CDU trägt Turnschuh - „Die Substanz darf nicht verloren gehen“

Tilman Kuban, Chef der Jungen Union, ruft den „Sneaker-Konservatismus“ aus und verteilt Turnschuhe an die Parteiprominenz. Die Erneuerung der Christdemokratie soll auf Gummisohlen daherkommen? Wir haben einen angehenden Schuhmachermeister gefragt, was er davon hält.

Anzeige

Autoreninfo

Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

So erreichen Sie Daniel Gräber:

Anzeige

Markus Karl Winschuh (25) arbeitet als Maßschuhmacher im südbadischen Staufen. Dieses Jahr hat er die ersten beiden Teile seiner Meisterprüfung abgeschlossen. Wir haben ihn telefonisch am Arbeitsplatz erreicht.

Herr Winschuh, tragen Sie Sneaker?

Im Moment nicht. Hier in der Werkstatt trage ich rahmengenähte Maßschuhe, die ich selbst hergestellt habe. Zuhause habe ich zwar auch Sneaker im Schuhregal, aber ich bin schon eher der klassische Typ. Jetzt im Herbst trage ich zum Beispiel gerne Chelsea Boots.

Die Junge Union verteilt Turnschuhe an CDU-Politiker. Das soll für Modernität und Aufbruch stehen. Was halten Sie davon?

Einerseits finde ich es richtig, mit der Zeit zu gehen. Die Menschheit entwickelt sich weiter, es gibt neue Materialien und Herstellungstechniken. Andererseits sollte man das alte Handwerk, die Vergangenheit nicht vergessen. Denn darauf baut alles auf. Das ist die Substanz, und die darf nicht verloren gehen.

Sehen Sie diese Gefahr?

Ja, leider. Viele junge Leute wissen gar nicht mehr, wie man Schuhe pflegt und dass man sie reparieren lassen kann. Früher wurden jedes Wochenende die Schuhe geputzt, bevor man am Sonntag in die Kirche gegangen ist. Das ist heute nicht mehr so. Wenn der Schuh dreckig ist oder kaputtgeht, wird er weggeschmissen. Dabei kann man auch Sneaker ohne Probleme neu besohlen. Die alte Gummisohle wird weggeschliffen und eine neue draufgeklebt. Das ist eine Reparatur von vielen, die nicht mehr so bekannt ist wie früher.

%paywall%

Sie sind selbst noch jung. Wie haben Sie die Liebe zum Schuh entdeckt?

Schuhmachergeselle Markus Karl Winschuh

Das kam erst nach meiner Ausbildung. Ich habe meine Lehre bei einem Betrieb gemacht, der orthopädische Schuhe herstellt. Das waren Maßanfertigungen ab 1.500 Euro das Paar. Den Großteil davon zahlte die Krankenkasse, was denn Eigenanteil der Kunden sehr gering hält. In meinen Augen wurde das Produkt vom Kunden nicht immer wertgeschätzt, was mich als Handwerker sehr enttäuscht hat.

Jetzt arbeiten Sie in einer kleinen Schuhmacherei und nähen Liebhabermodelle. Wie kam es dazu?

Ich hatte das Glück, dass in meinem Ausbildungsbetrieb als Orthopädieschuhmacher ein Altgeselle arbeitete, der mir das Handnähen beigebracht hat. Er stammte aus Rumänien und kannte die alten Handwerkstechniken noch. Ohne ihn hätte ich sie vielleicht nie erlernt. Das ist das, was ich meine: Heutzutage lernt man kaum noch die alte Handwerkskunst. Dabei baut der gesamte Schuhbau darauf auf. Wir müssen aufpassen, dass dieses Wissen nicht verloren geht.

Welche Kunden haben Sie nun?

Ganz unterschiedliche. Vom Gabelstaplerfahrer, der sich ein Paar wirklich bequeme Schuhe leisten will, bis zum Manager, der ausgefallenes Design schätzt. Auch viele Frauen lassen sich bei uns Schuhe maßfertigen. Das Schöne ist, mitzuerleben, wie gerührt unsere Kunden sind, wenn sie ihre Schuhe zum ersten Mal anziehen. Sie lächeln, sind dankbar, manche bekommen sogar Tränen in die Augen.

Wirklich?

Ja. Es ist ein sehr angenehmes Gefühl, Maßschuhe zu tragen. Wie eine zweite Haut. Viele sind davon überrascht, wie gut es sich anfühlt.

Aber man muss es sich leisten können.

Man muss es sich leisten wollen. Es kommt immer darauf an, wo man die Priorität setzt. Für ihr Auto geben viele Leute eine Menge Geld aus. Aber man kann auch ein günstiges Auto fahren und sich dafür ein schönes Paar Schuhe leisten. Das kostet bei uns ab 1.600 Euro. Dafür halten diese Schuhe bei guter Pflege auch ein Leben lang.

Sie sind bald Schuhmachermeister. In Ihrer Generation ergreift diesen Beruf kaum noch jemand. Sorgen Sie sich um Ihre Zukunft?

Nein. Es ist ein sehr kleiner Berufszweig, jedoch ein sehr interessanter und vielfältiger. Und gerade weil wir so wenige sind, ist der Zusammenhalt in der Branche groß. Es ist keine Konkurrenz wie in anderen Branchen, sondern ein Miteinander. Aber natürlich müssen wir etwas dafür tun, dass unser Beruf nicht ausstirbt.

Was denn?

Wir müssen Jugendlichen unser Handwerk vermitteln. Meine Schwester ist Lehrerin. Mit ihr hatte ich schon einige Pläne, in Schulen zu gehen, um den Schülern zu zeigen, wie man mit Leder arbeitet. Dann hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber ich hoffe, wir holen es bald nach. Denn wie soll ein junger Mensch das alte Handwerk zu schätzen wissen, wenn er es gar nicht mehr kennenlernt? Ich stelle mir manchmal vor, dass ich erst in 20 Jahren geboren werde. Wahrscheinlich gibt es dann noch weniger Schuster als heute. Wie hätte ich dann meinen Beruf entdeckt? Trotzdem: Zukunftssorgen mache ich mir keine.

Das Gespräch führte Daniel Gräber.

Anzeige