Politische Kampagne von Unilever - Die Eis-Heiligen

Die Eisfirma „Ben & Jerry’s“ bewirbt ihre Produkte im Zusammenhang mit dem Flüchtlingselend in Moria. Das soll soziales Engagement vorgaukeln und ist in Wahrheit zynischer Populismus, um Konsumanreize zu setzen. Für den Unilever-Konzern kann die Sache auch nach hinten losgehen.

Ben & Jerry's-Gründer Jerry Greenfield bei einer politischen Aktion in Washington im Jahr 2014 / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Hey, friends da draußen! Hier sind Ben und Jerry, Eure super schnuffeligen Eis-Onkels aus Vermont. Ihr wisst schon, das ist der kleine Bundesstaat im Nordosten der US of A, wo schon immer die progressiven Shaker herkamen, die scharfsinnigen Überflieger, die Kräfte des Guten. Wir beide haben zwar nur Eis im Angebot, und das ist auch noch derart überzuckert, dass Ihr davon bald so fett werdet wie die ekligen Rednecks bei uns in den Südstaaten. Aber dafür tragen unsere Sorten superwitzige Namen. „Fairway to heaven“ zum Beispiel, oder „Cherry Garcia“ – Ihr wisst schon, wegen dem Typen von Grateful Dead. Der war auch immer so cool drauf wie wir.

Lustiger Corporate-Slang

Vermont ist zwar ziemlich weit von Lesbos entfernt (crazy Name für eine Insel, übrigens – vielleicht bringen wir demnächst „Lesbilicous“ auf den Markt mit lecker queeren Stachelbeeren drin). Aber Ben und Jerry, also wir beiden, sind eben die Kosmopoliten unter den Eismachern. Deswegen kümmern wir uns auf der ganzen Welt um alle, denen es gerade nicht so gut geht. Zum Beispiel um die Geflüchteten, oder „refugees“, wie wir in den Staaten sagen. Unterschreibt also schön fleißig auf unserer Ben & Jerrys-Homepage für das Resettlement-Programm. „Unsere Petition zu unterschreiben geht viel schneller, als einen Becher deiner Ben & Jerry’s Lieblingssorte zu verputzen“, heißt es da in unserem lustigen Corporate-Slang. Und für die Dummys unter Euch im Klartext: „Resettlement bietet den besonders Schutzbedürftigen eine sichere Fluchtroute und die Möglichkeit, ein neues Zuhause auf legale und sichere Art und Weise zu erreichen.“

Instant-Aktivismus

Nein, es ist kein Witz. Die Ende der 1970er Jahre von Ben Cohen und Jerry Greenfield gegründete Eis-Firma rührt nicht nur in aller gebotenen Scheinheiligkeit in der europäischen Migrationspolitik mit herum. Sie nimmt in ihrer aktuellen Social-Media-Kampagne auch noch den Brand im Flüchtlingslager Moria zum Anlass, um Konsumenten in einer Weise zu aktivieren, wie man es bestenfalls aus Grundschul-Lehrbüchern kennt: Auf einer Zeichnung sind tatsächlich Menschen mit Eiswaffeln und „Wir haben Platz“-Schildern in einer grünen Hügellandschaft zu sehen, die sich demonstrierend in Richtung zweier Gebäude begeben, welche in der Ben & Jerry-Ikonographie offenbar so etwas wie einen Regierungssitz darstellen sollen.

„Du kannst den Menschen in Moria helfen“, heißt es dazu. „Werde schnell und einfach politisch aktiv!“. Und als Handlungsanleitung für alle Instant-Aktivisten gibt es noch folgenden Dreischritt: Punkt 1: „Politische Vertreter*innen aus deinem Landkreis auswählen“. Punkt 2: „Vorgefertigte Mail anpassen oder direkt abschicken“. Und schließlich Punkt 3: „Noch mehr Politiker*innen schreiben“.

Resettlement-Plan

So stellt man sich also im Paralleluniversum angeblich sozial engagierter Süßwarenhersteller die probate Lösung der aktuellen Migrationspolitik vor: eine vorgefertigte Petition unterschreiben und dabei am besten etwas Eis löffeln. Ja, die Welt kann so einfach sein. Eigentlich erstaunlich, dass es immer noch keine europäische Lösung gibt, wo doch der geniale Resettlement-Plan aus dem Hause Ben & Jerry’s längst auf dem Tisch liegt. 

Oder geht es womöglich einfach nur darum, ungesunde Nahrungsmittel mit politischem Linkspopulismus zu bewerben? „Liebe Eisfans“, posten die Social-Media-Leute von Ben & Jerry’s, „bitte denkt an unsere Gesprächsregeln, damit unsere Diskussion, genauso wie unser Eis, immer cremig und fair bleibt“. Das meinen die offenbar wirklich so; vom abgebrannten Lager auf Lesbos ist es da nur ein kleiner Schritt zum cremigen Snack.

Wenn das kein Zynismus ist, dann muss man den lustigen Jungs und Mädels von den Eis-Dealern wohl kompletten Schwachsinn attestieren. Andererseits: Das ganze entspricht ungefähr dem Niveau, das auch die Grüne Jugend im Rahmen ihrer politischen Problemlösungskompetenz an den Tag legt. Man könnte von einer Ben-und-Jerryisierung des politischen Diskurses sprechen: Dummheit gepaart mit Ignoranz und einer unumstößlichen moralischen Gewissheit sowie ein paar Salted Caramel Brownies als süßes Topping obendrauf. Fertig ist die nächste Eissorte.

Verlogene Kampagne

Politisches Campaigning zum Zwecke des besseren Abverkaufs von Industrieprodukten ist zwar nicht ganz neu; auch Coca-Cola hat beispielsweise die Corona-Krise genutzt, um mit gesellschaftlich relevant klingenden Sinnsprüchen Konsumanreize zu schaffen. Aber Ben & Jerry’s setzt mit seiner geradezu ekelerregend verlogenen Kampagne in dieser Hinsicht neue Maßstäbe. Oder tragen die engagierten Eisfabrikanten in irgendeiner Weise Verantwortung für das, was sie da vollmundig vor sich hin fordern? Vielleicht verteilen sie ja ihre fancy Eissorten demnächst in Flüchtlingsunterkünften. Soll übrigens auch gut fürs Gewissen sein.

Leichen im Unilever-Keller

Erstaunlich allerdings, dass Ben & Jerry’s offenbar nicht die Risiken ihrer Aktion einkalkuliert haben. Die Eismarke gehört nämlich längst nicht mehr den beiden knuffigen Gründern aus Vermont, sondern dem Nahrungsmittel- und Kosmetikkonzern Unilever (Axe, Dove, Rexona, Knorr, Pfanni etc.). Und da könnte doch am Ende glatt jemand auf die Idee kommen, ein paar Leichen zu zählen, die im Unilever-Keller so herumliegen. Als da wären: Rodung afrikanischer Sumpfwälder zugunsten von Palmöl-Plantagen (2008), Kontaminierung der Umwelt mit Quecksilber in Indien (bis zum Jahr 2001) oder rassistische Werbung für ein Duschgel (2011). 

Andererseits: Vor diesem Hintergrund ist es tatsächlich kein Wunder, wenn man endlich auch mal zu den Guten zählen will. Und sollte sich nebenbei auch noch ein bisschen mehr Eis verkaufen: umso besser!
 

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