Deutsche Klimapolitik - Zieht euch warm an!

Die Klimadebatte ist zur Symbolpolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der grünen Jamaika-Unterhändler verkommen. Statt um realistische Ziele, geht es um politische Trophäen. Das ist teuer und gefährlich

Muss die Welt unbedingt am deutschen Ökowesen genesen? / picture alliance
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Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Bei den vielen Zahlen, die in der Klimadebatte durch den politischen Raum geschleudert werden, wird eine zentrale Größe gerne unterschlagen: Deutschland trägt zum weltweiten Ausstoß von Kohlendioxyd (CO2) gerade mal mit zwei bis maximal drei Prozent bei. Selbst wenn wir also morgen alle Verbrennungsmotoren, Kohlekraftwerke und Industriebetriebe stilllegen und zu Hause bei ausgeschalteter Heizung in der Kälte bibbern, hat dies kaum einen Einfluss auf das Weltklima. Im Zweifel wird die deutsche Einsparung durch die drei Großemittenten China (28,2 Prozent), USA (16) und Indien (6,2) mehr als ausgeglichen. Wir retten die Fidschi-Inseln selbst dann nicht, wenn wir uns unserer Wohlstandsbasis berauben.

Weil aber die grünen Funktionäre unbedingt eine Trophäe brauchen, um sich die ersehnte Jamaika-Koalition von der widerborstigen Basis absegnen zu lassen, wird nun der Eindruck erweckt, als müsse die Welt unbedingt am deutschen Ökowesen genesen. Und weil Angela Merkel an ihrem Image als „Klimakanzlerin“ hängt, ist die CDU-geführte Bundesregierung auch bei der Weltklimakonferenz in Bonn zu allerhand Zugeständnissen bereit. Koste es, was es wolle. 

Andere Länder, andere Ambitionen

Dabei zählt Deutschland mit knapp fünf Milliarden Euro schon heute zu den großen Sponsoren, wenn irgendwo auf der Welt die Energiewende (mit)finanziert werden muss. Auch wollen die 22.000 (!) Teilnehmer der Bonner Großkonferenz nicht nur aushandeln, wie sich die 2015 in Paris vereinbarten Klimaziele konkret umsetzen lassen, sondern auch: wer dafür bezahlt. Die tatsächlichen und vermeintlichen Opfer des Klimawandels erwarten mindestens 100 Milliarden Entschädigung. Jährlich. Deutschland, das als Gastgeber an einem Konferenzerfolg besonders interessiert ist, soll seine Geldschatulle besonders weit öffnen.

Ob dieses Geld die erhoffte Wirkung zeigt, hängt auch davon ab, ob die Empfängerländer ihre klimapolitischen Ambitionen tatsächlich umsetzen, wenn es Bequemlichkeit und Wachstum kostet. Nicht überall werden Statistiken so penibel geführt wie in Deutschland. Das kommunistische Peking gibt zwar nach außen hin den Musterschüler, doch Vorrang hat das Ziel, zur ökonomischen Weltmacht aufzusteigen und damit Macht zu gewinnen. Dem Bekenntnis zur zehnprozentigen E-Mobilitäts-Quote steht das Wachstum an individueller Mobilität entgegen. Und der Strom dafür kommt aus neuen Kohlekraftwerken, die nach wie vor geplant und gebaut werden. In Indien müssten die Batterien der Millionen Elektroautos wohl über Diesel-Generatoren „betankt“ werden, weil es in weiten Teilen des Kontinents kein verlässliches Stromnetz gibt. Russland wiederum hat gegen die Klimaerwärmung nichts einzuwenden, wenn damit Regionen wie Sibirien etwas fruchtbarer werden. Die riesigen Moor-Brände werden kaum bekämpft. 

Saftige Renditen für Ökounternehmen

Gerade Deutschland müsste wissen, dass mit viel Geld auch falsche Anreize geweckt werden. Das Land ist übersät mit gigantischen Windrädern, riesigen Solarparks und stinkenden Biogasanlagen. Allein dafür zahlen die Verbraucher mittlerweile 25 Milliarden Euro pro Jahr und somit den höchsten Strompreis in Europa. Es ist zwar richtig, dass Wind und Sonne keine Rechnung stellen; die Betreiber dafür aber um so saftigere. Die bis zu zweistelligen Renditeversprechen wollen schließlich bedient werden. Immer neue Energieeinsparverordnungen treiben die Bau- und Immobilienpreise in die Höhe, ohne dass sich bei der CO2-Bilanz ein entsprechender Nutzen einstellt. Hauptprofiteur ist vor allem die Dämmstofflobby, auf den möglichen Schimmelschäden und hohen Entsorgungskosten bleiben die Besitzer sitzen. Und alle zusammen klagen dann über drastische steigende Mieten und Wohnungsnot.

Wie in der Flüchtlingsdebatte werden auch bei der Energiewende die negativen Begleiterscheinungen gerne ausgeblendet. Der Klimawandel ist das neue Höllenfeuer, vor dem die Welt gerettet werden muss. Da wird schnell zum „Klimaleugner“ erklärt, wer auch nur an der Sinnhaftigkeit einzelner Maßnahmen zweifelt und auf Fakten verweist. Dabei harren Widersprüche zuhauf auf Klärung:

-    Wer etwa fordert, dass nach den Atommeilern auch noch die letzten Kohlekraftwerke umgehend vom Netz genommen werden müssen, sollte einen verlässlichen Ersatz für 40,5 Prozent des Stroms benennen, der heute in Deutschland auch deshalb fossil erzeugt werden muss, weil Sonne und Wind eben nicht verlässlich sind und es noch immer an Speichermöglichkeiten fehlt.

-    Wer dagegen hält, dass deutsche Energieversorger acht Prozent ihrer Stromproduktion nach Österreich, Polen, Holland und die Schweiz exportieren, sollte hinzufügen, dass es sich dabei um den Überschuss an wind- und sonnenreichen Tagen handelt. Oft müssen wir diesen Strom sogar verschenken. Schweizer und Österreicher füllen damit billig ihre Pumpspeicher, um uns dann an anderen Tagen teuren „Ökostrom“ zu verkaufen.

-    Wer die Elektromobilität zur Lösung aller Klimaprobleme erklärt, hat gleich eine ganze Latte von Fragen zu beantworten: Wodurch werden die Hunderttausende gut bezahlter Arbeitsplätze in der Automobil- und Zulieferindustrie ersetzt, zumal die Ökobranche sich bislang nur mit Subventionen über Wasser halten kann und die Jobversprechen bei weitem nicht einhält? Fließt mit den Batterien die Hauptwertschöpfung nach Asien ab und wie steht es um deren Energie- und Ökobilanz? Woher kommt der Strom für Millionen E-Autos? Wer baut die Ladestationen auf dem dünn besiedelten Land, wo die Menschen weite Wege zur Arbeit zurücklegen müssen und nicht auf den hoch subventionierten öffentlichen Nahverkehr umsteigen können? Deshalb warnt selbst die Internationale Energieagentur (IEA): Die Chancen werden überschätzt.

-    Woher kommen die 1,4 Billionen Euro, die Deutschland aufwenden muss, um sein ehrgeiziges Klimaziel (80 Prozent CO2-Einsparung bis 2050 gegenüber 1990) zu erreichen? Wo wird gestrichen, wo zusätzlich kassiert? 

-    Und wofür das alles? Denn wie die Deutschen ihre Energiewende praktizieren, ist mitnichten ein Erfolg. „Die Milliarden, die jährlich in die Förderung erneuerbarer Energien fließen, haben einen kaum messbaren Nutzen für die CO2-Bilanz“, urteilt die Deutsche Bank. Das ist teure Symbolpolitik, die auch noch wenig Nutzen für die Umwelt bringt. 

Moralisches Muss statt pragmatisches Kann

Wer dies alles als Nebensächlichkeiten abtut, für die sich schon irgendwie eine Lösung finden lasse, der sollte wenigstens zur Kenntnis nehmen, dass eine derart radikale Energiewende auch zu erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen führt. Nicht nur in den Braunkohlerevieren der Lausitz oder um Garzweiler. Die AfD wurde auch von Menschen gewählt, die nicht in Armut leben, sondern sich vor einem Abstieg fürchten. Was, wenn mit der Automobilbranche auch dieser letzte bedeutsame Industriezweig wegbricht? Was, wenn immer neue Ökoauflagen das Wohnen für immer mehr Menschen unbezahlbar macht? Wenn der Frust auf dem Lande wächst, weil die Menschen dort den Eindruck gewinnen, von einer Lifestyle getriebenen Großstadtelite bevormundet zu werden?

Wer all diese Einwände in den Wind schlägt, sollte jedenfalls nicht so tun, als sorge er sich wirklich um die Spaltungen der Gesellschaft. Der will keine ehrliche Debatte. Doch das ökologische Mäntelchen wird schnell rissig, wenn die Energiewende allein als moralisches Muss verfochten und das pragmatische Kann ausgeklammert wird. Nicht nur mit dem sorgenvollen Blick auf kalte Wohnungen und eine wackelige Stromversorgung muss man dann warnen: Zieht euch warm an! 

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