Frist für Brexit abgelaufen - Fleißiger Diener seines Herrn

Heute ist die Frist für eine Verlängerung des Brexit-Deals abgelaufen. Aber die britische Regierung hat darauf verzichtet. Ihr Treiber ist David Frost, genannt „Frosty“. Dass sich der EU-Chefunterhändler Michel Barnier an seinem Gegenspieler die Zähne ausbeißt, ist kein Zufall.

Britischer Musterdiplomat und Chefunterhändler Boris Johnsons: David Frost / Stephanie Lecocq/Shutterstock
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Schon auf der Universität – Oxford, wo sonst – absolvierte David Frost sein Studium der europäischen Geschichte und der französischen Sprache mit hervorragendem Erfolg. Das kommt ihm bis heute zugute. Wenn Boris Johnsons Abgesandter mit dem französischen EU-Chefverhandler Michel Barnier die Feinheiten künftiger Beziehungen zur EU abklärt, kann er dies auch auf Französisch tun.

Genutzt hat es aber nach inzwischen vier Verhandlungsrunden wenig, dass Frost auf lange Jahre als britischer Diplomat in Europa zurückblicken kann. Ob in Zypern, Brüssel, Paris oder als britischer Botschafter in Dänemark – er hat wohl jede Seite der EU-Politik in mehr als 30 Jahren kennengelernt. Frost hat die britische EU-Politik selbst entwickelt und mitbestimmt – als Leiter der EU-Abteilung im britischen Außenministerium. 

Doch heute geht es für den britischen Musterdiplomaten nicht mehr darum, an der zukünftigen Architektur der Europäischen Union mitzubauen. Nach dem Willen seines Premierministers Boris Johnson soll er stattdessen mit der Abrissbirne ins Haus Europa krachen und das britische Stockwerk schlichtweg rausdonnern. David Frost leitet das 40 Mitglieder starke Abrissunternehmen namens Task Force Europe und berichtet direkt an den Premier.

Kritiker des proeuropäischen Idealismus

Zwar ist Großbritannien bereits am 31. Januar offiziell aus der EU ausgetreten. Bis Ende dieses Jahres aber befindet sich das Vereinigte Königreich noch in einer Übergangsphase, ist Mitglied des EU-Binnenmarkts und der EU-Zollunion. Wenn es bis dahin keinen ausgehandelten und ratifizierten Vertrag über die zukünftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Briten und EU gibt, dann kracht das Vereinigte Königreich recht harsch und ohne Sicherheitsnetz aus dem EU-Handelsblock. Von einem weitreichenden Abkommen kann allerdings allein wegen der Corona-Krise und verzögerter Verhandlungsrunden längst keine Rede mehr sein.

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Man sieht David Frost nicht an, ob ihm diese Vorstellung schlaflose Nächte bereitet. Der rotblonde Engländer wirkt manchmal höchstens etwas angestrengt. Das kann aber auch damit zusammenhängen, dass der Berater des Premierministers wie fast das gesamte Führungsteam in Downing Street im März 2020 an Covid-19 erkrankte und sich wochenlang aus dem Verhandlungsgeschäft zurückziehen musste.

Der 55-jährige „Frosty“, wie er dem Vernehmen nach in Downing Street genannt wird, wirkt eher diplomatisch diskret. Bei Online-Briefings aus Downing Street liest er Statements gerne vom Blatt ab. David Frost ist so gar nicht mit seinem äußerst temperamentvollen, inzwischen verstorbenen Namensvetter zu verwechseln, der BBC-Interview-Legende David Frost von „Breakfast with Frost“. Frost, der Diplomat, ist aber auch nicht zufällig auf dem explosiven Brexit-Stuhl gelandet. 

David Frost stammt aus Derby, einem hübschen Städtchen in Mittelengland. Dort, wo die EU noch nie einen guten Ruf hatte. Seine Jahre im europäischen Ausland und speziell in Brüssel haben ihn nicht wie manch andere Briten europhil geprägt. Im Gegenteil, ihn störte der proeuropäische Idealismus. 2013 verließ er den diplomatischen Dienst kurzfristig, um als Lobbyist der Scotch Whisky Association bei den Ministern seiner Königin dann ausgerechnet für die Vorteile des EU-Binnenmarkts zu werben. Dann kehrte er mit Boris Johnson, der 2016 das Außenministerium übernahm, zurück. 

Frost wird sich nicht Zeit lassen mit dem Austritt

Seitdem hat er als Diener seines Herrn den Weg zum Brexit-Fan gemeinsam mit seinem Boss beschritten. „Wir werden nicht um eine Verlängerung der Übergangsphase in Brüssel ersuchen“, sagte er mit geradezu kämpferischem Tremor bei einem Briefing der Auslandspresse in Downing Street Ende Februar. Damals hofften viele diesseits und jenseits des Kanals noch, die Briten würden sich ein wenig mehr Zeit lassen beim Vorbereiten des endgültigen Austritts. Für viele britische Betriebe bleibt das Ende des Binnenmarkts eine Horrorvorstellung. 

Die Corona-Krise legte erst die Brexit-Verhandlungen lahm, beflügelte dann aber die Fantasie der Londoner Politstrategen. „Diese extrem inkompetente Regierung von Johnson tut alles, um Großbritannien aus dem EU-Binnenmarkt zu holen“, sagt der Historiker Timothy Garton Ash zu Cicero. Bei wirtschaftlichen Problemen werde Johnson „einfach auf Covid zeigen und nicht auf den Brexit“. Politisch sei das clever. Hinsichtlich des nationalen Interesses extrem zynisch.

Frost arbeitete einst für einen großen EU-Diplomaten. Der Schotte John Kerr erfand den berühmten Artikel 50 der EU-Verträge, nach dem die Briten nun zu Kerrs Kummer aus der EU ausgetreten sind. Kühl wirkte Kerr, als er mit der Financial Times über seinen Ex-Mitarbeiter sprach: „Er wird extrem fleißig umsetzen, was man ihm aufgetragen hat.“
 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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