EU-China-Gipfel - „Huawei ist Nord Stream 2 im Quadrat“

Der EU-China-Gipfel war ein Erfolg, weil Angela Merkel sich mit ihrer milderen Rhetorik nicht durchsetzen konnte. Das sagt Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der China-Delegation im Europaparlament. Xi Jingping werde einen ökonomischen Preis für Menschenrechtsverletzungen und Klimaschäden zahlen.

Gegensätzliche China-Rhetorik: Ursula von der Leyen und Angela Merkel / dpa
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Reinhard Bütikofer ist Vorsitzender der China-Delegation im Europaparlament, wo er seit 2009 Abgeordneter der Grünen ist. Von 2002 bis 2008 war er deren Bundesvorsitzender. Von 2012 bis 2019 war er Ko-Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei.

Herr Bütikofer, der heutige EU-China-Gipfel sollte während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine ganze besondere Konferenz mit allen 27 Staats- und Regierungschefs sein. Würden Sie sagen, dass er das nun auch in dem sehr viel kleineren Videoformat war?
Diese Videokonferenz zeigte zugespitzt gesagt zwei verschiedene Haltungen gegenüber China: die der Kanzlerin und die der EU. Die Bundeskanzlerin war bemüht, rhetorisch abzurüsten, die Dinge teilweise schön zu reden. In Amerika nennt man das putting lipstick on a pig. Sie behauptete sogar, China habe den erforderlichen Willen zu einem Erfolg bei den Investitionsverhandlungen, ohne dass Xi Jinping signalisiert hätte, dass er die Zugeständnisse machen wird, die wir brauchen. Oder sollen wir annehmen, dass sie akzeptieren will, was er geben will?

Ihr Fazit?
Insofern ist es tatsächlich ein gar nicht so kleiner Erfolg, dass Charles Michel und Ursula von der Leyen bei ihrer inzwischen deutlich härteren Haltung gegenüber China blieben. Angela Merkels Leipziger Stelldichein mit allen 27 Staats- und Regierungschefs der EU wäre mangels Substanz eine PR-Show für Xi Jingping geworden. Deshalb ist es gut, dass er nicht stattfand.

Im Anschluss gab es eine Pressekonferenz zu diesem „Quadrilog“ mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Angela Merkel und EU-Ratspräsident Charles Michel. Warum war der vierte im Bunde, der chinesische Staatspräsident Xi Jingping, nicht dabei?
Darüber kann ich nur spekulieren. Aber die Mutmaßung, dass der chinesische Staatspräsident womöglich kein Interesse daran hatte, sich kritischen Fragen von Journalisten zu stellen, ist ja nicht weit hergeholt.

Wie schwer fällt es Ihnen, nicht viel mehr als diplomatische Stanzen von den Dreien gehört zu haben?
In diplomatische Sprache verpackt gab es, wie gesagt, durchaus erkennbare und interessante Nuancen. Die Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Michel blieben bei der Linie, welche die EU beim vergangenen Gipfel im Juni eingeschlagen hat. Sie betonten Menschenrechtsfragen. Sie machten deutlich, dass die EU von China mehr erwartet als ein wirtschaftliches Abkommen. Sie zeigten Solidarität mit Kanada und Schweden, deren Staatsbürger in China willkürlich im Gefängnis gehalten werden.

Reinhard Bütikofer, Grüne / dpa

Als Vorsitzender der China-Delegation des Europaparlaments verfolgen Sie solche Gespräche sehr genau. Sie waren anschließend im Gespräch mit der EU-Kommission. Was haben Sie erfahren?
Die Europäische Kommission ist nach wie vor zur Kooperation mit China bereit, aber nicht willens, dafür jeden Preis zu zahlen. Kooperation mit einem systemischen Rivalen kann kein win-win-Geschmuse ein. Die EU lernt, gegenüber China die eigenen Werte und Interessen wirksamer zu vertreten. Wir werden etwa beim Investitionsabkommen nur unterschreiben, dass es das auch wert ist. Wir müssen dazu die bestehenden Markt-Asymmetrien abbauen. Wir werden uns nicht einfach irgendwo in der Mitte treffen.

Die EU will ihre CO2-Ziele nun noch weiter verschärfen, während man China heute wieder mal „ermutigt“ hat, irgendwann vielleicht auch mehr zu tun. Gefährden wir unsere Wirtschaft in dem trügerischen Glauben, wir würden so tatsächlich Vorbild für China sein?
Nein. Klimaschutz mit Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden ist für uns der einzige Weg auch in Zukunft erfolgreiche Industrie zu haben. Und gegenüber China, das wir eigentlich für erfolgreichen globalen Klimaschutz brauchen, das aber in der Hinsicht eher rückwärts marschiert, bleiben wir auch nicht bei Worten. Deshalb wird die EU einen carbon border adjustment mechanism haben.

Die Chinesen wollen mit Zusagen hier erst die US-Wahl im November abwarten. Wenn Donald Trump wiedergewählt werden sollte und die USA das Pariser Klimaabkommen weiterhin ignorieren, wird sich China doch kaum in Richtung EU-Klimaziele bewegen?
Europa kann sich weder von Trump noch von China abhängig machen. Wir sind stark genug einen eigenen Kurs erfolgreich zu fahren. Und wir sind ein Markt mit fast 500 Millionen Konsumenten, dem sich im Erfolgsfall auch andere Staaten nicht werden entziehen können. Im Übrigen sollten Sie die Spekulation auf Trumps Wahlsieg nicht zu hoch hängen. Bisher verliert er.

Die Bundeskanzlerin wies darauf hin, dass China für 50 Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich ist und sprach von möglichen Kooperationen zwischen der EU und der Volksrepublik. Was kann man sich darunter vorstellen?
Vorstellen kann ich mir darunter viel. Zum Beispiel einen landesweiten Emissionshandel in China. Zum Beispiel, dass China schon ab 2025 seine CO2-Emissionen senkt. Zum Beispiel den Verzicht Chinas auf den Export von Kohletechnologie. Leider schien das aber vor zwei bis drei Jahren möglicher als heute. China sei beim Klimaschutz ein unverzichtbarer Partner, sagen viele. Ich sage: Unverzichtbar, ja, aber derzeit leider weniger ein Partner.

Die wirtschaftlichen Probleme mit China sind vielfältig. Es geht um das Verhalten von Staatsunternehmen, um von China erzwungenen Technologie-Transfer, um Subventionen. Die Bundeskanzlerin freut sich nun über eine Einigung hinsichtlich geografisch geschützter Angaben wie Mosel-Wein oder bayerischem Bier. Sollten wir stolz sein oder ist so ein Teil-Erfolg ein Armutszeugnis für die EU?
Das ist eine schöne kleine Einigung, die nun schon zum dritten oder vierten Mal als Erfolg präsentiert wird. Das sollte man nun mal abhaken.

Man gewinnt bisweilen den Eindruck, dass insbesondere Menschenrechtsfragen bezüglich der Uiguren, der Menschen in Tibet, Taiwan und Hongkong nur angesprochen werden, damit sie angesprochen wurden. Ansonsten bleibt alles beim Alten, beziehungsweise wir müssen mit ansehen, wie sich China einfach nimmt, was es will.
Ich teile diese Einschätzung nicht. Ich stelle fest, dass die EU hier inzwischen wirklich eine neue Haltung zeigt. Längst nicht mehr nur jene, die sich ohnehin immer um Menschenrechte gekümmert, lassen dies erkennen. Wenn sich ein deutscher BDI-Präsident öffentlich dazu äußert, dass die Menschenrechtsfragen für deutsche Unternehmen sehr wohl zu Investitionsentscheidungen beitragen, ist das durchaus bemerkenswert. Der Druck wird größer. Siemens-Chef Joe Kaeser konnte quasi gar nicht mehr anders, als sich nun auch endlich zu äußern. Sonst wäre er wirklich komplett isoliert gewesen. Die Menschenrechtsfrage ist für die Menschen in den Staaten der Europäischen Union eine sehr wichtige und somit auch für die Regierungen.

Bei Russland reicht nun womöglich ein versuchter Mord an einem Oppositionellen, um Nord Stream 2 zu beerdigen. In China dürften ein paar mehr Tote zu beklagen sein. Fordern die Grünen hier auch Sanktionen und Baustopps?
Der Mordversuch an Alexander Nawalny steht in einer langen Reihe von Morden, versuchten Morden und unfairen Prozessen gegen Oppositionelle, Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten, die unsere Öffentlichkeit über 15 Jahre zur Kenntnis nehmen musste. Die Summe dieser Vorfälle, die fundamental gegen unsere Werte und Rechtsvorstellungen verstoßen, führt zu einer starken Reaktion, wobei ja Nord Stream 2 trotzdem leider in der Regierung immer noch eine Mehrheit hat.

Dennoch dürfte die Summe in China größer sein. Was hält Sie davon ab, hier ähnlich Plakatives zu fordern?
Der Grundsatz kann ja nicht heißen: Möglichst plakativ gefordert ist immer am Besten. Aber wir haben auch gegenüber China klare Forderungen gestellt. Wir haben gefordert, dass wir keine Auslieferungen nach Hongkong mehr zulassen. Das ist jetzt so. Und wir werden auch Menschenrechts bezogene Sanktionsmöglichkeiten bekommen. Wir werden einen Polizeipräsidenten von Hongkong sanktionieren können. Wir werden dahin kommen, dass zwangsarbeitende Uiguren, eingepferchte Uiguren und zwangssterilisierte Uigurinnen nicht mehr folgenlos so behandelt werden können. Ich will auch, dass wir China einen ökonomischen Preis abfordern. Damit meine ich explizit die Ablehnung von 5G-Technik vom chinesischen Huawei-Konzern. Strategisch betrachtet ist Huawei Nord Stream 2 im Quadrat.

Im Bereich der Digitalisierung sind chinesische Unternehmen längst so wichtige Player wie US-amerikanische Tech-Giganten. Auch wir nutzen Unterhaltungs-Apps wie Tiktok, Hardware von Huawei und, wie sie sagen, vielleicht auch 5G-Technologie. Müssen wir einfach akzeptieren, dass wir hier nur noch zwischen made in USA oder made in China entscheiden können?
Ich hoffe da zum Beispiel immer noch auf hinreichend Einsicht bei den Verhandlungen über die Höhe des europäischen Forschungshaushaltes für die nächsten sieben Jahre.

Nun soll der eigentlich geplante reale Gipfel mit allen 27 Staats- und Regierungschefs und China laut EU-Ratspräsident Charles Michel nach Corona noch nachgeholt werden. Was dürfen wir uns von diesem Format versprechen?
Wir werden sehen, ob es wirklich dazu kommen wird. Mir ist nicht vor allem wichtig, wie viele am Tisch sitzen, sondern dass wir Europäer das, was uns Anliegen sind, gemeinsam vertreten. Das bessert sich gerade ein bisschen.

Das Interview führte Bastian Brauns, Ressortleiter Wirtschaft bei Cicero.

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