Superreiche und Corona - Die Spur des Geldes

Die zehn reichsten Menschen der Welt haben in der Corona-Pandemie ihr Vermögen verdoppelt. Einer von ihnen: Bill Gates. Ob dessen Umtriebe von reiner Menschenfreundlichkeit geprägt sind, wäre früher eine Frage für Journalisten und Linke gleichermaßen gewesen - heute steht sie unter Verschwörungstheorie-Verdacht. Das freut ganz sicher auch einen bekannten deutschen TV-Komiker.

Philanthropie ist zum Gähnen langweilig: Bill Gates (M.) / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Bill Gates ist ein Philanthrop. Warren Buffett ist auch einer. Ohne Zweifel. Immerhin haben die beiden Multimilliardäre im Juni 2010 die Kampagne „The Giving Pledge“ gestartet. Mit ihr wollten sie die Reichen und Superreichen Amerikas sowie der angeschlossenen Erdteile im globalen Norden dazu bewegen, weit mehr als ein Butterbrot für Welt und Gemeinwohl hinzugeben.

Gates und Buffett, dazu Mark Zuckerberg, Elon Musk oder Oracle-Gründer Larry Ellison, sie alle predigten damals Andrew Carnegies berühmt gewordenes „Gospel of Wealth“, jenes 1889 erstmals erschienene Evangelium der Happy Few, mit der ein Kamel endlich wieder durchs Nadelöhr und ein Superreicher ins Paradies der anwachsenden Lumpenproletarier hineingehen könnte. Des Menschen Taler ist – Max Weber sei es für immer geklagt! – in alle Zukunft Gottes Lohn.

Gib, so wird dir vergeben! Es ist auch der Grundsatz des Euergetismus – jener historischen Herrschaft durch Wohltätigkeit, die einst in Paul Veynes Klassiker „Brot und Spiele“ dargelegt wurde und die den Mäzenen im antiken Mittelmeerraum nicht nur Ehrentitel und Ansehen, sondern ebenso politischen Einfluss garantierte. Philanthropen, das sind daher nicht nur Menschen, die des Menschen Freund sind; oft haben sie mit ihrem Übermaß an „philanthropia“ auch nichts dagegen, das Objekt ihrer Liebe sich gleich einzuverleiben, mindestens aber zu beherrschen. 

160 Millionen mehr Arme

Dazu passt, dass Gates und Buffett, dazu Jeff Bezos, Steve Ballmer, Bernard Arnault und die fünf folgenden Superreichen an der globalen Finanzspitze laut einem in dieser Woche veröffentlichten Bericht der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam ihr Vermögen während der Pandemie mehr als verdoppeln konnten – von ehedem 700 Milliarden Dollar auf nunmehr 1,5 Billionen Dollar. Damit stieg ihr Vermögen in den letzten zwei Jahren mehr als in den gesamten 14 Jahren davor.

Und in Deutschland ist es kaum anders: Der Vermögenszuwachs der zehn reichsten Deutschen während der letzten zwei Jahre entspricht in etwa dem Gesamtvermögen der ärmsten 40 Prozent im Land. Leben ist eben laben und darben. Oder um es mit den Worten von Manuel Schmitt, Referent für soziale Ungleichheit bei Oxfam, zu sagen: „Regierungen haben Milliarden in die Wirtschaft gepumpt, doch ein Großteil ist bei Menschen hängengeblieben, die von steigenden Aktienkursen besonders profitieren.“

Die Scheunen der Liebe jedenfalls, so lässt es diese große Umverteilung vermuten, werden auch in Zukunft zum Bersten voll sein. Da mag Warren Buffett auch jüngst erst von seinem Amt als Trustee der Bill and Melinda Gates Foundation zurückgetreten sein, die Barmherzigkeit der neo-feudalen Magnaten wird auch in Zukunft Quell einer globalen Karitas sein müssen. Denn die Welt wird die Scherflein der Mächtigen gebrauchen können. Auf zehn fette Garben folgen nämlich 160 Millionen magere. So groß ist laut Oxfam die Zahl derjenigen, die zusätzlich ins Elend rutschten, während Gates und sein erlesener Freundeskreis um das Doppelte ihrer ohnehin unermesslichen Größe anschwollen. Die Zahl der Neuverarmten aber wird sich fortan zu jenen 695 Millionen Menschen hinzuaddieren, die bereits 2017 von weniger als 1,90 Dollar pro Tag in absoluter Armut lebten, sowie zu jenen gut fünf Milliarden Menschen, die von weniger als 5,50 Dollar pro Tag leben mussten.

Woodward und Bernstein sind out

All das sind Nummern, vielleicht auch nur Zahlenspiele. Neben sozialem Sprengstoff nähren sie aber auch manch fast vergessenes Grübeln und Zweifeln. Dabei muss man gar nicht mal zum Sozialismus konvertieren, um sich wenigstens einmal – vielleicht des Nachts im verborgenen Kämmerlein – die Frage zuzugestehen, ob der fast exponentiell ansteigende Wohlstand der Superreichen nicht auch in Korrelation – also in einem losen, möglicherweise auch nur zufälligem Zusammenhang – zur Krise und zum gewählten Weg der Krisenbewältigung zu deuten ist.

Früher nannte man das „die Spur des Geldes“. Besonders die globalisierungskritische Linke hatte für diese ein geschultes Näschen. Damals, da war ein Ratschlag wie „Follow the Money“ aber auch noch nicht der zugewiesene Teebeutelspruch auf dem Chai Latte von Homöopathen. 1974 etwa, als William Goldman das Drehbuch zum Watergate-Klassiker „Die Unbestechlichen“ schrieb, notierte er dieses apodiktische Credo als gut gemeinte Anregung für Investigativ- und Nachwuchsjournalisten mit ins Filmscript. Seit aber Donald Trump selbigen Tipp 2016 nutzte, um damit die Demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton zu entlarven (laut Trump hatte die Clinton Foundation damals Geld von Spendern erhalten, die an einem vom Außenministerium genehmigten Uran-Deal profitiert hatten), will besonders die sogenannte Linke von den alten Recherchetipps aus dem Hause Woodward/Bernstein nichts mehr wissen.

Und so wecken bereits ein leiser Zweifel oder auch nur ein winziger Verdacht, ein Zwicken irgendwo in den letzten Synapsen des Hinterkopfs, den Vorwurf anschwellender Häresie. Schnell ruft der Meinungsmainstream dann nach einem Reinigungsritus der Inquisition: Nein, Bill Gates ist einer von den Guten! Einer von denen, die die Menschen lieben! Ein philos anthropos! Deren Gegner sind übrigens die Anthroposophen; die Katharer unserer Gegenwart. Das aber ist eine andere Geschichte. Was an dieser Stelle einzig interessieren soll, ist der Umstand, dass einer der größten Profiteure der aktuellen Gesundheitsmalaise sein edles Portefeuille wie auch sein sonstiges karitatives Streben seit Jahren so ausrichtet, dass der immense Einsatz stets im Überfluss zu ihm zurückkommt. Das mag vielleicht ein listiger Winkelzug Fortunas sein; vielleicht auch eine neoliberale Spielart des Matthäus-Prinzips. Mag alles sein. Bewiesen ist nichts. Auch nicht das Gegenteil. 

1,4 Millionen für Eckard von Hirschhausen

So wurde zum Beispiel erst in der letzten Woche wieder sichtbar, wie gut die Bill and Melinda Gates Foundation – quasi der karitative Arm des vermutlich menschenfreundlichsten Unternehmers der Welt – ihr Geld in den letzten zwei Jahren investiert hat: Gut 1,4 Millionen Dollar nämlich sollen im März 2021 an eine Stiftung des deutschen Mediziners und Wissenschaftsjournalisten Eckard von Hirschhausen geflossen sein. Verwendungszweck der uneigennützigen Gabe: „Das Aufzeigen der Bedeutung der globalen Gesundheit und des Zusammenhangs zwischen planetarischer und globaler Gesundheit“. So luftig und fluffig steht es im Rechenschaftsbericht der Foundation, wo man aus Gates Gabe an Deutschlands einflussreichsten Arzt keinen Hehl macht. Das Geld floss damals an die Hirschhausen-Stiftung „Gesunde Erde, gesunde Menschen“, einer auf Hirschhausens Person zugeschnittenen Gründung aus dem Jahr 2020, die neben ihren Interessen für „Global Health“ vor allem das Ego-Marketing ihres Frontmanns im Sinn zu haben scheint. 

Hinter der Berliner Adresse von „Gesunde Erde, gesunde Menschen“, so ist im Impressum nachzulesen, verbirgt sich eine Konzept- und Beteiligungsagentur aus der Gesundheitswirtschaft. Unter dem Namen Die Brückenköpfe GmbH ist diese seit dem 1. März 2016 im Berliner Handelsregister verzeichnet und angetreten, um „echte und sinnvolle Innovationen in der Gesundheits- und Pflegeversorgung“ durch das hochkomplexe deutsche Gesundheitssystem zu bringen. Auf der Webseite des Unternehmens liest sich das dann wie folgt: „Die Brückenköpfe unterstützen mit ihrer Erfahrung über die komplexen Entscheidungsprozesse im Gesundheitswesen und dem Wissen über die verschiedenen Interessenlagen der Professionen sowie von Politik, Gesundheitswirtschaft, Pflege und Gesellschaft, damit echte und sinnvolle Innovationen in der Gesundheits- und Pflegeversorgung ankommen.“

Eckhart von Hirschhausen ist Gesellschafter der Agentur. Weiterer Gesellschafter ist Max Broglie, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Der Geschäftsführende Gesellschafter der Brückenköpfe schließlich ist Jürgen Graalmann, ehemals leitender Angestellter der Barmer und späterer Leiter des Stabsbereichs Politik des AOK-Bundesverbandes. Als sogenannter Executive Partner wird zudem noch Matthias Suermondt geführt, ehemals Mitglied der Geschäftsführung des Pharma-Riesen Sanofi, wo sich Suermondt laut Selbstauskunft um den „schnellen Zugang zu Innovation für Patienten und einer sektorübergreifenden Verbesserung der Versorgung“ kümmerte. 

Und bis 2020 war nach aktuellen Recherchen des Spiegel sowie nach Eintrag im Handelsregister auch noch Berlins Ex-Gesundheitssenator Mario Czaja mit an Bord. Laut Spiegel steht der als designierter CDU-Generalsekretär derzeit ohnehin unter Lobby-Verdacht, da einige von Czajas „Vorstellungen für die Brückenköpfe später in das Digitale-Versorgungs-Gesetz des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn eingegangen sein sollen“.

Alle Gates-Spenden in Deutschland haben mit der Pandemie zu tun

Hirschhausens Stiftung „Gesunde Erde, gesunde Menschen“, deren Direktorin Kerstin Blum zugleich auch als Senior Projekt Managerin bei Hirschhausens Brückenköpfe zu fungieren scheint, unterstreicht derweil, dass Deutschlands bekanntester Arzt, der Impfskeptiker gerne auch mal als „asoziale Trittbrettfahrer“ beschimpft, persönlich keinen Cent von der Gates-Förderung eingestrichen habe und dass die Bill and Melinda Gates Foundation auch keinen redaktionellen Einfluss auf die Arbeit von Hirschhausens Stiftung nehme. Über die Verbindung zu Hirschhausens Brückenköpfen macht die Stiftung indes keinen Hehl: „In Zusammenarbeit mit dem medizinischen Beratungsunternehmen ‚Die Brückenköpfe‘ [...] hoffen wir, schnelle und sichtbare Wirkung erzielen zu können", heißt es in einer frühen Selbstdarstellung im Magazin Active Philanthropy von 2020.

Es sind eben die Knoten, Schnittmengen und Brückenpunkte, die die Kunst medizinischer Landschaftspflege ausmachen. Wie guter Lobbyismus anno 2022 genau aussieht, das zeigt auch ein flüchtiger Blick durch die online einsehbaren Jahresberichte der Bill and Melinda Gates Foundation. Gates, so wird hier schnell ersichtlich, greift in Deutschland nicht oft in seine normalerweise weiten Spendierhosen. Und wenn doch einmal, dann stehen die von ihm Begünstigten zumeist in irgendeinem Verhältnis zur aktuellen Pandemie: Im November letzten Jahres etwa gingen 500.000 Dollar an die deutsche Bundesoberbehörde Robert-Koch-Institut, und über 60.000 Dollar flossen im selben Monat an den World Health Summit, eine jährlich stattfindende internationalen Tagung für globale Gesundheitsfragen. Im Oktober förderte die Foundation die Hamburger Firma Evotec, ein Unternehmen der pharmazeutischen Wirkstoffforschung, das u.a. an Medikamenten gegen Covid-19 forscht. Evotec erhielt von Gates über 18 Millionen Dollar. Fast drei Millionen gingen im selben Monat an Spiegel Online. Verwendungszweck: „Über soziale Unterschiede in der Welt zu berichten und ein Verständnis dafür zu vermitteln, wie sie überwunden werden können.“

Und hier könnte sich der Kreis zunächst einmal schließen. Denn zumindest Spiegel Online scheint diesen Auftrag ernst zu nehmen. Über den aktuellen Oxfam-Bericht etwa wird auch an der Ericusspitze in der Hamburger HafenCity berichtet. Der Name des Philanthropen Gates indes fällt in dem Artikel kein einziges Mal. Stattdessen sticht eine Forderung der Entwicklungshilfeorganisation selbst ins Auge: „Oxfam forderte von den Regierungen weltweit, Konzerne und Superreiche zur Finanzierung sozialer Grunddienste stärker zu besteuern“, heißt es in dem kleinen Text auf Spiegel Online. Ob das wohl im Interesse des edlen Spenders ist? Der soll zwar bei öffentlichen Auftritten nicht müde werden zu betonen, die Reichen der Welt sollten gefälligst mehr Steuern zahlen. Als aber jüngst der US-Bundesstaat Washington mit einem Vorschlag für eine höhere Vermögenssteuer auf Gates zukam, soll dieser nur abweisend geschwiegen haben. Warum auch an den Fiskus zahlen, wenn man als Philanthrop eigentlich zu höheren Liebesdiensten berufen ist? Gewiss, der Mensch ist dem Menschen noch immer ein Freund – solange er einen Vorteil daraus ziehen kann.

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