Bundesrechnungshof Kritik an der Deutschen Bahn - Hilfloses Schweigen

Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche musste der Vorstand der Deutschen Bahn ins Verkehrsministerium. Dieses Mal kam die Kritik vom Bundesrechnungshof. Dessen Präsident Kay Scheller fordert eine umfassende Kurskorrektur. Der Bund soll endlich wieder Verantwortung übernehmen

Wenigstens auf Verspätungen ist bei der Deutschen Bahn Verlass / picture alliance
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Die gute Nachricht zuerst: In dieser Woche gab es keine neuen Schreckensmeldungen für die Kunden der Deutschen Bahn. Das liegt vor allem daran, dass sich Bahnfahrer und die Öffentlichkeit längst an das katastrophale Erscheinungsbild des bundeseigenen Unternehmens gewöhnt haben und defekte Züge, marode Infrastruktur und ständige Verspätungen mittlerweile als Normalität wahrnehmen.

Kurz- und mittelfristige Besserung ist nicht in Sicht. Daran werden auch die in letzter Zeit regelmäßig einberufenen Krisensitzungen des Aufsichtsrats und des Vorstands sowie die Interventionen des Bundesverkehrsministeriums wenig ändern. Auch beim erneuten Gipfeltreffen zwischen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Bahn-Vorstandschef Richard Lutz am Donnerstag wurde wenig mehr als heiße Luft produziert.

Längst geht es nicht mehr nur um straffere Unternehmensstrukturen und kurzfristige Maßnahmenpläne zur Stopfung der größten Löcher zum Beispiel bei der Pünktlichkeit. Um die Deutsche Bahn zu einem modernen, leistungsfähigen Dienstleistungsunternehmen zu entwickeln – das seine gesamtgesellschaftliche Verantwortung für sozial- und umweltverträgliche Mobilität mit entsprechender Quantität und Qualität wahrnehmen kann – müssten ganz dicke Bretter gebohrt und ein radikaler Bruch mit der jüngeren Vergangenheit vollzogen werden.

Kerngeschäft wird vernachlässigt

Dazu müsste man sich auch endlich ehrlich machen. Die 1994 vollzogene Umwandlung der Bundesbahn in eine privatrechtlich agierende Aktiengesellschaft im Bundesbesitz ist eben keine „Erfolgsgeschichte“, sondern eine Geschichte des Scheiterns. Wenn man von den durchaus bemerkenswerten Fortschritten in Teilen des Regionalverkehrs einmal absieht. Das von den verschiedenen Bundesregierungen seit dieser Zeit auf Gewinnmaximierung und die Option eines späteren Börsengangs getrimmte Unternehmen, betrachtete seine Infrastruktur, das rollende Material und seine Wartung, die Servicequalität und nicht zuletzt das Personal in erster Linie als Einsparpotenziale – mit den bekannten verheerenden Folgen.

Der Investitionsstau wird mittlerweile auf einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag beziffert. Viel Geld versickert bis zum heutigen Tag in verkehrspolitisch unsinnigen Großprojekten wie dem unterirdischen Bahnhof „Stuttgart 21“. Zudem führte die zeitweilige Ausrichtung auf die Schaffung eines Global Players in der weltweiten Logistikbranche zu zweifelhaften Investitionen in Milliardenhöhe. So fällt es schwer zu verstehen, dass der Einstieg in den Fernbusmarkt oder den Straßengüterverkehr, was beides in direkter Konkurrenz zum eigenen Mobilitätsangebot steht, zum Kerngeschäft eines bundeseigenen Schienenverkehrsunternehmens gehören sollten.

Das gilt aber auch für Investitionen außerhalb Deutschlands. Derzeit ist die Bahn AG in 140 Ländern unternehmerisch tätig, 513 der insgesamt 700 Tochterfirmen haben ihren Sitz im Ausland, bis hin zur Weintransportlogistik in Australien oder dem Betrieb von Wassertaxen in einigen europäischen Ländern. Die dort erzielte Gewinne fließen auch nicht in die heimischen Geschäftsbereiche, sondern werden für weitere Expansionen verwendet. Mit dem Ergebnis, dass die Bahn AG seit 2017 nicht mehr in der Lage ist, mit den Erlösen aus dem operativen Geschäft die betriebsnotwendigen Investitionen in das Kerngeschäft zu tätigen, also den Transport von Gütern und Menschen auf der Schiene.

Prämien statt Dumpinglöhnen

Das hat jetzt auch den Bundesrechnungshof (BRH) auf den Plan gerufen. In seinem am Donnerstag veröffentlichten „Bericht zur strukturellen Weiterentwicklung und Ausrichtung der Deutschen Bahn AG am Bundesinteresse“ fordert der BRH in teilweise ungewöhnlich scharfem Ton eine umfassende Kurskorrektur. Der Bund müsse endlich seine Verantwortung wahrnehmen, um den im Grundgesetz fixierten Gemeinwohlauftrag zur Sicherstellung eines an den Verkehrsbedürfnissen orientierten Schienenverkehrs, so Bundesrechnungshof-Präsident Kay Scheller am Donnerstag in Berlin. Als Alleineigentümer müsse er ferner eindeutig festlegen „was für eine Bahn und wie viel Bahn wir haben wollen“, um auf dieser Grundlage die entsprechende Finanzierung sicherzustellen. Zu prüfen wäre daher der Verkauf von Tochterfirmen und Auslandsbeteiligungen. Auch das Konstrukt der Bahn als gewinnorientierter Aktiengesellschaft stellt der BRH in Frage. Denn dieses sei auf einen Börsengang der Bahn ausgerichtet gewesen, der aber seit mehr als zehn Jahren kein Thema mehr sei, so Scheller.

Positiv steht der Bundesrechnungshof auch Überlegungen gegenüber, das Netz und dessen Unterhalt aus dem Konzern herauszulösen und als gesamtgesellschaftliche Infrastrukturaufgabe in direkte Bundesverantwortung zu übertragen. Denn bislang ist das Netz für den Konzern ein „Profit-Center“, da die Trassengebühren nicht unwesentlich zum Konzernergebnis beitragen und zudem die Verfügungsgewalt über die Infrastruktur private Konkurrenten partiell ausbremst. Schließlich käme auch niemand auf die Idee, deutsche Autobahnen an den VW-Konzern zu übertragen, der dann bestimmen dürfte, welche Autos anderer Fabrikate wann und zu welchem Preis dort fahren können.

Dass Wettbewerb auf der Schiene funktionieren kann, zeigt – trotz nach wie vor bestehender Mängel – der Regionalverkehr. Die jeweiligen Teilnetze werden von den Ländern ausgeschrieben, mit klaren Vorgaben für Taktzeiten, Beförderungskapazitäten und Servicequalität sowie mit finanziellen Sanktionen bei Minderleistungen. Und auch das gewerkschaftliche Argument, dies befördere Lohndumping, da die Länder stets den billigsten Anbieter nehmen würden, zieht nicht mehr. Denn den Gewerkschaften, vor allem der GDL, ist es mittlerweile gelungen, fast alle privaten Bahnunternehmen einem Flächentarifvertrag zu unterwerfen, der sich an den Bedingungen der DB orientiert. Ohnehin wäre es angesichts des dramatischen Fachkräftemangels derzeit kaum möglich, zum Beispiel Lokführer mit Dumpinglöhnen abzuspeisen. Vielmehr sind „Kopfprämien“ bei einem Unternehmenswechsel längst keine Seltenheit mehr.

Zukunftsorientierten Bahnpolitik

Doch die Trennung von Infrastruktur und Fahrbetrieb böte noch eine weitere große Chance. Endlich könnte die Schienenverkehrsplanung wieder dem Primat der Politik unterworfen werden. Statt sinnlosen Großprojekten wie Stuttgart 21 und isolierten Hochgeschwindigkeitsstrecken ohne vernünftige Anbindung an das restliche Netz könnte die Trassenplanung im Sinne eines integrierten Verbundes vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Heute werden in Deutschland Strecken erst gebaut und dann danach geschaut, welcher Fahrplan möglich ist. Das führt unter anderem dazu, dass man zwar mit „Sprinter“-Zügen schnell zwischen zwei Metropolen unterwegs ist, aber dort mitunter sehr lange auf Anschluss warten muss oder gar keinen hat. 

In einigen anderen Ländern, besonders in der Schweiz, ist es genau umgekehrt. Im Mittelpunkt der Planungen steht dort die Vertaktung des Fahrplans im gesamten Netz mit kurzen Umsteigezeiten unter Einbeziehung aller Verkehrsträger, also auch der Regionalzüge und Buslinien. Auf dieser Basis werden dann Neu- und Umbaumaßnahmen im Schienennetz realisiert. Längst liegen derartige Pläne unter dem Namen „Deutschland-Takt“ auch hierzulande in diversen Schubladen – und stauben vor sich hin. Auch weil die Bahn AG in erster Linie auf die profitablen „Rennstrecken“ setzt und sich wenig um die betriebswirtschaftlich weniger interessante Peripherie schert. Aber genau das wäre die Aufgabe einer zukunftsorientierten Bahnpolitik.

Aber mehr als einige kurzfristige „Sofortmaßnahmen“ gegen Unpünktlichkeit, Netzengpässe, marode Züge und Arbeitskräftemangel sind vom derzeitigen Verkehrsminister und dem Bahn-Vorstand wohl kaum zu erwarten. Bundesrechnungshof-Präsident Scheller bezeichnet das Agieren der Verkehrspolitik in den vergangenen Jahren denn auch als „hilfloses Schweigen“. Und übt sich in Bescheidenheit. Er hoffe, dass die Verantwortlichen den aktuellen Bericht seiner Behörde und die darin enthaltenen Vorschläge wenigstens lesen, sagte er am Donnerstag. Denn in der Vergangenheit habe er „nicht immer den Eindruck gehabt, dass das der Fall war“.  

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