher auf der ganzen Welt nun gemeinsam nach einem Impfstoff suchen, ist Gold wert. Dasselbe gilt für die Herausforderungen des Klimawandels. Auch das können wir nur alle gemeinsam schaffen. Darüber hinaus schafft die Globalisierung ein Wohlstandsniveau für die Menschheit, das es zuvor nie gegeben hat, und hebt ganze Erdteile aus der Armut. Nötig ist aber, dass wir mit China stärker wechselseitig auf Augenhöhe agieren müssen. Zum Beispiel, indem wir einfordern, den Joint-Venture-Zwang wirklich wegfallen zu lassen – nicht nur bei Symbolprojekten.

Sind wir zu abhängig von China?
Wir sind im Grunde alle voneinander abhängig in einer globalisierten Welt. Aber es stimmt, wir brauchen eine Beyond-China-Strategie.

Was sähe die aus?
Das hieße keinesfalls, dass wir unsere Verbindungen zu China kappen sollen. Aber es geht darum, unsere Potenziale in anderen Teilen der Welt zu heben, gerade in Bezug auf Freihandelsabkommen. Eine vermehrte wirtschaftliche Aktivität etwa mit Afrika, mit anderen Regionen Asiens wie beispielsweise Malaysia oder auch mit Indien würde ganz automatisch eine bessere Balance für uns schaffen. Und wir könnten auch mit den markwirtschaftlichen Demokratien weltweit noch viel enger zusammenarbeiten, etwa in einer neuen Organisation. Ich nenne das eine Allianz der Demokraten – denn die freie Welt ist heute mehr als Europa und Nordamerika allein.

Das Interview führte Bastian Brauns, Ressortleiter Wirtschaft bei Cicero.

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