Energiewende - Teuer und unsicher

Der Präsident des Bundesrechnungshofs Kay Scheller warnt vor einer Überforderung Deutschlands durch die Energiewende. Bei einer Fachtagung in Berlin benannte er deren Schwachstellen. Wir dokumentieren seinen Vortrag im Wortlaut.

Die Bundesregierung habe die Risiken der Energiewende nicht vollständig im Blick, kritisiert der Bundesrechnungshof / dpa
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Kay Scheller ist Präsident des Bundesrechnungshofs.

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In meinem Vortrag möchte ich auf drei Fragen eingehen und dazu unsere Einschätzung darlegen: Gelingt es dem Bund, seine Energiepolitik am Zieldreieck einer umweltverträglichen, sicheren und bezahlbaren Energieversorgung auszurichten? Wo steht Deutschland bei der Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Strom im Herbst 2021? Ist eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien möglich und sicher?

Zur ersten Frage. Der Deutsche Bundestag hat im Juni 2021 ein neues Klimaschutzgesetz verabschiedet. Für die Zeit nach 2031 gilt nun: Bis zum Jahr 2045 muss Deutschland Treibhausgasneutralität erreichen. Nach dem Jahr 2050 sollen negative Treibhausgasemissionen erzielt werden. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber auch das Minderungsziel für das Jahr 2030 verschärft: Anstelle des bisherigen Minderungsziels von minus 55 Prozent, soll ein Minus von 65 Prozent gegenüber 1990 erreicht werden.

Spätestens mit dieser Änderung wird die Umweltverträglichkeit faktisch das Hauptziel im energiepolitischen Zieldreieck. Die anderen beiden Ziele, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit, treten in den Hintergrund. Fällt aber die Umweltverträglichkeit als Variable weg, erscheint es nunmehr unmöglich, die Zielkonflikte zwischen einer umweltverträglichen, sicheren und bezahlbaren Stromversorgung aufzulösen. Die künftige Energieversorgung wird somit entweder sicher sein und teuer oder weniger teuer und unsicher. Im ungünstigsten Fall wäre sie teuer und unsicher.

Energiewende nicht „um jeden Preis“ umsetzen

In einem klimaneutralen Energiesystem soll Elektrizität in allen Lebensbereichen eine zentrale Rolle spielen. Eine unsichere Stromversorgung kann daher keine ernsthafte Handlungsalternative sein. Somit bleibt nur die Bezahlbarkeit als unabhängige Variable. Aber selbst dann ist nicht ausgeschlossen, dass die Ziele „Umweltverträglichkeit“ und „Versorgungssicherheit“ verfehlt werden.

Der Bundesrechnungshof sieht die Gefahr, dass die Energiewende in der jetzt absehbaren Form die finanzielle Tragkraft von Wirtschaft und Gesellschaft überfordert und letztlich den Standort Deutschland gefährdet und die gesellschaftliche Akzeptanz aufs Spiel setzt.

Zukünftig wird es dem Bund nicht mehr gelingen, seine Energiepolitik gleichzeitig an den Zielen Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit auszurichten. Die Zielkonflikte werden zulasten der Bezahlbarkeit gelöst. Wir sind jedoch der Auffassung, dass es nicht vorrangig Ziel sein kann, die Energiewende „um jeden Preis“ umzusetzen.

„Worst-Case“-Szenario fehlt

Damit wende ich mich der zweiten Frage zu: Wo steht Deutschland bei der Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Strom im Herbst 2021? Zunächst zur Versorgungssicherheit mit Strom.

Die Versorgungssicherheit mit Strom umfasst insgesamt drei Dimensionen, die das Bundeswirtschaftsministerium messen und bewerten muss: die Versorgungssicherheit am Strommarkt, die Versorgungszuverlässigkeit und die Systemsicherheit. Zur den Dimensionen Versorgungszuverlässigkeit und Systemsicherheit, das heißt ob der Strom auch jederzeit unterbrechungsfrei bei den Verbrauchern ankommt, sagt der Monitoringbericht des Wirtschaftsministeriums zur Versorgungssicherheit nichts oder kaum etwas aus.

Zur Bewertung der Versorgungssicherheit am Strommarkt hat das Ministerium ein externes Gutachten herangezogen. Die Annahmen der Gutachter waren jedoch zum Teil unrealistisch oder waren durch aktuelle politische Entwicklungen überholt. Zum Beispiel wurden die Berechnungen des Gutachtens vor dem Beschluss zum Kohleausstieg durchgeführt. Der Kohleausstiegspfad wurde daher nicht in vollem Umfang berücksichtigt. Was aber vor allem fehlte: Die Gutachter haben kein „Worst-Case“-Szenario untersucht, in dem mehrere absehbare Risiken zusammentreffen.

Bundesregierung hat Risiken nicht vollständig im Blick

Wir kamen zu dem Schluss, dass die Versorgung mit Strom Risiken unterliegt, die die Bundesregierung nicht vollständig im Blick hat. Das Monitoring des Bundeswirtschaftsministeriums ist lückenhaft. Wir empfahlen dem Ministerium daher, sein Monitoring zu vervollständigen und dringend Szenarien zu untersuchen, die aktuelle Entwicklungen und bestehende Risiken vollständig und realistisch erfassen.

Mitte August 2021 hat das Ministerium einen aktualisierten Bericht seiner Gutachter veröffentlicht. Dieser berücksichtigt nun auch den gesetzlich bestimmten Kohleausstiegspfad. Weitere vom Bundesrechnungshof als unrealistisch kritisierte Annahmen werden jedoch beibehalten. Ein „Worst-Case“-Szenario enthält die Studie weiterhin nicht.

Die Gutachter gehen in ihren Szenarien von Stromverbräuchen zwischen 500 und 630 Terawattstunden im Jahr 2030 aus. Eine – auf Basis des neuen Klimaschutzgesetzes – vom Bundeswirtschaftsministerium beauftragte Neuberechnung beziffert den Stromverbrauch 2030 in einer ersten Abschätzung indes auf 645 bis 665 Terawattstunden. Die Berechnungen der Gutachter sind damit erneut durch aktuelle politische Entwicklungen überholt.

Neuer Bericht soll Ende Oktober kommen

In einem Begleitdokument zur Studie weist das Ministerium darauf hin, dass der nächste Monitoringbericht zur Versorgungsicherheit bis Ende Oktober von der Bundesnetzagentur veröffentlicht wird. Dieser werde dann auch der Frage nachgehen, ob der Strom jederzeit sicher innerhalb Deutschlands zu den Verbrauchern transportiert werden kann.

Inwieweit der angekündigte Bericht der Bundesnetzagentur tatsächlich eine vollständige Beurteilung aller drei Dimensionen der Versorgungssicherheit umfasst, ist abzuwarten. Wir bleiben daher bei unserer Einschätzung, dass die Bundesregierung derzeit nicht alle Risiken vollständig im Blick hat und das Monitoring der Versorgungssicherheit lückenhaft ist.

Der Strombedarf steigt weiter

Nun zum zweiten Teil der Frage: Wo steht Deutschland heute bei der Bezahlbarkeit  von Strom? Das jetzige Energiepreissystem mit seinen Entgelten, Steuern, Abgaben und Umlagen führt absehbar zu immer höheren Strompreisen. Die staatlich geregelten Strompreisbestandteile machen bereits jetzt 75 Prozent des Strompreises für private Haushalte aus. Diese Entwicklung hat der Bund nicht stoppen können. Der Trend wird sich vielmehr fortsetzen. Über Faktoren wie den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, den Netzausbau und die CO2-Bepreisung.

Und der Strombedarf steigt weiter. Beispielsweise durch die Förderung von Elektromobilität und Wärmepumpen. Oder als Folge der Wasserstoffstrategie, die einen erheblichen Strommehrbedarf generiert. Diese Entwicklungen führen voraussichtlich zu einer deutlichen Erhöhung der Strompreise.

EEG-Umlage durch CO2-Preis ersetzen

Deutschland steht vor großen Herausforderungen im Hinblick auf die zukünftige Bezahlbarkeit von Strom. Deshalb empfehlen wir eine grundlegende Reform des Systems der staatlich geregelten Preisbestandteile. Als wesentlicher Bestandteil einer solchen Reform sollten Entgelte, Steuern, Abgaben und Umlagen soweit wie möglich abgeschafft und durch eine umfassende CO2-Bepreisung ersetzt werden.

Nicht zielführend ist es aus unserer Sicht, die steigenden Strompreise durch Mittel aus dem Bundeshaushalt zu deckeln. Auch angesichts der besorgniserregenden finanziellen Lage der Bundesfinanzen durch die Corona-Pandemie ein schwieriges Unterfangen.

Wer liefert in windstillen Nächten zuverlässig Strom?

Lassen Sie mich damit zur dritten und letzten Frage kommen: Ist eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien möglich und sicher? „Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ist möglich und sicher“, so lautet die These von Frau Professor Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), geäußert in einem Interview vom Juli dieses Jahres. Frau Kemfert führte darin weiter aus, dass es technisch möglich, ökonomisch effizient und in kürzester Zeit machbar sei, den gesamten Energiebedarf Deutschlands zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken. Dabei beruft sie sich auf eine Studie ihres Hauses.

Wirklich? Durch den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien sollen Windkraft und Photovoltaik zum Rückgrat der Energieversorgung werden. Diese liefern jedoch nur Strom, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Aber wer liefert in einem Energiesystem mit 100 Prozent Erneuerbaren zuverlässig Strom, wenn in windstillen Nächten Millionen Elektrofahrzeuge an den Ladesäulen hängen und Unternehmen Elektrizität benötigen?

Kraftwerks-Investoren zögern

Die DIW-Studie beruht auf Potenzialschätzungen und der Erwartung, dass die gesamte Energienachfrage um mehr als 50 Prozent zurückgeht. Um genügend Flexibilität zu gewährleisten, wird unterstellt, dass Batteriespeicher, Elektrolyseure und Wasserstoffturbinen gebaut werden. Tatsächliche Hemmnisse für den Ausbau der Erneuerbaren und der Netze werden nicht berücksichtigt. Eine Modellierung der realen Rahmenbedingungen wird ersetzt durch die Forderung, dass die der Studie zugrunde liegenden Rahmenbedingen schnellst möglich zu schaffen seien.

Stefan Kapferer, Vorsitzender der Geschäftsführung des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz, forderte in einem Interview im Juni 2021: „Wir brauchen auch langfristig regelbare Kraftwerke, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten.“ Für diese Backup-Kapazitäten müsse es eine Refinanzierungsperspektive geben. Derzeit zögerten Investoren, weil sie fürchteten, mit diesen Anlagen kein Geld zu verdienen. In einem weiteren Interview vom Juli dieses Jahres bemerkte Marie-Luise Wolff, Präsidentin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, zum gleichen Thema: „Wenn das Bereithalten von Kraftwerksleistung nicht honoriert wird, wird es die erforderlichen Kraftwerke nicht geben. So einfach ist das.“

Versorgungssicherheit sinkt

Die Frage nach einer sicheren erneuerbaren Vollversorgung kann auch der Bundesrechnungshof nicht beantworten. Wir sehen jedoch die Gefahr, dass das Niveau der Versorgungssicherheit sinkt, wenn zunehmend gesicherte, steuerbare Leistung durch ungesicherte, wetterabhängige Leistung ersetzt wird. Ohne ausreichende Backup-Kapazitäten könnten Versorgungslücken drohen.

Klar ist, die Herausforderungen der Energiewende sind riesig, die Ziele sehr ambitioniert, die finanziellen Belastungen gewaltig, die finanziellen Mittel begrenzt. Klar ist aber auch: Angesichts der Klimaschutzziele, zu denen sich Deutschland verpflichtet hat, muss die Energiewende gelingen, ohne den Standort Deutschland zu gefährden.

Dieser Text ist die leicht gekürzte Fassung eines Vortrags, den Kay Scheller, Präsident des Bundrechnungshofs, bei der Energierechtstagung der Gesellschaft für Rechtspolitik und des Verbands Die Familienunternehmer am 20. Oktober 2021 in Berlin hielt.

 

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