ESM-Chef Klaus Regling - Vom letzten Retter zum obersten Aufseher

Klaus Regling ist Herr über ein europäisches Machtzentrum, dem Euro-Stabilitätsmechanismus ESM. Nun soll der zum Europäischen Währungsfonds ausgebaut werden. Während darüber gestritten wird, gibt Regling sich optimistisch: „Wir können das!“ Doch wie?

Der mächtige ESM-Fonds soll noch mächtiger werden – und damit auch sein Leiter / picture alliance
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Am Anfang war die Krise. Griechenland drohte die Pleite, die Finanzmärkte spekulierten gegen den Euro. Irland und halb Südeuropa standen auf der Kippe. In dieser Notsituation gründeten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die anderen Mitglieder der Eurozone 2010 gemeinsam den sogenannten Rettungsschirm und beauftragten Klaus Regling, ihn zu leiten.

Reglings Mission sollte eng begrenzt sein. Der dezente Deutsche hatte sich bereits beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington einen Namen gemacht. Jetzt sollte er Milliarden einsammeln, um damit von der Pleite bedrohte Euroländer zu stabilisieren. Diskret sollte er auftreten, nur so würde man Finanzinvestoren überzeugen können.

Regling machte das gut, erst für den provisorischen EFSF, dann beim dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Zu Hause in Deutschland aber tobte der Protest. Das brachte ihn allerdings ebenso wenig aus der Ruhe wie mehrere Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Klaus Regling bestand die Feuerprobe mit Bravour. 

Auf der Suche nach neuen Herausforderungen

Doch den heute 67-Jährigen hielt es nicht in seinem Luxemburger Büro. Er begann, sich in die Hilfsprogramme einzumischen. Plötzlich reiste er mit der Troika – den Experten von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds – nach Athen. Immer öfter beantwortete er Fragen von Journalisten. 

Bei einer dieser Pressekonferenzen, im März 2017, wurde dann diese Grundsatzfrage gestellt: Ob er sich die Umwandlung des ESM in einen Europäischen Währungsfonds vorstellen könne. Zuvor war durchgesickert, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble an entsprechenden Plänen arbeitete. 

War Regling eingeweiht? Suchte er eine neue, noch größere Aufgabe? „Ich lese das mit großem Interesse“, antwortete er. Zuerst müsse auf jeden Fall das noch bis 2018 laufende Griechenlandprogramm gesichert werden. „In Zukunft könnte dies jedoch Sinn machen.“ Schnell würde das aber nicht gehen. Für eine solch radikale Reform müsse man den ESM-Vertrag ändern.

Die Gegner

Rund ein halbes Jahr später aber geht es offenbar plötzlich ziemlich schnell. Vielerorts lautet die Frage nicht mehr ob, sondern wann und wie der ESM zum Währungsfonds mutieren soll. Der 500 Milliarden Euro schwere, aber für viele Deutsche unverständliche ESM-Finanzriese bekommt unversehens neue Aufmerksamkeit.

Nicht nur Schäuble will den Fonds massiv aufwerten, auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat große Pläne mit dem ESM. Selbst Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sagt: „Wir sollten einen europäischen Währungsfonds anstreben“ – das klingt nach einem spektakulären Aufstieg für eine kleine und umstrittene Institution.

Nicht jeden freut das. So würde FDP-Chef Christian Lindner, der als etwaiger künftiger Finanzminister gehandelt wird, Schäubles Fonds am liebsten abwickeln. Er ist damit auf gleicher Linie wie der Gründer der AfD, Bernd Lucke. Der hatte schon immer verhindern wollen, dass klamme Euroländer auf diese Weise Unterstützung finden. „Wir müssen dem europäischen Recht und dem Bailout-Verbot endlich wieder Geltung verschaffen“, fordert Lucke, der heute für die Minipartei „Liberal-Konservative Reformer“ (LKR) im Europaparlament arbeitet. Ein Währungsfonds sei der falsche Weg. „Wir haben doch den IWF, was macht der denn falsch? Schäuble will ein politisch gefügiges Gremium schaffen, das lehne ich ab.“

Reglings gewagtes Kalkül

Politisch abhängig ist der ESM schon heute. Geführt wird er von einem Gouverneursrat, dem alle 19 Finanzminister der Eurozone angehören. Grundlegende Entscheidungen, etwa über die Gewährung eines neuen Hilfskredits, werden einstimmig gefasst. Die Struktur sichert Deutschland ein Vetorecht. Selbst bei weniger wichtigen Fragen verfügt Berlin über eine Sperrminorität. 

Gegen Schäuble – oder seinen Nachfolger – geht also nichts. Auch das dürfte ein Grund sein, warum der CDU-Politiker den ESM liebgewonnen hat. Anders als in der Europäischen Zentralbank oder in der EU-Kommission kann er hier den Kurs vorgeben. Da der ESM eine zwischenstaatliche Institution ist, die neben der EU gegründet wurde, lässt er sich auch leichter umbauen – langwierige Vertragsänderungen mit riskanten Volksabstimmungen wären nicht nötig.

Außerdem ist da ja noch Klaus Regling, die aus Berliner Sicht perfekte Besetzung. Als es darum ging, die heikle Frage zu klären, ob die enorme Schuldenlast Griechenlands langfristig tragbar wäre, griff Regling zum Taschenrechner – und entwickelte ein Modell, das selbst die Experten vom Internationalen Währungsfonds verblüffte: Dauerhaft hohe Budgetüberschüsse und ein nachhaltiges griechisches Wachstum vorausgesetzt, könnte demnach Griechenlands gigantischer Schuldenberg von derzeit fast 180 Prozent der Wirtschaftsleistung auf rund 65 Prozent im Jahr 2060 abschmelzen, so Reglings gewagtes Kalkül.

Schäubles „giftiges Abschiedsgeschenk“

Für Schäuble kam das wie gerufen. Gestützt auf diese Zahlen, schmetterte er die Forderung des IWF nach einem Schuldenschnitt ab. IWF-Experten zweifeln die Prognose zwar an, aber der Streit ist vertagt. Sein Ziel hatte Schäuble jedenfalls erreicht: Deutschland muss vorerst keinen Cent seiner Forderungen an Griechenland abschreiben.

Im Gegenteil: Der Bundeshaushalt profitiert sogar von der Stützung durch den ungeliebten Rettungsfonds. Aus seinem Kapitalanteil in Höhe von 21,72 Milliarden Euro hat Deutschland zwar keine direkten Vorteile – mögliche Gewinne fließen in einen Reservefonds. Aber umso üppiger sind die Gewinne etwa bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der EZB. Die sammeln Geld für die Bundeskasse ein. Insgesamt beläuft sich der Profit auf 1,34 Milliarden Euro. Nicht verwunderlich also, dass Schäuble auch seine Reformpläne für die Eurozone auf den ESM stützt. Der mächtige Fonds soll noch mächtiger werden.

Manche finden: zu mächtig. Schäuble habe der Eurogruppe ein „giftiges Abschiedsgeschenk“ hinterlassen, sagt der Finanzexperte und Europaabgeordnete von den Grünen, Sven Giegold. Die EU werde geschwächt, die Demokratie ausgehebelt. Mehr Macht dürfe der ESM nur erhalten, wenn auch Transparenz und demokratische Kontrolle gestärkt würden. Danach sieht es bislang jedoch nicht aus. Zwar sucht Regling die Öffentlichkeit, auf Nachfrage gibt er auch gern Informationen ans Europaparlament – aber erst nachträglich. Die EU-Abgeordneten dürfen nicht mitentscheiden; Beschlüsse fallen hinter den verschlossenen Türen der Eurogruppe, nicht einmal die dort diskutierten Vorlagen sind frei zugänglich.

In Frankreich regt sich Widerstand

Ähnlich war es, als Schäuble seine Pläne für die Euroreform vorstellte. Die Debatte kreiste um ein lange geheim gehaltenes „Non-Paper“. Offene Aussprache? Fehlanzeige. Dabei hat es der Schäuble-Plan in sich: „Wir müssen den Radarschirm des ESM ausweiten und ihm eine größere Rolle bei der Überwachung von Länderrisiken geben“, heißt es darin. Der Rettungsschirm solle mittelfristig außerdem darüber wachen, dass der Stabilitätspakt eingehalten wird. 

Der ESM würde auf diese Weise nicht bloß zum Währungsfonds mutieren, sondern zu einem Gegengewicht zur EU-Kommission. Die solle diese Aufgaben – so Schäuble – abgeben. Reglings Mission bestünde dann nicht mehr nur darin, Milliarden einzusammeln. Er würde ganze Staaten überwachen – nicht nur „Schuldensünder“ wie Griechenland, sondern auch (noch) stabile Euroländer wie Italien oder Frankreich.

Dagegen regt sich Widerstand. Vor allem Frankreich ist gegen Schäubles Pläne. Die Idee, man könne in der Eurozone einen neuen Automatismus einführen, „erscheint uns gefährlich – für die Stabilität der Eurozone insgesamt“, sagt Finanzminister Bruno Le Maire. Es müsse auch künftig eine „politische Führung“ geben, außerdem brauche die Eurozone eine „Anpassungskapazität“.

Le Maire spielt damit auf die Vision seines Staatschefs Emmanuel Macron an. Der fordert ein Milliardenbudget für die Eurozone, um von konjunkturellen Schocks und Krisen geschüttelte Mitgliedsländer stützen zu können. Dieses Budget soll einem Finanzminister unterstehen, der Mitglied der EU-Kommission wäre und vom Europaparlament kontrolliert würde. Im Gegenentwurf zum Schäuble-Plan spielt der ESM (bisher) nur eine Nebenrolle.

Reformbedarf gibt es genug

Auch prominente Ökonomen zweifeln. Ifo-Präsident Clemens Fuest etwa fordert, den ESM von einer Zustimmung aus Berlin unabhängig zu machen. Stattdessen sollte er Routinemaßnahmen selbst ergreifen können. „Sollte ein Land nach drei Jahren ESM-Hilfen nicht an den Kapitalmarkt zurückkehren können, muss es eine Konferenz mit Schuldenschnitten geben, sodass ein nachhaltiger Schuldendienst möglich wird“, sagt Fuest.

Für eine Reform spricht sich auch André Sapir vom Brüsseler Thinktank Bruegel aus. Um den ESM zum Währungsfonds auszubauen, müssten die Entscheidungsstrukturen verändert werden, empfiehlt der belgische Experte. Die Eurofinanzminister dürften nicht mehr allein entscheiden. Außerdem sei es ein Unding, alle Hilfen vom Bundestag und anderen Parlamenten genehmigen zu lassen. „Der IWF könnte nicht arbeiten, wenn er für jede Entscheidung auf die Zustimmung der Parlamente angewiesen wäre.“

Zu einem Europäischen Währungsfonds wäre es jedenfalls ein weiter Weg. Der ESM hat derzeit auch nicht genügend Personal – in den für die Programmüberwachung zuständigen Länderteams arbeiten gerade mal vier bis fünf Experten. Große Eurostaaten wie Italien lassen sich so kaum kontrollieren.

Klaus Regling scheint das jedoch nicht zu schrecken. Er hat sich damit angefreundet, dass seine kleine Institution schon bald groß rauskommen und zum Währungsfonds mutieren könnte. „Der ESM könnte diese Rolle übernehmen, und noch andere mehr“, sagt er. Sein Plädoyer in eigener Sache hielt Regling in Paris – Frankreich muss er noch überzeugen.

Dies ist ein Artikel aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erhalten.

 

 

 

 

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