Die neue Lust am Kommunismus - Champagner für alle!

Die unbekannte Lyrikerin Elisa Aseva propagiert im Deutschlandfunk den Kommunismus – und sorgt so für helle Aufregung. Tatsächlich wird die Marktwirtschaft in vielen Medien zunehmend in Frage gestellt. Ob Magazine wie „Spiegel“ und „Stern“, Radio oder Bücher: Es herrscht geradezu ein popkultureller Überbietungswettbewerb in Sachen Umverteilung.

Das aktuelle Stern-Cover mit Christian Lindner / Cicero
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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„Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst des Kommunismus.“ Huch, Schrecksekunde! Registriert hat man das Wesen mit den übernatürlichen Fähigkeiten jüngst in der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland. Und insofern wäre es nur allzu naheliegend, dass beim einstigen Zentralorgan der SED Feierstimmung herrscht ob der unerwarteten Geisterstunde – auch wenn das Gespenst (in Abwandlung zum berühmten ersten Satz des „Kommunistischen Manifests“) scheinbar noch nicht in ganz Europa umhergeht, sondern vorerst nur in der Bundesrepublik. Dennoch zeigt sich der Kommentator des Neuen Deutschland einigermaßen konsterniert: „Alle Mächte des Alten“, so schreibt er, hätten sich „zu einer heiligen Hetzjagd verbündet“, um dem Spuk Einhalt zu gebieten.

Was ist geschehen? Arbeiteraufstände im Berliner Wedding? Maschinensturm an den Fließbändern von Volkswagen? Nichts von alledem, die Ursache des aktuellen Kulturkämpfchens könne harmloser kaum sein: Eine bis dahin weitgehend unbekannte Lyrikerin namens Elisa Aseva, geboren 1979 im Sudan, hauptberuflich offenbar Kellnerin und in prekären Verhältnissen lebend, hat in einem Podcast des Deutschlandfunks unlängst folgendes Bekenntnis abgelegt: Sie glaube, „dass wir den Kommunismus haben müssten, wenn wir eine Zukunft für alle wollten“. Die beiden Moderatoren hakten noch ein bisschen nach, ohne ihrem Gast dabei allzu Substantielles zum Thema entlocken zu können. Doch der Aufreger war gesetzt.

Die „Mächte des Alten“

Der Welt-Kolumnist Don Alphonso warf dem Deutschlandfunk wenig später auf Twitter vor, „Zwangsgebühren bei der Vortäuschungsarbeit von Kommunikation mit Kritikern“ einzusetzen, „wenn Kommunismus als wünschenswert und Deutschland als ,Schrottgesellschaft‘ bezeichnet“ werde. Der frühere Bild-Chefredakteur Julian Reichelt nahm es ironisch und teilte mit: „Wenn man erstmal hört, warum diese Poetin den Kommunismus will, dann will man ihn plötzlich auch. Diesmal wird‘s ein sanfter, menschlicher Kommunismus, wo wirklich nur die ermordet werden, die der Gesellschaft keine andere Wahl lassen.“ Der frühere Grünen-Politiker Volker Beck wiederum reagierte eher staatstragend mit den Worten: „Koketterie mit dieser antidemokratischen Idee“ sei „weder lustig noch intellektuell originell“. Und sogar Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP erinnerte daran, dass der Kommunismus „Millionen von Menschen immer wieder Tod, Folter, Unterdrückung und Unfreiheit gebracht“ habe. Bei den hier Genannten handelt es sich übrigens um jene „Mächte des Alten“, auf die wiederum der eingangs erwähnte Kommentator des Neuen Deutschland glaubte, so empört reagieren zu müssen.

Es herrscht also eine gewisse Angespanntheit, und wahrscheinlich würde sich ein FDP-Minister gegen eine kommunistische Nebenerwerbs-Lyrikerin auch kaum derart in Stellung bringen, wenn seine eigene Partei derzeit nicht im Verdacht stünde, als Ampel-Koalitionär dem Sozialismus Vorschub zu leisten. In jedem Fall aber dürften die Liberalen spätestens mit dem Erscheinen der neuen Ausgabe des Stern bemerkt haben, dass da inzwischen etwas ins Rutschen geraten ist: Das Hamburger Wochenmagazin, wo man sich seit kurzem wieder mit dezidiert politischen Titel-Storys versucht, hat FDP-Chef Christian Lindner aufs Cover gepackt und ihm eine Suggestivfrage auf dem weißen T-Shirt hinterlassen: „Können wir uns die Reichen noch leisten?“

In seinem Editorial eiert Stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz zwar noch etwas unentschlossen herum, mahnt einerseits, „die Milliardäre“ würden „eh in ihrer eigenen Welt und vielleicht bald auf dem Mars“ leben. Um dann mit der Feststellung zu enden: „Wir brauchen den Kapitalismus noch“ – auch wenn derzeit viele Menschen an ihm verzweifelten. Weiter hinten im Heft geht es dann aber deutlicher zur Sache: Im Verteilungskampf zwischen Arm und Reich zählten keine Argumente, sondern nur die reine Macht: „Darum ist es Zeit, die offene Auseinandersetzung zu suchen, Zeit für einen Klassenkampf.“ Das Ganze erinnert sicher nicht zufällig an den Spiegel-Titel vom 21. Mai, auf dem sich unter der Headline „Die Gesetzlosen“ über „die feudalistische Welt der Superreichen“ (Jeff Bezos, Elon Musk etc.) gegruselt wurde.

Popkultureller Überbietungswettbewerb

Magazine, Radio, Bücher: Es herrscht geradezu eine Art popkultureller Überbietungswettbewerb in Sachen Umverteilung, die allenthalben wie das Allheilmittel gegen sämtliche Probleme dieser Welt gepredigt wird. Corona, Kriege, Klima oder gesellschaftliche Spaltung – für alles lautet die Lösung: Nehmt den Reichen, gebt es den Armen. Wobei die Nuancen standesgemäß unterschiedlich ausfallen zwischen Medienkonzernen wie RTL (zu dem auch der Stern gehört), gebührenfinanzierten Rundfunkanstalten wie dem Deutschlandradio und einer ideologiegetriebenen Zeitung wie Neues Deutschland: Das Spektrum reicht entsprechend von der lifestyligen Forderung nach einer Erhöhung der Erbschaftssteuer über LyrikerInnen-Kommunismus für ein jugendliches Publikum bis hin zu humorlosen Verstaatlichungsphantasien.

Wobei der neue Klassenkampf insbesondere in seiner feuilletonistischen Variante nicht ohne ungewollt witzige Volten verläuft. Wenn beispielsweise in der ARD-Kultursendung „Titel, Thesen, Temperamente“ Sibylle Bergs neuer Roman „RCE“ vorgestellt wird („Eine kleine Minderheit der Superreichen beherrscht die Mehrheit“), kommt auch die Autorin selbst zu Wort. Vor der malerischen Kulisse des Lago Maggiore räsoniert Berg also darüber, wie „wir“ in unserer Konsumsucht „die Erde auffressen“, und stellt schließlich halb resigniert fest: „Meine Güte, wir haben jetzt wie lange Kapitalismus? Wie lange hatten wir andere Systeme? Wäre es nicht mal an der Zeit, dass man was Neues erfindet?“ Um sich am Ende des Beitrags dann kameratauglich auf ein am Strand bereitliegendes Riesenkissen fallen zu lassen. Aufgenommen wurde die Berg’sche Kapitalismuskritik übrigens im Garten des „Castello del Sole“, einem der teuersten Tessiner Fünf-Sterne-Hotels.

Sozialismus auf Schienen

Deutschlands aktuelles Experiment mit dem Sozialismus vollzieht sich derweil mehr als rumplig auf ohnehin schon maroden Bahngleisen. Mit dem Neun-Euro-Ticket zeigt sich hier in ganzer Pracht, was dabei herauskommt, wenn begrenzte Ressourcen frei verfügbar gemacht werden: überfüllte Züge, „massive Einschränkungen“ für die Fahrgäste (O-Ton Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, der dringend vor Bahnreisen an die Ostsee warnt), Chaos an den Bahnsteigen. „Es besteht die Gefahr, dass Menschen abgeschreckt werden“, so das Fazit eines Sprechers des Fahrgastverbands „Pro Bahn“. Aber auch für derlei misslichen Lagen kennen Sozialisten die adäquate Lösung: Man müsse halt einfach nur die Abteile der ersten Klasse für alle Besitzer eines Neun-Euro-Tickets öffnen, so die Forderung der Linkspartei-Vorsitzenden Janine Wissler. Das wäre in der Tat die logische Konsequenz: Wenn das Freibier zur Neige geht, gibt es eben Champagner für alle. Die Welt könnte so einfach sein, wenn nur der elende Kapitalismus nicht wäre!

Die prekär-kommunistische Lyrikerin Elisa Aseva sagt in ihrem berühmt gewordenen Deutschlandfunk-Podcast übrigens noch einen weiteren bemerkenswerten Satz. Er lautet: „Wenn auf einer sehr großen kollektiven Ebene sehr dumme Lösungen gefunden werden, dann ärgert mich das einfach.“ Der Kommunismus bietet dafür Anschauungsmaterial zuhauf.

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