Designierte BDI-Geschäftsführerin - Schwarz-Grüne Lobbyistin

Die frühere Umweltministerin von Baden-Württemberg, Tanja Gönner, wird Hauptgeschäftsführerin des BDI – und will im Verband neue Schwerpunkte setzen.

Tanja Gönner wird im zweiten Halbjahr 2022 ihr neues Amt als Hauptgeschäftsführerin des BDI antreten / GIZ Photothek
Anzeige

Autoreninfo

Johanna Henkel-Waidhofer ist Korrespondentin für Landespolitik in Baden-Württemberg für mehrere deutsche Tageszeitungen. 

So erreichen Sie Johanna Henkel-Waidhofer:

Anzeige

Oftmals in ihrem Leben war Tanja Gönner ihrer Zeit voraus – jedenfalls für CDU-Verhältnisse. Schon in den 1980ern in der Jungen Union wollte sie die Männerdominanz nicht hinnehmen. Oder 2002, als sie auf der nicht eben für ihre Progressivität bekannten Schwäbischen Alb das Bundestagserbe des plötzlich verstorbenen CDU-Granden Dietmar Schlee antrat und zwei Jahre später als jüngste Ministerin überhaupt nach Stuttgart wechselte. Im Herbst wird Gönner nun Hauptgeschäftsführerin des einflussreichen Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).

Der Verband vertritt rund 100 000 Unternehmen mit etwa acht Millionen Beschäftigten, und die Namensliste seines Vorstands kommt einem Who’s Who der deutschen Wirtschaft gleich: Der BDI ist eine der mächtigsten Interessenvertretungen weltweit. Sie wolle erst einmal vieles auf sich zukommen lassen, schaut Gönner mit augenzwinkerndem Selbstbewusstsein auf den neuen Job. Als Vorstandssprecherin der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), einem bundeseigenen Unternehmen mit 25 000 Mitarbeitern in 120 Ländern, hat sie einiges mitzubringen. Sie weiß, was Führung heißt. Und sie hat eindrückliche Erfahrungen in armen und ärmsten Ländern mit im Gepäck.

Niederlagen in der Partei

Die leidenschaftliche Netzwerkerin kommt aus der 2700-Seelen-Gemeinde Bingen (Kreis Sigmaringen), wo sie heute noch ihren Hauptwohnsitz hat. Sie ist Fußballexpertin seit Kindertagen, weil der Vater zuerst Torwart und dann Schiedsrichter war und Pragmatismus schon damals Pflicht der drei Sprösslinge. Das sonntägliche Familienleben spielte sich nach dem Kirchgang auf dem Fußballplatz ab: „Wenn wir zusammen sein wollten, mussten wir mit.“ Später studierte sie Jura in Tübingen, wurde 1999 Rechtsanwältin. Sie blieb unverheiratet und kinderlos und hat damit praktisch ein Alleinstellungsmerkmal unter CDU-Frauen selbst ihrer Generation – in der Vita gibt es keine Familienpause. Die inzwischen 52-Jährige war immer präsent, was vielen Männern in der Partei lange Zeit ziemlich unheimlich vorkam und Anlass für heftige Attacken war: „empathielos“, „vom Ehrgeiz zerfressen“, „machthungrig“.

Tatsächlich hätte Gönner gern Geschichte geschrieben in Baden-Württemberg, als erste Frau griff sie 2011 nach dem Vorsitz in Fraktion und Partei. Oppositionsführerin im Landtag wollte sie werden und nach dem Machtwechsel von Schwarz-Gelb zu Grün-Rot Winfried Kretschmanns Widerpart. Den Segen der Kanzlerin hatte sie als Teil des berühmt-berüchtigten Girlscamp. Geholfen hat das nicht: Thomas Strobl wurde Landes- und Peter Hauk Fraktionschef. Letzterer für nur gut drei Jahre, so unzufrieden war die eigene Truppe mit ihm. Und Ersterer verantwortet seither viele Wahlschlappen für die frühere selbst ernannte Baden-Württemberg-Partei.

Im Groll schaut Gönner trotzdem nicht zurück. „Wer in die heiße Küche geht, muss Hitze vertragen“, heißt ihre Devise. Kurz nach jener ersten großen Niederlage hatte sie sich eine zweite abgeholt: Nicht einmal ihr eigener Bezirksverband Südwürttemberg wollte sie zur Vorsitzenden wählen. Den Abend dieses für die gesellschaftliche Reife der Südwest-CDU denkwürdigen Tages vor elf Jahren vergisst sie nicht: „Ich spürte, jetzt habe ich alle Freiheiten der Welt.“ Immer hatte sie sich der Partei verbunden, aber auch verpflichtet gefühlt, das war jetzt vorbei. Und Zeit, etwas Neues zu beginnen. Also nahm sie das GIZ-Angebot an.

Nachhaltigkeit an erster Stelle

Als BDI-Chefin wird nun nicht nur ihr Umgang mit Entwicklungs- und Schwellenländern spannend zu beobachten sein. Vor allem trägt sie im Kampf gegen die Erderwärmung ihre Erfahrungen als Umweltministerin in den Verband. Die neue Hauptgeschäftsführerin hat die Latte schon vor fast 15 Jahren hoch gelegt, als sie gegen massiven Widerstand in der eigenen Partei die strengen EU-Emissionsvorgaben für die Automobilindustrie anerkannte. „Die hat einen an der Waffel“, musste sie sich einmal bei einer Veranstaltung in der Brüsseler Landesvertretung von einem schier fassungslosen Mitdiskutanten vorwerfen lassen, der so außer sich war, dass es ihm nicht einmal gelang, die Gastgeberin direkt anzusprechen.

Gönner selbst rankt das Erneuerbare-­Wärme-Gesetz ganz hoch auf der Skala der politischen Erfolge: „Wir waren extrem früh dran, und ich bin extrem dafür kritisiert worden.“ Aber sie habe ihre fünf Minuten in der Geschichte Baden-Württembergs bekommen „und vielleicht eine Minute in der Geschichte der Bundesrepublik“, sagt sie, „die hab’ ich genutzt“. Sie wird es wieder tun in ihrem zupackenden Ehrgeiz, darin sind sich viele Weggefährten einig, wenn sie die Gelegenheit bekommt.

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

Sie sind Cicero-Plus Leser? Jetzt Ausgabe portofrei kaufen

Sie sind Gast? Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige