Cannabis - Blüten aus Wien

Der medizinische Cannabisanbau in Deutschland verzögert sich immer weiter. Derweil baut der österreichische Staat Gras an, das die eigenen Staatsbürger nicht kaufen dürfen. Stattdessen wird der deutsche Cannabismarkt beliefert. Wo bleibt die deutsche Aufholjagd?

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Stecklingsfarm im Tropenhaus: Eine deutsche Anbaupleite scheint politisch zumindest in Kauf genommen zu werden / Regina Hügli
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Susanne Donner ist freie Journalistin und schreibt zu Themen aus Medizin, Gesellschaft und Ökonomie.

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Bernhard Föger nimmt einen Topf mit einer Hanfpflanze und betrachtet ihn von allen Seiten: „Es gibt schöne und weniger schöne Pflanzen“, sagt er. „Die schönen geben mehr Blüten.“ Und darauf kommt es an. Föger, schwarzer Polyesteranzug, hell­blaues Hemd und Brille, leitet die staatliche Cannabisproduktion in Österreich.

Neben Uruguay ist es das einzige Land, in dem der Staat selbst Cannabis anbaut und verkauft. Föger arbeitet bei der Ages, der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, einem Staatsbetrieb, der im Osten von Wien inmitten arglos anmutender Wohnbezirke angesiedelt ist. Verdächtig ist nur, dass das Gelände von einem übermannshohen Metallzaun eingefasst ist. Überwachungskameras kontrollieren die Eingänge. Nicht einsehbar von den Straßen, züchtet Fögers Team auf 2000 Quadratmetern Cannabis in Gewächshäusern. Ganz legal, für medizinische Zwecke. Der Stoff, an die 350 Kilogramm Cannabisblüten sind es 2018, geht nach Deutschland. Von Jahr zu Jahr wächst die Menge. „Jetzt werden wir wohl zusätzlich Gewächshäuser anmieten“, lässt Föger durchblicken.

Cannabisanbau bald auch in Deutschland

Stoff unter der Lupe

Der Grund für den Boom ist Deutschland. Dort explodiert die Nachfrage. Seit der Bundestag 2017 das Gesetz „Can­nabis in der Medizin“ verabschiedet hat, dürfen Patienten, denen nichts anderes hilft, sich auf Rezept die Blüten verschreiben lassen oder cannabishaltige Tropfen, Sprays und Tabletten. Sie haben Multiple Sklerose oder Epilepsie. Sie leiden unter Migräne oder chronischen Schmerzen. Seit der Novelle erreicht die Zahl der Cannabisverordnungen immer neue Höhen. Allein im ersten Halbjahr 2018 waren es laut Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen 80 000 Rezepte. Gut ein Drittel Cannabisblüten, aber auch Arzneien auf Basis von Cannabis, etwa das Mundspray Sativex. Das Unternehmen Bionorica mit Sitz in Neumarkt in der Oberpfalz isoliert aus den Wiener Blüten den Wirkstoff THC und verkauft die Tropfen unter dem Handelsnamen Drona­binol. „Wir haben Umsatzzuwächse im dreistelligen Prozentbereich“, sagt Unternehmenschef Michael Popp.

Cannabiszucht bei tropischen Bedingungen

Um den medizinischen Bedarf selbst zu decken, will der deutsche Staat auch Cannabis anbauen lassen. Dafür richtete er sogar eine eigene Cannabisagentur beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn ein. Sie wird den gesamten Stoff ankaufen und dann an Apotheken veräußern. Bis jetzt steht nicht fest, welche Unternehmen den Zuschlag für den staatlichen Vertragsanbau bekommen. Die Ausschreibung vom Frühjahr wurde wiederholt und endete im November 2018. Weit über 100 Firmen haben Interesse. Frühestens ab 2020 werde es landeseigenes Cannabis geben, teilt die Behörde mit.

Verzögerungen hierzulande bringen Geld in die österreichische Staatskasse. „Wir beliefern bisher nur das Unternehmen Bionorica, aber haben jetzt viele Anfragen von deutschen Zwischenhändlern, die Apotheken versorgen“, sagt Föger. „Sie loben unsere schönen ansehnlichen Blüten.“ Künftig werde man auch diese Zwischenhändler beliefern, deutet er an. Derzeit decken Produzenten aus den Niederlanden und Kanada die Nachfrage.

Der „Bundeshanfbauer“

Das eigentlich Pikante am Wettlauf zwischen Deutschland und Österreich im Cannabisanbau: Beide zielen auf den deutschen Markt. Die Blüten aus Wien gibt es in Österreich für Patienten nicht, weil die konservative Regierung das nicht will. Der österreichische Staat verdient am deutschen Bedarf. Sobald der deutsche Hanfanbau anläuft, würde auch der deutsche Staat als Zwischenhändler ins Geschäft einsteigen: Länder, die mit einer Substanz, die eben auch Droge ist, als Wettbewerber auftreten.

Der österreichische Cannabisanbau begann klein und leise im Jahr 2010. „Man sagte mir, rechne das mal durch, was das kostet und einbringt“, sagt Föger. Er ist Betriebswirt. Die Ages ist ein Staatsbetrieb, der Einnahmen erwirtschaften muss. Die Cannabisproduktion ist lukrativ. Den Erlös will Föger nicht beziffern, behauptet aber: „Ganz an die Million reicht es noch nicht heran.“ Der Straßenverkaufswert der Ernte von 2018 läge jedoch bei etwas mehr als drei Millionen Euro. Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen hierzulande 20 Euro je Gramm. Dementsprechend hätte die Ware aus Wien einen Apothekenwert von sieben Millionen Euro. Was Bionorica zahlt, wisse man nicht. Es käme auf den Gehalt an THC an, heiße es.

„Ich bin so etwas wie der Bundeshanfbauer“, sagt Föger. „Meine Töchter sagen, du bist der coolste Papa in der ganzen Schulklasse.“ Aber nicht alle sieben Gärtner haben einen entspannten Umgang mit ihrem Job. Der Anbauleiter Bernd Lehner arbeitet unter Pseudonym, weil in seinem Wohnort, einer 2000-Seelen-Gemeinde, abfällige Bemerkungen über die Ages als „Kifferbude“ fielen. Fotografiert werden darf er nicht. Dabei hat Lehner die ersten Hanfpflanzen in Wien wachsen gesehen. Neben Föger hat auch er das gesammelte Anbauwissen im Kopf.

Es riecht grasig süß

In gläsernen Gefäßen gedeihen Pflanzen steril

Beim Rundgang durch die Gewächshäuser wird klar: Die Österreicher haben nicht nur Vorsprung in der Produktion, sondern inzwischen auch in der Theorie. Sie kennen Tricks, die sonst nur die Drogenszene hat: wie der Hanf möglichst viel Ertrag bringt und wenig Arbeit macht. Ein halbes Jahr dauert es vom Anbau bis zur Ernte. Den Pflanzen nähern sich die Gärtner nur in weißen Polyesterschutzanzügen und blauen Füßlingen. Sie dürfen die Gewächse nicht mit Krankheitserregern verseuchen. Vier Gärtner nehmen kleine Hanfzweige aus einem Kübel und stecken sie im Sekundentakt in winzige Ballen aus schwarzem Torf. Auf Tischen stehen bereits Paletten mit Hunderten dieser Stecklinge. Sie werden zu meterhohen Pflanzen heranwachsen und die nächste Ernte liefern.

Sobald die Jungpflanzen Wurzeln gebildet haben und kräftig genug sind, topfen die Gärtner sie um. Bambusstangen stützen die noch zarten Stängel. Hie und da hängen kleine Beutel mit Nützlingen an den Zweigen. Sie fressen die verschiedenen Schädlinge einfach auf. Seit zwei Jahren verwenden die Mitarbeiter nämlich keine Spritzmittel mehr. Die Hanfpflanzen stehen zu Hunderten dicht an dicht in abgetrennten Abteilen in Glasgewächshäusern so groß wie eine Turnhalle. Über jeder Parzellentür hängt eine rot-grüne Warnlampe. „Das zeigt uns an, wenn die Pflanzen Dünger brauchen. Alles vollautomatisch“, erklärt Lehner. Plötzlich sirrt es. Über ihm öffnet sich eine Lüftungsklappe des Gewächshauses. Auch die Temperatur wird automatisch auf rund 25 Grad Celsius gehalten.

Ein paar Gänge weiter: Lehner schaut durch eine Luke in ein anderes Abteil, das von außen komplett mit Folien abgehängt ist. „In voller Blüte“, sagt er und öffnet quietschend die schwere, zwei Meter breite Schiebetür des Abteils. Drinnen ist es gleißend hell. LED-Lampen hängen von der Decke und erleuchten den Raum zusätzlich zum Tageslicht. In dicken Trauben ragen die Cannabisblüten an den über einen Meter hohen Pflanzen empor, so viele, dass man kaum noch Blattwerk sieht. Es riecht grasig süß.

Der Zweck muss medizinisch sein

Hanf blüht erst, wenn die Tage kürzer werden als die Nächte. Um die Tage im Sommer künstlich zu kappen, sperren deshalb Jalousien nach acht Stunden vollautomatisch das Licht aus den Gewächshäusern aus. Das alleine reicht aber nicht für maximalen Ertrag. „Zusätzlich zum Sonnenlicht verwenden wir Kunstlicht. Die Silberfolie an der Wand wirft ebenfalls das Licht auf die Pflanzen zurück“, erklärt Lehner. Unscheinbare Details optimieren den Ertrag.
 

Bernhard Föger leitet die Glashauskolonie

Föger geht mit einer Handlupe ganz dicht an eine Blüte heran. „Wenn die kleinen braungelben Drüsenhaare klebrig aussehen, wie von Tau benetzt, ist der Zeitpunkt für die Ernte gekommen.“ Er kneift ein Auge zu und schaut hindurch: „Sieht doch perfekt aus“, sagt er zu Lehner. Am nächsten Tag werden die sieben Gärtner und fünf Saisonarbeiter die Stängel kappen und mit Bonsai- und Nagelscheren die Blüten sorgsam von den Blättern trennen.

Der größte Vorteil der österreichischen Cannabisbauern ist, dass sie frei darin sind, wie viel Stoff sie produzieren, welche Qualitäten und wen sie beliefern. „Hauptsache, der Zweck ist medizinisch“, sagt Föger. Eben deshalb kommt auch der Anbau für die deutschen Apotheken in Betracht. Ganz anders sieht dies den deutschen Regularien zufolge aus. Alles ist darin vorgeschrieben: die Mengen auf das Kilogramm genau, drei definierte Qualitäten, die Liefertermine, sogar der Preis wird staatlich festgesetzt. Und auch wer die Ware bekommt, steht schon fest: Zu produzieren sind Blüten, und zwar für Apotheken. „Planwirtschaft, schlimmer als in der DDR“, kommentiert ein Insider.

Warum wird die Pharmabranche nicht vom Staat beliefert?

Besonders bemerkenswert: Für Pharmahersteller, die cannabishaltige Tabletten und Tropfen erzeugen, sind diese Blüten made in Germany gar nicht gedacht, sondern eben nur für Apotheken. Und das, obwohl solche Präparate fast zwei Drittel der Cannabisverordnungen im ersten Halbjahr 2018 ausmachen. „Deshalb haben wir uns auch gar nicht für den Cannabisanbau beworben“, sagt Bionorica-Chef Michael Popp.

Aber warum will der deutsche Staat den wichtigsten Cannabisabnehmer, die Pharmabranche, gar nicht beliefern? Es ist sogar so, dass Pharmazeuten und Ärzte überwiegend Tabletten, Tropfen und Sprays mit reinen Cannabiswirkstoffen bevorzugen. „Ich gehe davon aus, dass dieser Blütenboom bald wieder vorbei sein wird“, sagt Winfried Häuser, Schmerzspezialist am Klinikum Saarbrücken. „Cannabisbasierte Arzneien werden die Blüten verdrängen.“ Mit dieser Einschätzung ist er nicht alleine. Denn nur Tabletten und Tropfen enthalten eine festgelegte Dosis der Wirkstoffe. Und nur mit einer exakten Dosis lassen sich klinische Studien durchführen. Diese wiederum sind eine Voraussetzung für eine Zulassung als Medikament und für eine Empfehlung des Arztes, wie viele Pillen am Tag ein Patient nehmen soll.

Cannabistropfen oder Joint?

Wer Cannabis als Joint oder im Verdampfer raucht, nimmt unterschiedlich viele Wirkstoffe auf, je nachdem, wie tief er inhaliert und welchen Gehalt die Blüten haben. Letzteres schwankt naturgemäß mit der Ernte. Cannabis ist in dieser Hinsicht nicht anders als Wein. Eine Reihe von Pharmaunternehmen investiert derzeit in cannabisbasierte Medikamente. Neben THC enthalten Cannabisblüten beispielsweise Cannabidiol. Diesen Wirkstoff testen Mediziner derzeit bei Schizophreniepatienten. Und: Die US-Arzneimittelbehörde FDA ließ kürzlich Cannabistropfen bei seltenen Epilepsieformen zu.
 

Roland Achatz, Susanne Donner und Bernhard Föger

Tatsächlich gibt es nicht wenige Patienten, die einen Joint bevorzugen. Doch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat selbst mit Blüten für Kranke ein Problem. Unverhohlen sagt Pressesprecher Maik Pommer: „Wir favorisieren cannabisbasierte Arzneien. Deshalb gilt die Ausschreibung für den Anbau auch nur vier Jahre, und es gibt eine Begleituntersuchung.“ In der wird geprüft, inwieweit Patienten, die Cannabis auf Kassenkosten bekommen, abhängig werden. Es gäbe bereits die ersten Opfer, berichtet die Psychologin Eva Hoch von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Weil Cannabis in erster Linie ein Stoff für Kiffer ist, schauen Kritiker und Skeptiker genau hin.

Eine deutsche Anbaupleite wird in Kauf genommen

Zum Gewächshaus gehört ein Pflanzensolarium

Zwei Insider vermuten unabhängig voneinander, die Auflagen seien deshalb so streng, weil der Widerwillen deutscher Behörden gegen den Anbau derart groß sei. Bei der Ages spötteln die Mitarbeiter, es sei leichter, ein Atomkraftwerk genehmigt zu bekommen als eine Hanfplantage in Deutschland. Die Bewerber müssen bereits von 2015 an 50 Kilogramm Medizinalhanf hergestellt haben – was auf die meisten Betriebe nicht zutreffen kann. Die Produktion in Deutschland muss in geschlossenen Gebäuden erfolgen; Glashäuser wie in Wien sind ausgeschlossen. Die Ernte muss in einem einbruchsicheren Betäubungsmitteltresor lagern. Zugleich gelten die Vorgaben aber nur vier Jahre, Zukunft ungewiss. Nach einem Besuch in Wien erscheint es utopisch, dass Hanfbauern in Kürze Gebäude hochziehen und dann jährlich in Summe 2600 Kilogramm Blüten in drei unterschiedlichen Qualitäten liefern. Die Ages hat sich erst gar nicht für den Anbau in Deutschland beworben. Es ist leichter, die Blüten aus Wien zu exportieren.

Eine deutsche Anbaupleite scheint politisch zumindest in Kauf genommen zu werden. Soll stattdessen lieber der österreichische Staat zum Medizinalhanfproduzenten par excellence aufsteigen und seine Staatskasse aufpolieren? Warum auch nicht? Der norwegische Staatskonzern Equinor beliefert Deutschland mit Öl. Die Österreicher eben mit Cannabis.

Fotos: Regina Hügli

Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.














 

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