Auswanderung - Migranten mit Moneten

Immer mehr Millionäre verlassen Deutschland und lassen sich in Kapstadt nieder. Die Stadt bietet eine enorm hohe Lebensqualität und wurde vom islamischen Terrorismus bislang verschont

Erschienen in Ausgabe
/ Damien Schumann
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Thilo Thielke lebt in Tansania. Von 2003 bis 2008 war er Afrikakorrespondent des Spiegel.

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Es ist sechs Uhr abends in Kapstadts Vorort Hout Bay, und das Strandrestaurant Dunes ist schon wieder proppenvoll. Müßiggänger, die den ganzen Tag schon hier sind, mischen sich mit denen, die an ihrem ersten After-Work-Chardonnay nippen, sowie mit Surfern, die nach dem Wellenritt erschöpft auf die weißen Terrassenmöbel gesunken sind und sich nun über ihre Scampi hermachen.

Über dem Meer verabschiedet sich langsam die afrikanische Sonne, der Wind treibt ein wenig Sand vor sich her, und der deutsche Makler Norbert Bernitzke fährt sich mit der Hand durch sein schulterlanges blondes Haar, dann bestellt er sich ein Bier der Marke Windhoek Lager.

Der 65-Jährige hat einen guten, aber auch anstrengenden Arbeitstag hinter sich, sagt er. Ein deutsches Ehepaar scheuchte ihn von einer Luxuswohnung zur nächsten. „Sie suchen etwas mit Meerblick und Balkon, aber vielleicht auch ein Weingut“, stöhnt der Bayer, „für morgen haben sich die nächsten Kunden angekündigt, und übermorgen ist es auch nicht anders.“

Kein Grund zur Klage

Klagen kann Bernitzke nicht: Das Geschäft läuft, Kapstadt boomt. „Prost“, ruft ein Gast vom Nebentisch herüber. Bernitzke nickt freundlich. „Kraut Bay“ nennt man die Gegend auch – wegen der vielen Deutschen, die sich hier, wo die Stadt endet und das Kap der Guten Hoffnung nicht mehr weit ist, bereits niedergelassen haben.

Bernitzke zog 2003 von München nach Südafrika, gründete in Kapstadt die Firma „The Lions Head Properties“. Seitdem habe es kein Jahr gegeben, in dem die Immobilienpreise nicht gestiegen seien, sagt er und: „Seit zwei, drei Jahren geht hier richtig die Post ab, vor allem in den edlen Lagen.“ Warum das so ist? Das gute Essen fällt ihm ein, die fantastische Landschaft und das angenehme Klima. Er selbst hat seine bayerische Heimat schließlich auch verlassen, weil er irgendwann „keine Lust mehr auf Schneematsch, Nieselregen und die nicht enden wollenden Winter“ hatte.

Hinzu kommt, dass die Nullzinspolitik in Europa zur Geldanlage zwingt und die Immobilienpreise in Südafrika verglichen mit anderen Ländern immer noch niedrig sind. Dazu schwächelt der südafrikanische Rand mal wieder. „Für eine Million Euro besorge ich Ihnen hier eine 5000-Hektar-Farm mit Wasserfall, Springbrunnen und wilden Tieren“, schwärmt Bernitzke, „dafür bekommen Sie in der Münchener Leopoldstraße, wenn Sie Glück haben, eine kleine Dreizimmerwohnung.“

Südafrika sicherer als Deutschland

Aber dann gebe es doch noch etwas, meint Bernitzke nach einer Weile: „Es gibt keine muslimischen Terroranschläge im Land und keine Massenvergewaltigungen wie in Köln. So etwas kennen wir, bei allen Problemen, die das Land hat, bloß aus dem Fernsehen.“ Selbst von Südafrikanern werde er immer häufiger angesprochen, was denn da los sei in good old Germany. Das wirke schon befremdlich aus der Ferne.

Bernitzkes Schilderungen decken sich mit Recherchen von New World ­Wealth, einer Organisation mit Sitz im südafrikanischen Johannesburg, die sich mit der Migration der Reichen beschäftigen. Erst kürzlich hatten die Wohlstandsforscher einen Bericht vorgelegt, wonach im vergangenen Jahr weltweit 82 000 Millionäre ihre Heimat verlassen hätten, um sich woanders niederzulassen – 18 000 mehr als noch 2015. Ungewöhnlich stark ist die Abwanderung aus Europa. 2000 dieser Reichen verließen im Jahr 2016 Deutschland und sogar 12 000 Frankreich. Damit liegt die einstige Grande Nation noch vor China an der Spitze der Edelauswanderer. 

Millionäre gehen oft als Erste

Für den New-World-Wealth-Chef Andrew Amoils liegen die Gründe auf der Hand. „Frankreich wird heftig von muslimischen Unruhen erschüttert“, sagt er, „und deshalb ist auch nicht damit zu rechnen, dass die Abwanderung der Millionäre in den nächsten Jahren abreißt: Wir gehen davon aus, dass immer mehr fortziehen werden, weil die religiösen Spannungen zunehmen. In Deutschland ist das nicht anders.“

Schließlich ließen neben dem Religionsterror weltweit ähnliche Motive die Reichen auswandern, so Amoils: „unter anderem steigende Kriminalität, die mangelnde Sicherheit der Frauen, zu hohe Steuern und schlechtere Schulen für die Kinder“.

Für Amoils lässt sich aus den Zahlen, die er ermittelt hat, auf einen Trend schließen. Weil die Millionäre mobil sind, seien sie oft die Ersten, die fortgingen. Sie haben im Unterschied zu ihren Landsleuten aus der Mittelklasse schlicht mehr Möglichkeiten, sich einen anderen Wohnsitz zu suchen. Für ihre Herkunftsländer hingegen sollte die Abwanderung der Vermögenden ein „alarmierendes Zeichen“ sein: „Geld wird ins Ausland geschafft, Steuern und Jobs gehen verloren und auch Know-how – schließlich sind die meisten Reichen gebildet, hoch qualifiziert und innovativ.“

Deutsche suchen das Weite

Langsam scheint sich das auch in Deutschland herumzusprechen. „Seit Jahren zieht es mehr Deutsche in die Ferne, als von dort zurückkehren“, hat die Welt ausgerechnet: „Im Durchschnitt verliert die hiesige Wirtschaft jährlich rund 25 000 überwiegend gut ausgebildete Personen mit deutschem Pass.“ Allein 30 000 deutsche Ärzte sollen in den vergangenen zehn Jahren das Weite gesucht haben, Tendenz steigend. Schon leben laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 3,4 Millionen Deutsche im Ausland, wo sie, „wegen des traditionell hohen Bildungsniveaus deutscher Migranten“, heiß begehrt sind. Nur aus zwei Industrieländern, Mexiko und Großbritannien, wanderten bislang mehr Menschen aus. 

Bernitzke hat Verständnis für die Flucht seiner Kundschaft: „Die Leute wollen weg aus Deutschland, und Weißbier, Leberkäse und im Fernsehen Bundesliga gibt es hier auch.“ Der Blick in deutsche Zeitungen steigert das Unbehagen mit der Heimat. Schon wieder sind in London muslimische Terroristen in eine Menschenmenge gerast, haben einen Haufen Passanten totgefahren und andere mit dem Messer niedergestochen. In Deutschland hingegen diskutiert man darüber, ob man einen illegal eingereisten Afghanen, der mit Mordanschlägen an Deutschen droht, abschieben darf, während ein anderer Afghane gerade ein fünfjähriges Kind aus Russland massakriert hat.

Natürlich ist die Regenbogennation, die von Nelson Mandela 1994 in die apartheidfreie Zukunft geführt worden war, nicht das Auswandererziel Nummer eins – das Land liegt immerhin in Afrika, hat einen korrupten Präsidenten und immer noch große Rassenprobleme. Die beliebtesten Länder der Millionärsmigranten sind Australien, die Vereinigten Staaten und Kanada. Aber die Traumstädte dieser Welt haben derzeit allesamt Konjunktur. „Für Kapstadt gilt, was auch auf Australien oder Kanada zutrifft“, sagt Andrew Amoils: „Es hat eine hohe Lebensqualität und wenige religiöse Fanatiker. Das zieht.“

Strenge Einwanderungsauflagen

Leicht machen es die Südafrikaner den begüterten Schutzsuchenden aus dem hohen Norden allerdings nicht. „Wer eine ständige Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung im Land erhalten will“, klärt das Fräulein vom Einwanderungsservice Intergate Immigration auf, „muss ein Vermögen von zwölf Millionen Rand, nach derzeitigem Kurs rund 830 000 Euro, nachweisen; außerdem muss er Gesundheitszeugnisse, die belegen, dass er weder die Tuberkulose einschleppt noch psychisch krank ist, vorlegen; und er benötigt polizeiliche Führungszeugnisse aus allen Ländern, in denen er bisher gelebt hat.“

Von offenen Grenzen halten die Afrikaner nicht viel: Reich, gesund und gesetzestreu muss sein, wer dauerhaft bei ihnen leben will. Wer die hohen Ansprüche nicht erfüllt, muss spätestens nach drei Monaten wieder ausreisen. „Schwalben“ werden die Saisongäste genannt, die in Kapstadt ein eigenes Haus oder eine Wohnung besitzen, aber immer wieder ein- und ausreisen und sich unter die Touristen mischen. Und das sind nicht wenige: Allein im vergangenen Jahr kamen über 310 000 Besucher aus Deutschland ins Land, ein neuer Rekord und 21,5 Prozent mehr als im Vorjahr.

Längst bilden die zugewanderten Deutschen in Kapstadt eine eigene Parallelgesellschaft – in jener Stadt, die von Jan van Riebeeck im Jahr 1652 als Versorgungsstation für die Vereenigde Oost-Indische Compagnie gegründet wurde, und von den Einheimischen in Südafrika deshalb immer noch Mother City genannt wird. Allein der Immobilienriese Engel & Völkers unterhält mittlerweile neun Filialen in der zweitgrößten südafrikanischen Stadt. Es gibt deutsche Metzger und Bäcker und Restaurants, deutsche Buchhändler und Friseure und Reiseleiter sowieso.

Anfängliche Touristen

In der deutschen Schule paukt der Nachwuchs, im deutschen Verein feiert der Teutone mit Brezeln und Paulaner das Oktoberfest, und der deutsche Steuerberater Anselm Steiner kümmert sich um die Geldangelegenheiten von Migranten mit Moneten.

Vor zwei Jahren hat Steiner zusammen mit seiner Frau in Kapstadt ein Büro eröffnet. Nun sitzt er in seinem Büro mitten in der Innenstadt. Über ihm thront der Tafelberg, nur einen Steinwurf entfernt lockt das Victoria & Alfred-Einkaufszentrum an der Waterfront Touristenmassen an. „Es leben schon jetzt so viele reiche Deutsche in der Stadt, und immer mehr erwerben hier Immobilen für die Zukunft“, hat er beobachtet, „da haben wir uns gefragt: Warum expandieren wir nicht hierher? Die Leute brauchen doch Beratung.“ 

Wie so viele waren Anselm Steiner und seine Frau anfangs als Touristen nach Südafrika gekommen. Sie guckten sich die wilden Tiere im Kruger-Nationalpark an, testeten die Weingüter entlang der Garden Route und stromerten durch den Botanischen Garten von Kirstenbosch. Schön war das, und dann kam ihnen die Erleuchtung. Sie erwarben eine zusätzliche Steuerberater-Zulassung für Südafrika und machten eine Niederlassung am Kap auf.

„Buy a house and stay in our country“

Einer der beiden ist seitdem immer in Südafrika, der Partner zur gleichen Zeit in Speyer, wo die Steiner Steuerberatungsgesellschaft ihren Hauptsitz mit 17 Angestellten hat. Wer aus Deutschland anruft, wählt eine Nummer mit Speyer-Vorwahl und wird automatisch nach Südafrika umgeleitet. Aufgrund der gleichen Zeitzone – nur wenn in Deutschland Sommerzeit ist, besteht eine Stunde Zeitunterschied – gibt es kein Problem mit den Arbeitszeiten.

Und das Kalkül der Steiners scheint aufzugehen: Schon nach kurzer Zeit hatten sie 50 deutsche Klienten gewonnen und konnten acht Mitarbeiter aus aller Welt einstellen. „Wir möchten später einmal 100 Angestellte in Kapstadt beschäftigen“, meint Steiner zuversichtlich, „und das werden wir auch schaffen.“ Er will dem Land, das ihn so freundlich aufgenommen hat, auch helfen. Geben, nicht nur nehmen. Als er einmal als Tourist eingereist war, hatte ihn der Beamte bei der Passkontrolle gebeten: „Buy a house and stay in our country.“ Das hat ihn beeindruckt.

Steiner ist polyglott. Er hat in Paris studiert und 20 Jahre lang in Frankreich gelebt. Von Speyer bis zur französischen Grenze sind es gerade einmal 50 Kilometer. Ihm gefällt das internationale Flair Kapstadts, die Lebensart. „Hier geht es nicht so verbissen zu wie in Deutschland“, hat er beobachtet, „hier gibt es nicht so viele Bedenkenträger.“ In Deutschland müsse man sich, bevor man eine Toilette baue, erst einmal bei der Berufsgenossenschaft erkundigen, ob das überhaupt erlaubt sei. Das klingt ein wenig klischeehaft, schließlich hat auch Deutschland sich in den vergangenen Jahren gewandelt – aber in der Ferne werden Heimatgefühle schnell ambivalent: Der eine neigt dazu, sie zu verklären, dem anderen erscheinen sie nach einer Weile nur noch wie Graus.

Wie einst die Hugenotten

Gerade in Zeiten des Terrors: Denn während daheim in Deutschland darüber diskutiert wird, ob man in Kantinen noch guten Gewissens Schweinefleisch anbieten kann und wie das mit dem Alkoholausschank während des Ramadans aussieht, grillen sie beim Braai in Südafrika noch ganz ohne schlechte Gefühle ihre Boerewors und geben sich dem Rotwein hin. Den brachten einst die Hugenotten ans Kap.

Hoch über der Stadt, in Higgovale, hat sich Helmut Prast, 75, einen kleinen Palast gebaut. Seit 2001 lebt der gebürtige Oberhausener mit seiner australischen Frau nun schon in Kapstadt, davor verbrachte er 21 Jahre in Johannesburg, und davor zog er für den Stahlmogul Klöckner durch die Welt. Er hat in Ma­laysia gelebt und Indonesien, in Nairobi und Daressalam. Danach hat er sich selbstständig gemacht und richtig Geld verdient. Die Ärzte rieten ihm irgendwann zu einem Umzug von Johannesburg hierher, des angenehmen Küstenklimas wegen. Längst ist er in Kapstadt heimisch geworden.

„Es ist die schönste Stadt der Welt“, schwärmt er, „schöner als San Francisco oder Sydney.“ Kann er sich vorstellen, noch einmal zurück nach Deutschland zu ziehen? Prast lächelt, blickt hinab auf die Lichter der Stadt und schweigt. Er möchte jetzt nicht unhöflich sein.

 

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