Rettet uns der chinesische Aufschwung? - „Von einem Boom ist China weit entfernt“

Die einzige Volkswirtschaft der Welt, die in diesem Jahr trotz Corona weiter wachsen wird, dürfte China sein, sagt IfW-Experte Philipp Hauber. Aber wie positiv wirkt sich dieser Aufschwung in Fernost auf unsere Wirtschaft aus?

Containerladungen trotz Corona: Aufschwung in China /dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Philipp Hauber ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Er forscht dort zu Konjunktur und Wachstum, insbesondere in den USA, und China.

Herr Hauber, Sie beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Schwellenländern, darunter auch mit China. Dort scheint der Post-Corona-Aufschwung in vollem Gang zu sein, oder?
Tatsächlich scheint sich China rasch von der Pandemie zu erholen und dürfte als einzige große Volkswirtschaft der Welt in diesem Jahr nicht schrumpfen, sondern mit etwa 2 Prozent zunehmen. Das bedeutet freilich nicht, dass die Coronakrise spurenlos an dem Land vorbeigegangen wäre: Ohne Pandemie hätte die Wirtschaft wohl dreimal so stark zugelegt.

Nun hat die Pekinger Zollverwaltung gemeldet, dass die Exporte von China im September im Vorjahresvergleich um 9,9 Prozent gestiegen seien. Die Importe sollen im gleichen Zeitraum um 13,2 Prozent zugelegt haben. Ist diesen Zahlen denn zu trauen?
Ja, der Vorteil an den Außenhandelszahlen ist, dass man hier einigermaßen leicht die Gegenprobe machen kann, weil es ja immer einen anderen Handelspartner gibt, dessen Statistiken übereinstimmen müssen. Studien zeigen, dass die chinesischen Außenhandelszahlen die tatsächliche Entwicklung sehr gut abbilden.

Was haben Sie bei der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas seit Beginn der Pandemie beobachtet?
China hatte ja als erstes Land einen sehr strikten Lockdown verhängt. Das Land stand in weiten Teilen nahezu komplett still. Allerdings wurde der Tiefpunkt der wirtschaftlichen Aktivität bereits Ende Februar erreicht. Im Laufe der Lockerungen zog die Wirtschaft dann wieder stark an und erreichte im zweiten Quartal wieder ihr Vorkrisenniveau. Das entspricht grafisch gesprochen tatsächlich einer V-Entwicklung. Allerdings nicht in allen Branchen. Die Industrie und das Baugewerbe haben sich schnell erholt. Im Transportwesen, beim Groß- und Einzelhandel verläuft die Entwicklung zögerlicher. Und im Gastgewerbe dürfte eine vollständige Normalisierung noch länger auf sich warten lassen, denn auch in China gelten für diesen Bereich noch gewisse Beschränkungen.

Ist es denn gerechtfertigt, von einem Boom zu sprechen?
Nein, ein Boom ist eine Überauslastung der gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten. Davon ist China immer noch entfernt, auch wenn die Erholung von den wirtschaftlichen Folgen Pandemie recht zügig verläuft.

Während China den Motor wieder anschmeißt, scheinen wir im Westen mitten in einer zweiten Welle zu stecken. Würden Sie sagen, dass es zu optimistisch ist, Chinas Entwicklung analog zu unserer zu sehen?
Das Pandemie-Geschehen in China ist tatsächlich anders als in den meisten anderen Ländern. Dort ist es bislang nicht zu einem erneuten Anstieg der Infektionszahlen gekommen. Mit einer so zügigen Erholung, wie wir sie in China beobachten, ist in anderen Ländern nicht zu rechnen.

Wie stark profitieren wir denn als Exportnation von den hohen Importzuwächsen in China?
Für Deutschland ist China ein wichtiger Handelspartner, insofern profitieren die hiesigen Exporteure natürlich von der raschen Erholung der chinesischen Wirtschaft. Allerdings war der starke Zuwachs bei den Importen im September teilweise auf den innerasiatischen Handel der Chip- und Halbleiterbranchen zurückzuführen. Positiv für deutsche Unternehmen ist hingegen, dass sich der Automobilmarkt in China insgesamt sehr dynamisch zeigt. Davon profitieren sowohl Firmen, die vor Ort produzieren als auch jene, die ihre Waren nach China exportieren.  

Kann man sagen, der chinesische Aufschwung rettet aktuell unsere Wirtschaft?
Die rasche Erholung in China und die anziehende Importnachfrage stützen zweifellos die deutsche Erholung. Zumal aus den übrigen Absatzländern wie dem restlichen Euroraum oder anderen Schwellenländern zurzeit geringe Impulse kommen.   

Inwiefern pusht China auch die anderen Länder in der EU?
Für Länder wie Frankreich oder Italien ist der Handel mit China nicht ganz so bedeutsam wie für Deutschland. Nichtsdestotrotz profitieren Firmen auch in diesen Ländern natürlich von der anziehenden Konjunktur in China.

Können Sie eigentlich schon jetzt an den Handelszahlen erkennen, ob sich hinsichtlich der viel diskutierten Lieferketten etwas verändert hat?
Man kann nur spekulieren, welche Folgen die Coronakrise langfristig für die Globalisierung haben wird. Kommt es zu verkürzten Lieferketten und mehr heimischer Produktion bestimmter Güter? Oder werden Lieferungsnetzwerke stärker regional diversifiziert? Bis sich ein solcher Strukturwandel in den Daten ablesen lässt, wird es ohnehin vermutlich Jahre dauern.

Das Interview führte Bastian Brauns, Ressortleiter Wirtschaft

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