Debattenkultur - Moral ist einfacher als Sachanalyse

Die Automobil- und Maschinenbauer stecken in der Krise und streichen immer mehr Stellen. Der IWF senkt erneut die Wachstumsprognose. Statt sachlich zu analysieren aber dreht sich das Medien-Empörungskarussell gelangweilt um andere Themen

Wir können den Weg wählen: Emotionalisierung oder Sachlichkeit / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Deutschland im Sommer 2019: Die Daimler AG, immerhin der drittgrößte Automobilhersteller mit weltweit knapp 300.000 Angestellten, gibt die zweite Gewinnwarnung in Folge heraus und schreibt im zweiten Quartal einen operativen Verlust von 1,6 Milliarden Euro. Passend dazu kündigt Autozulieferer Bosch, ein Gigant der Branche, massive Stellenstreichungen an – nicht das erste Mal in diesem Jahr. Mitbewerber Continental wartet ebenfalls mit einer Gewinnwarnung auf.

Ein weiterer bekannter Name der Automobilzulieferbranche, die Rietheimer Marquard GmbH, wird 600 Stellen von Baden-Württemberg nach Rumänien, Mazedonien und Tunesien verlagern. Der Maschinenbauer Schuler in Göppingen kündigt die Streichung von 500 Stellen an. Ebenfalls in Göppingen werden auch WMF und Fysam massiv Jobs streichen. Der Anlagenbauer Eisenmann in Böblingen muss in die Insolvenz, davon betroffen sind über 1.400 Mitarbeiter in Deutschland. Der VDMA, der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, verkündet einen Rückgang der Bestellung von neun Prozent in der ersten Jahreshälfte, gemessen am entsprechenden Vorjahreszeitraum.

Schwache Wachstumsprognosen

Das alles wäre für sich genommen ungemütlich genug. Doch die handfeste Krise der deutschen Automobil- und Maschinenbauer ist gerahmt von Eckdaten, die alles andere als beruhigend sind. Soeben hat der Internationale Währungsfond IWF zum dritten Mal in Folge die Wachstumsprognosen gesenkt, für Deutschland von ursprünglich 1,3 auf nunmehr 0,7 Prozent. Und nur Optimisten glauben, dass es dabei bleibt. Der IFO-Geschäftsklimaindex ist so niedrig wie seit sechs Jahren nicht mehr. Der wichtige Einkaufsmanagerindex der deutschen Industrie sank in den letzten 12 Monaten um ein Drittel. Das ist der tiefste Stand seit sieben Jahren. Weltweit sieht es im Übrigen nicht besser aus. Auch der Global Manufacturing PMI ist derzeit so niedrig wie seit 2012 Jahren nicht mehr.

Die Lage ist ernst, um es einmal zurückhaltend zu formulieren. Nicht wenige Analysten ziehen Parallelen zu 2007. Und das nicht ohne Grund. Auch damals begann die amerikanische Notenbank mit Zinssenkungen, was tatsächlich zu einem letzten Strohfeuer nach mehreren Boomjahren führte, dann aber in den Crash mündete. Wenn man sich klarmacht, dass insbesondere die EZB auf die anstehende Rezession nur noch dadurch reagieren kann, dass sie ihre Zinsen massiv in den negativen Bereich schiebt, bekommt man eine Ahnung davon, was uns bevorstehen kann.

Deutschland macht sich andere Sorgen

Aber offensichtlich haben wir andere Sorgen. Man hat den Eindruck, Deutschland sei ein Rundumsorglos-Paradies, dessen Hauptproblem darin liegt, dass ein paar Unverbesserliche sich zu diskriminierenden, ausgrenzenden und politisch unerwünschten Äußerungen hinreißen lassen. 

Aber leider: Von Moral kann man nicht leben. Achtsamkeit schafft keine Jobs. Und Diskriminierungssensibilität finanziert nicht die Renten von morgen. Das soll nicht bedeuten, dass man Menschenverachtung und Hetze auf sich beruhen lassen soll. Und jeder einzelne Fall, in dem ein Mensch wegen irgendeiner seiner Eigenschaften oder Vorlieben beleidigt oder herabgestuft wird, ist einer zuviel. Doch der Medienbetrieb täte mitunter gut daran, zwischen existentiellen und weniger existentiellen Problem zu unterscheiden – auch im Sommerloch.

Emotionen sind nicht der Schlüssel

Doch Moral ist einfacher als Sachanalyse. Und noch einfacher ist es, sich über andere zu erheben. Das hat zudem den angenehmen Nebeneffekt, eine Menge kulturelles Kapital auf das eigene Imagekonto zu spülen. Weshalb sollte man sich dann komplizierten und undurchsichtigen Themen widmen, die zudem kein klares Storytelling ermöglichen? Denn Storytelling ist wichtig, wie schon jeder Marketing-Student weiß. Denn nur Storytelling verspricht Emotionen und damit Kundenbindungen, also Hörer, Zuschauer, Leser und Klicks.

Komplizierte Sachanalysen hingegen sind wenig sexy, viel zu unübersichtlich und moralischen Mehrwert versprechen sie auch nicht. Und so berauscht sich die Meinungsindustrie an angeblichen Skandalen und der eigenen eingebildeten moralischen Überlegenheit und übersieht dabei die Wirklichkeit. Bleibt nur ein Trost: Früher oder später werden auch die Meinungsmacher von ihr eingeholt.

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