Coronavirus in Italien - „Ja, spinnt ihr denn alle?“

Wegen des Coronavirus steht Italien zunehmend still. Mailand erlebt nun den vierten Tag in Folge eine Ausgangssperre. Im Interview mit „Cicero“ erzählt die Restaurantbesitzerin Laura Riccardi von ihrer Situation. Die Lage scheint gesundheitlich und wirtschaftlich immer dramatischer zu werden.

Leere Tische wegen Corona – Das Restaurant „Zibo“ in Mailand / privat
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Laura Riccardi (31) betreibt mit ihrem Mann Giulio Potestà (33) seit 2017 das Restaurant „Zibo“ in Mailand. Für die junge Familie geht es wegen der Coronvirus-Krise um die wirtschaftliche Existenz.

Frau Riccardi, den wievielten Tag leben Sie jetzt in einer abgeriegelten Stadt?
Am 8. März wurde Mailand zur roten Zone erklärt. Das heißt, seit vier Tagen geht hier gar nichts mehr. Eigentlich ist das ja noch gar nicht lange, aber es ist einfach nur unglaublich.

Wie können wir uns eine abgeriegeltes Mailand vorstellen?
Es ist eine Gespensterstadt. Niemand geht mehr irgendwo hin. Die Kinos, die Theater, die Oper, alles hat geschlossen. Es fahren kaum noch Autos. Ich kenne ein Paar, das wurde von der Polizei angehalten. Die wollten wissen, wo sie hingehen. Es ist verboten, einfach durch die Gegend zu laufen, ohne dass es wirklich nötig ist. Nur wer zur Arbeit oder einkaufen geht, darf das Haus verlassen. Die Klamottengeschäfte haben absurderweise noch offen. Aber keiner geht dort einkaufen. Total absurd.

Was ist mit Supermärkten?
Die für Lebensmittel haben alle offen. Aber es dürfen je nach Größe des Ladens immer nur ein paar Leute auf einmal rein. Genauso ist es bei den Apotheken. Diese ganze Szenerie ist einfach ziemlich gruselig. Aber noch können wir damit gut umgehen. Vielleicht weil es erst der vierte Tag ist.

Sie haben ein kleines Kind. Machen Sie sich Sorgen?
Unsere Tochter ist jetzt ein Jahr alt. Kinder sollen ja viel besser geschützt sein, weil sie Antikörper haben. Aber sehr kleine Kinder sind wiederum wohl noch relativ anfällig. Ich mache mir deshalb schon Sorgen, ja.

Haben Sie den Eindruck, dass die Regierung angesichts dieser Krise einen guten Job macht?
Die Regierung bemüht sich auf jeden Fall. Die werden, so wie die Ärzte sicher auch die ganze Nacht durcharbeiten. Aber ob Sie wirklich alles richtig gemacht haben? Das denken wir tatsächlich nicht.

Laura Riccardi und ihr Mann Giulio Potestà vor ihrem Restaurant

Was ist das Problem?
Es geht um die wirtschaftlichen Folgen. Wir dürfen unser Restaurant nur noch tagsüber aufmachen. Ab 18 Uhr müssen per Dekret alle Restaurants, Bars und Pubs geschlossen sein.* Das macht auf den ersten Blick vielleicht Sinn, weil man denken könnte: Abends kommen mehr Leute. Das ist zu riskant. Aber es gibt ja schon die Regel, dass wir die Tische so stellen müssen, dass alle Gäste anderthalb Meter Abstand voneinander haben. Die Regel ist also absurd. Man bekommt das Virus ja auch tagsüber, nicht nur abends. Und abends haben wir die meisten Kunden.

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Das heißt, Sie machen jetzt zu wenig Umsatz?

Ja, klar. Wir sind in einer Whatsapp-Gruppe mit 500 anderen Restaurant-Besitzern aus Mailand. Wir haben die Vermutung, dass die Regierung jetzt schon weiß, dass sie kein Geld haben wird, uns zu entschädigen. Darum lassen sie uns tagsüber öffnen, damit wir nachher nicht sagen können, wir hätten keinen Umsatz mehr machen können. Aber das können wir nur vermuten. Jedenfalls haben wir uns gestern mit einem gemeinsamen Brief an die Regionalregierung gewendet. Darin fordern wir, dass wir die Läden ganz schließen sollen müssen. Alles andere macht keinen Sinn. Wir haben jedenfalls seit gestern unser Restaurant eigenhändig komplett geschlossen.

War das die einzige Möglichkeit?
Uns geht es ja eigentlich gut. Wir sind so gut wie immer ausgebucht. Die Leute lieben unsere hausgemachte Pasta. Aber wir haben nur knapp 30 Plätze. Bekommen wir die nicht voll, können wir nicht mehr kostendeckend arbeiten. Wir hatten noch überlegt, ob wir bei Essenslieferdiensten wie Foodora mitmachen. Das lehnen wir eigentlich ab, weil die 30 Prozent Provision nehmen. Aber das wurde ohnehin auch verboten von der Regierung. Wir wollten das Essen zuerst mit dem Fahrrad selbst ausfahren. Aber das hätte einfach nicht funktioniert. Darum mussten wir unsere Mitarbeiter in den Zwangsurlaub schicken. Das tut uns selbst in der Seele weh. Unser Restaurant ist eigentlich unser Zuhause.

Sie haben das „Zibo“ erst 2017 eröffnet. Wie lange könnten Sie diese Situation finanziell durchhalten?
Also nach zwei Monaten wird es richtig kacke. Wir haben laufende Kosten, das Personal muss bezahlt werden, und wir müssen auch von etwas leben. Zusammen mit unseren Angestellten sind wir acht Menschen, die von ihrer Arbeit leben können müssen. Auch wenn die staatliche Lohnausgleichskasse normalerweise für solche Fälle einspringt. Es ist sehr wahrscheinlich, weil das ganze Land betroffen ist, dass zuerst die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst solche Zahlungen bekommen. Wir denken nicht, dass wir davon profitieren werden. Italien hat dafür kein Geld.

Wie viel Sorgen machen Sie sich um die gesundheitliche Situation im Land?
Wir haben tatsächlich Angst inzwischen. Denn in den Krankenhäusern soll es schlimm sein. Also wirklich schlimm.

Wie ist denn die Situation dort?
Sie haben einfach nicht mehr genügend Betten für Menschen mit anderen gesundheitlichen Problemen. Aber auch die müssen teilweise dringend behandelt werden. Vorrang haben aber Patienten mit Corona-Infektionen. Man muss derzeit hoffen, dass man keinen Unfall hat oder irgendetwas anderes gravierendes. Das besorgt mich tatsächlich mehr als das Coronavirus.

Sie gehören auch nicht direkt zur Hochrisikogruppe.
Genau, aber ich habe von einer Mutter mit einem lungenkranken schwerbehinderten Mädchen gehört, dass ihm womöglich nicht geholfen werden wird, wenn es das Coronavirus bekommt.

Wie kann das sein?
Angenommen zur gleichen Zeit würde ein Mädchen mit Coronavirus eingeliefert werden, das keine Vorerkrankung hat. Dann würden die Ärzte zur Zeit dieses Mädchen priorisieren, weil es die besseren Überlebenschancen hätte. So dünn sind die Kapazitäten hier inzwischen.

Das klingt unglaublich. Sind das keine Gerüchte?
Das sagen viele Ärzte hinter vorgehaltener Hand. Also, ein relativ bekannter Arzt, der in einem Krankenhaus in Bergamo arbeitet, hat uns das genau so bestätigt. Das kann er natürlich nicht offiziell sagen. Aber er sagte, dass es so schlimm sei. Wenn 30 Personen ins Krankenhaus kommen im Alter zwischen 25 und 30 und einer ist 80. Dann würden sie sich um den momentan zuletzt kümmern. Aber am nächsten Tag heißt es dann wieder, dass doch alle behandelt werden würden, dass man auf Krankenhäuser ausweichen würde, die noch Kapazitäten haben. Das Problem ist, dass wir nicht mehr wissen, was wir glauben sollen.

Das klingt furchtbar.
Am Anfang dachten wir, das ist alles nur Panikmache. Aber es offenbar wirklich so. Ich hoffe, dass das nicht in jedem Krankenhaus so ist. Aber anscheinend gibt es welche, die wirklich so voll sind, dass sie solche Entscheidungen treffen müssen. Ich glaube, das wird in ganz Europa so werden wie hier oder wie es schon in China war. Das ist einfach kein Spaß.

Haben Sie im Bekanntenkreis Corona-Fälle?
Wir haben eine Angestellte, die seit sechs Tagen Fieber hat, die aber nicht getestet wird. Ihr wurde gesagt, es gebe keine Tests mehr, auch weil die so viel kosten würden. Darum wissen wir nicht, ob sie die Krankheit hat. Sie hat sich jedenfalls krankschreiben lassen und kommt nicht mehr zur Arbeit.

Bekommen Sie etwas von der Situation im restlichen Europa mit?
Ja. Ganz ehrlich, wir denken: Ja, spinnt ihr denn alle!

Warum?
Sie kommen mir alle viel zu sorglos vor. So waren wir hier vor zwei Wochen auch noch drauf. Ich habe gelacht, als mich meine Angestellten gefragt haben, ob sie lieber zu Hause bleiben sollen. Hallo? Wir müssen arbeiten. Jetzt sehe ich das anders. Aber alleine, dass in anderen Ländern diskutiert wird, ob man zu Veranstaltungen gehen soll oder nicht. Das halte ich für sehr gefährlich. So wenig soziale Kontakte wie möglich! Das ist wirklich wichtig. Das würde ich gerne allen anderen Menschen in Europa sagen. Denn das Virus wird kommen. Wenn es so kommt wie bei uns, dann wird es echt schlimm.

Die Fragen stellte Bastian Brauns, Ressortleiter Kapital bei Cicero

*Anmerkung der Redaktion: Inzwischen hat die italienische Regierung angeordnet, dass alle Restaurants, Bars, Pubs und andere Geschäfte geschlossen werden müssen. Nur Supermärkte, Apotheken und andere wichtige Einrichtungen dürfen geöffnet bleiben.

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