Ein neues Gerüst - So will die Börse den Dax umbauen

Die Deutsche Börse will den Deutschen Aktienindex (Dax) umbauen. Die Vorschläge gehen zum Teil sehr weit - und dürften längst nicht allen Unternehmen gefallen.

Die deutsche Börse zieht Lektionen aus dem Wirecard-Skandal und schraubt an den Kriterien für den Dax /dpa
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Nils Wischmeyer ist freier Finanz- und Wirtschaftsjournalist beim Journalistenbüro dreimaldrei

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Die Situation war lächerlich, das sah auch die Deutsche Börse. Doch tun konnte sie nichts dagegen, dass der Skandalkonzern Wirecard auch nach seiner Insolvenz immer noch im Deutschen Aktienindex (Dax) notierte. Eigentlich sollten dort die 30 wichtigsten börsennotierten Firmen Deutschlands einen Platz haben.

Doch als Wirecard einräumen musste, dass der Konzern rund 1,9 Milliarden Euro vermisste, kurz darauf die Insolvenz anmelden musste und der Aktienkurs auf wenige Euro einbrach, blieb Wirecard Teil dieser elitären Unternehmensgruppe. Solch einen Fall soll es nach dem Willen der Deutschen Börse nicht noch einmal geben.

Die erste Änderung

In einer ersten Maßnahme änderte sie kurzerhand die Regeln: Ist ein Unternehmen insolvent, wird es jetzt mit einer Frist von zwei Handelstagen aus dem Dax genommen. Wirecard musste seinen Platz also räumen, der Essenslieferant Delivery Hero rückte in den Dax nach. Es ist die erste von womöglich vielen Änderungen, die in den kommenden Monaten anstehen könnten.

Hintergrund dieser obskuren Situation um Wirecard waren die Regeln, die die Deutsche Börse für den Dax aufgestellt hat. Demnach war es zum damaligen Zeitpunkt egal, ob ein Unternehmen insolvent war oder nicht. Rausgeflogen ist es erst, wenn die nächste Überprüfung des Index anstand.

Der Ball liegt wieder bei der Deutschen Börse  

Darin vergleicht die Börse den Handelsumsatz, also wie oft eine Aktie gehandelt wird, und die Free-Float-Marktkapitalisierung, also wie viel ein Unternehmen laut der frei handelbaren Aktien wert ist. Dabei werden die frei handelbaren Wertpapiere mit dem Kurswert multipliziert. Erst wenn ein Konzern nicht mehr zur Spitzengruppe gehört und es einen passenden Nachrücker gibt, verändert sich die Zusammensetzung des Dax.

Die Börse will nach dem Debakel tiefgreifende Veränderungen durchsetzen und hat im Oktober erste Vorschläge unterbreitet. Bis zum 4. November hatten Marktteilnehmer Zeit, sich zu äußern. Jetzt liegt der Ball wieder bei der Deutschen Börse, die eine Entscheidung aber frühestens am 23. November veröffentlichen will. Doch was hat sie überhaupt vorgeschlagen?

Der Dax soll größer werden

Die wohl wichtigste Änderung ist zugleich auch die, die die meisten Menschen verwirren dürfte. Die Börse nämlich würde den Dax gerne erweitern. Statt wie bisher 30 Titel soll er zukünftig bis zu 40 Aktien umfassen. Aus den „Dax-30“, die die Deutschen kennen, würden so die „Dax-40“. Diese breitere Aufstellung befürworten viele Experten, die sich davon eine bessere Diversifizierung versprechen. Denn wo mehr Aktien in einem Index liegen, investieren Anleger grundsätzlich in ein breiteres Feld an Aktien, womöglich auch mehr aus Zukunftsbranchen, die erst noch wachsen müssen.

Würde sich der Dax um zehn Titel vergrößern, könnten im kommenden Jahr beispielsweise Symrise, ein Hersteller von Duft- und Geschmacksstoffen, die Online-Mode-Plattform Zalando, Siemens Energy oder das Biotechunternehmen Qiagen aufsteigen. Wer aber tatsächlich den Sprung schafft, entscheidet sich noch an einer anderen Änderung.

Kommt der „Dax-100“? 

So hat die Deutsche Börse vorgeschlagen, künftig nur noch die Marktkapitalisierung der frei handelbaren Aktien als Kriterium zu nutzen und Börsenumsätze außen vor zu lassen. Stattdessen bräuchte es nur eine gewisse „Mindestliquidität”.

Auch andere Börsenindizes sind breiter aufgestellt, darunter der CAC 40 in Frankreich mit 40 Titeln oder der S&P 500 in den USA, der gar 500 US-Aktien umfasst. Ob der „Dax-40“ ausreicht um eine tatsächliche stärkere Diversifikation zu bekommen, ist wiederum fraglich. Die neuen Titel werden voraussichtlich nur acht Prozent des Leitindex ausmachen, weshalb einige Experten bereits einen „Dax-100“ fordern.

Der Dax soll qualitative Kriterien bekommen

Neben der Größe möchte die Deutsche Börse unter anderem einige Kriterien einführen, um die Qualität des Index zu verbessern und ihn ethischer zu gestalten. So sollen Unternehmen, die mehr als zehn Prozent ihrer Umsätze mit kontroversen Waffen machen, nicht mehr Mitglied der Dax-Familie sein.

Dazu gehören beispielsweise Atomwaffen oder Biokampfstoffe. Obwohl es sinnvoll erscheint, gerade auch, weil Anleger immer häufiger zu ethischen Investments greifen, wäre eine solche Regelung die erste qualitative dieser Art. Bisher entscheiden über Dax Auf- und Abstieg fast nur die harten Zahlen an der Börse oder in der Bilanz.

Für junge Unternehmen könnte es eng werden 

Qualitative Kriterien dürften auch darüber hinaus eine Rolle bei der Zukunft des Dax spielen. So sollen Unternehmen künftig nachweisen müssen, dass der Aufsichtsrat auch einen Prüfungsausschuss hat und Quartalsberichte sowie testierte Jahresberichte fristgerecht vorlegen. Passiert das nicht, will sich die Deutsche Börse vorbehalten, ein Unternehmen aus dem Index zu schmeißen. Bisher gibt es diese Sanktionsmöglichkeit nicht.

Weniger qualitativ, dafür umso einschneidender ist dagegen eine Regelung, die die Profitabilität der Unternehmen betrifft. Setzt die Deutsche Börse ihren Vorschlag um, müssen Unternehmen, die in den Dax aufrücken, in den letzten beiden Jahresabschlüssen einen Gewinn statt eines Verlusts vorweisen. Diese Neuerung trifft besonders schnell wachsende, junge Unternehmen.

Hätte es die Regel beispielsweise schon beim aktuellen Wechsel von Delivery Hero und Wirecard gegeben, hätte es der Essenslieferant Delivery Hero nicht in den Leitindex geschafft. Hat ein Konzern aber einmal den Sprung in den Leitindex geschafft, darf er nach der Vorstellung der Börse ruhig Verluste schreiben.

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