2G-Regelung im Einzelhandel - „Das ist blanker Aktionismus“

Seit Ende November gilt für den Einzelhandel in Berlin und Brandenburg die 2G-Regelung. Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, schlägt Alarm, weil es seitdem offenbar immer mehr Angriffe auf Mitarbeiter gibt. Im Interview wirft er der Politik Frauenfeindlichkeit und Planlosigkeit vor.

Zugang nur für Geimpfte und Genesene – für manche offenbar ein Grund, sämtliche Anstandsregeln fallen zu lassen / dpa
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Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Nils Busch-Petersen ist Jurist und Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg e.V. Kürzlich verkündete er, der Handelsverband werde Händler unterstützen, die gegen die 2G-Regel klagen.

Herr Busch-Petersen, seit Ende November gilt für den Einzelhandel in Berlin-Brandenburg die 2G-Regelung. Die Kontrolle am Eingang müssen die Mitarbeiter übernehmen, die sich nun über zunehmend aggressives Verhalten ihnen gegenüber beschweren. Was für Fälle sind Ihnen da zu Ohren gekommen?

Unsere Mitglieder schildern zunehmend das, was wir auch in der Gesellschaft wahrnehmen: dass eine kleine Gruppe von Menschen ihr Verhalten zunehmend verwahrlosen und Aggressionen ungehemmt freien Lauf lässt. „System-Schlampe“ und „Stasi-Schlampe“ gehören noch zu den vergleichsweise harmloseren Beleidigungen, die den Mitarbeiterinnen an den Kopf geworfen werden. Außerdem werden gezielt Bedrohungsszenarien aufgebaut.

Haben Sie Beispiele?

Der Hinweis, dass die Kinder mit den eigenen Kindern in eine Klasse gehen und man schon sehen werde, was man davon habe. Oder die Ankündigung, die Verkäuferinnen auf dem Heimweg abpassen zu wollen. Inzwischen gibt es auch Verkäuferinnen, die bespuckt worden sind; eine Verkäuferin hat sogar einen Kleiderbügel ins Gesicht geschlagen bekommen. Die Art und Weise, wie die Politik unseren Mitarbeitern die 2G-Regelung übertrug, hat solche Probleme einseitig ihnen aufgelastet – obwohl sie diese Entscheidung überhaupt nicht getroffen haben.

Was hat die Politik falsch gemacht?

Nils Busch-Petersen
(Archivbild von 2012) / dpa

Unsere Mitglieder sollen den Kontrollposten übernehmen, dabei sind sie keine gelernten Sicherheitskräfte, sondern hochkompetente Verkäuferinnen und Verkäufer, deren Aufgabe es ist, empathisch auf Menschen zuzugehen und sie zu beraten. Wir haben der Politik in Berlin im Vorfeld gesagt, dass wir diese Entscheidung für frauenfeindlich halten.

Warum ist das frauenfeindlich?

Politiker schmücken sich gerne mit Genderthemen – ich fände es besser, wenn sie einmal etwas Effektives für die Frauen tun würden. Wir sind stolz darauf, dass drei Viertel unserer Beschäftigten weiblich sind, dass viele Läden bis zur Filialleitung von Frauen geführt werden. Diese Frauen jetzt die Aggressionen einer außer Kontrolle geratenen Minderheit ausbaden zu lassen, ist unverantwortlich und letztlich frauenfeindlich.

Sie sind für die Abschaffung der 2G-Regel, aber dazu kommen wir noch. Was schlagen Sie als Gegenmaßnahmen vor, solange noch 2G gilt?

Es gibt in Berlin und Brandenburg bereits die Möglichkeit, mit der Bändchenvariante zu arbeiten. Das heißt, die Menschen werden zum Beispiel an einem zentralen Ort für ein bestimmtes Areal oder Center kontrolliert und bekommen ein Bändchen, wenn sie geimpft oder genesen sind. Wer das Bändchen vorweisen kann, darf dann Einzelhandelsgeschäfte betreten. Viele kennen das Verfahren wohl von Cluburlauben oder Konzerten. Das ist nur eine Mini-Entlastung, aber im Moment freut man sich ja über jede kleine Lösung.

Was wäre mehr als eine Mini-Lösung?

Eine Stichprobenkontrolle wie beim öffentlichen Personennahverkehr wäre sinnvoll. Dann wären unsere Mitarbeiter nicht gezwungen, ständig am Eingang jeden zu kontrollieren. Man könnte mit der Politik vereinbaren, dass wir uns verpflichten, einen bestimmten Prozentsatz zu kontrollieren, das wäre technisch kein Hexenwerk. Die meisten Läden und Shopping-Center haben Systeme zur Ermittlung der Kundenfrequenz, damit ließe sich nachweisen, dass Kontrollen durchgeführt wurden. All das haben wir der Politik im Vorfeld erklärt. Das macht mich so fuchsig, dass die politisch Verantwortlichen zuhören, nicken und dann etwas anderes machen. Den Nahverkehr erklärt die Politik wegen der 3 Millionen Fahrgäste täglich in Berlin für nicht voll kontrollierbar, der Handel mit 2,5 Millionen Kundenkontakten am Tag soll es aber alleine stemmen können?

Aber auch Bändchen- und Stichprobenkontrollen ändern doch nichts daran, dass Menschen aggressiv werden.

Es würde sich aber etwas ausdünnen und zu einer gewissen Entspannung beitragen. Aber ja, es muss noch viel mehr passieren, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dieser unseligen Geschichte rauszuholen. Dazu gehört auch, dass die mit den Kontrollen verbundenen Zusatzausgaben kompensiert werden. Da sind wir uns auch mit der Gewerkschaft Verdi einig, was es noch nie gegeben hat, dass die Gewerkschaft und der Arbeitgeberverband eine gemeinsame Pressemitteilung zur Pandemiepolitik herausgeben. Das ist nicht selbstverständlich und ich freue mich sehr darüber, dass Verdi sich  hier klar im Interesse der Beschäftigten äußert.

Wie macht sich die 2G-Regelung bei den Umsätzen bemerkbar?

Durch einen zusätzlichen Sprung nach unten. Verglichen mit Dezember 2019 machen die Händler zwischen 40 und 60 Prozent Einbußen. Mir haben Leute geschrieben, was ich mir eigentlich einbilde, gegen 2G zu sein, ich würde dadurch doch nur das ungeimpfte Viertel der Bevölkerung verlieren. Aber wir verlieren deutlich mehr als ein Viertel des Umsatzes.

In welchen Bereichen sind die Verluste besonders stark?

Bei Spielwaren, Technik, Schmuck und im Textilbereich. Ich bin kein Fan von Olaf Scholz, aber er hatte Recht, als er sagte, wir alle seien müde und zermürbt. Die gute Laune ist weg und mit ihr die Lust auf Einkäufe.

Was ärgert Sie am meisten an der 2G-Regelung?

Die Leichtfertigkeit, mit der die politisch Verantwortlichen hier abermals einen Teil der Gesellschaft in Geiselhaft steckt, während es in allen anderen Bereichen überhaupt keine Beschränkungen gab, also bei Volkswagen die Autos geschraubt wurden und sich in Fleischfabriken die Mitarbeiter munter gegenseitig angesteckt haben. Die Geringschätzung, die die Politik ausdrückt gegenüber den Veranstaltern, den Kulturschaffenden, den Gastronomen und den Händlern, also eigentlich den Zielgruppen, die die Großstädte lebendig und lebenswert machen, das gibt mir auch strategisch sehr zu denken und ist ein Thema, mit dem ich mich auch außerhalb von Pandemien befasse: den gesellschaftliche Stellenwert bestimmter gesellschaftlicher Gruppen nicht aus den Augen zu verlieren. Ich halte solche Regelungen, die unter Sicherheitsaspekten keinen Sinn ergeben, für blanken Aktionismus auf Kosten der Händler, nur weil Politiker Handlungsstärke demonstrieren wollen.

Wie begründen Sie Ihre Forderung nach einer 2G-Abschaffung unter Sicherheitsaspekten?

Die Forderung basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die 2G als unzureichend und falsch einordnen. Das Robert-Koch-Institut hat in seinen Auswertungen festgestellt, dass der Anteil des Einzelhandels am Infektionsgeschehen unter einem Prozent liegt. Denn unsere Sicherheitskonzepte funktionieren. Da gibt es eigentlich gar keinen Bedarf, eine solche Regelung durchzusetzen.

Spricht die Omikron-Variante nicht für 2G?

Nein, ich finde, die Omikron-Variante spricht schlimmstenfalls für die Wiedereinführung der 10-Quadratmeter-Regel. Damit es keine Ballung in den Geschäften gibt, sondern sich nur eine Person pro zehn Quadratmeter aufhält und Kunden FFP2-Masken tragen. Ansonsten reichen nach wissenschaftlicher Expertise unsere bewährten Hygienekonzepte.

Sie unterstützen eine Klage gegen die 2G-Regelung. In Berlin zieht Galeria Karstadt Kaufhof mit einem Eilantrag vors Verwaltungsgericht. Gibt es da schon Neuigkeiten?

Unser Mitglied hat verloren, wir also alle. Nun prüfen wir, wie es weitergeht.

Sie haben letzte Woche angekündigt, dass diese Woche eine Firma auch in Brandenburg klagen wird. Wie sieht es da aus?

Wir unterstützen die Klagen gegen 2G, aber es gehört zu unserer Form, dass wir keine Informationen weiterverbreiten – das sollen die Firmen selber machen.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat die 2G-Regel im Einzelhandel in Niedersachsen gekippt. In Schleswig-Holstein war ein Eilantrag gegen die 2G-Regel dagegen vom zuständigen Gericht abgelehnt worden. Wie kann es zu so unterschiedlichen Urteilen kommen?

Es gibt eine Vielzahl von Verwaltungsgerichten, und unsere Rechtsprechung ist nun einmal nicht einheitlich. Deswegen darf man in einem Bundesland Bücher verkaufen, in einem anderen aber nicht. Das macht mich manchmal verrückt, weil es zu den seltsamsten Eskapaden kommt. Der Bayerischen Verfassungsgerichtshof hat verkündet, dass man in Bayern nun Kinderschuhe verkaufen darf, weil Kinder so schnell wachsen, gehörten sie nämlich zum täglichen Bedarf. Viel schlimmer als die unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen trifft mich aber die Erkenntnis, dass es von vornherein überhaupt keinen Krisenplan gab.

Was meinen Sie?

Wenn es eine Terrorwarnung in einem Shoppingcenter gibt, dann holt der Chef eine Akte aus dem Regal, in der ein Ablauf für solche Situationen steht, damit er weiß, welche konkreten Schritte er einleiten muss: Papierkörbe prüfen, Kameras neu einstellen etc. Ich bin naiv davon ausgegangen, dass es einen solchen Plan auch für den Fall einer Pandemie gibt, auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene. Die letzten 30 Jahre ist aber offenbar nichts passiert, es wurden keine Vorkehrungen getroffen, stattdessen wird jetzt jede Maßnahme erst neu und mühevoll ausgehandelt. Das muss jetzt passieren, denn es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass eine Fledermaus in eine Suppe fällt.

Die Fragen stellte Ulrich Thiele.

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