Multimilliardär Ma Huateng - Disziplinierter Ober-Nerd

Facebook-Chef Mark Zuckerberg muss sich gerade in den USA wegen Datenklau verantworten. Mindestens so skrupellos geht der chinesische Internet-Mulitmilliardär Ma Huateng zu Werk. Seine Ambitionen sind global, seine Ideen aber gestohlen

Erschienen in Ausgabe
Ma Huateng hat globale Ambitionen, doch noch stößt We Chat bei westlichen Nutzern kaum auf Interesse / picture alliance.
Anzeige

Autoreninfo

Mathias Peer ist freier Journalist. Er lebt und arbeitet in Bangkok

So erreichen Sie Mathias Peer:

Anzeige

Die Idee, die ihn zum reichsten Mann Chinas machen sollte, findet Ma Huateng, Chef des Internetkonzerns Tencent, spätabends im Herbst 2010 in seinem E-Mail-Postfach. Vor kurzem ist das iPhone 4 erschienen, und Millionen Smartphone-Nutzer installieren erstmals Messaging-Apps wie Whatsapp und Kik auf ihren Handys. Die Nachtmail an Ma stammt aus Tencents Entwicklungsabteilung. Deren Kernbotschaft: So eine App brauchen wir auch.

Ma, der dafür bekannt ist, meist erst am frühen Morgen ins Bett zu gehen, genehmigt das Projekt schnell. Auf der Suche nach dem besten Konzept lässt er mehrere Teams intern gegeneinander antreten. Eine kleine Entwicklertruppe aus Guangzhou gewinnt. Ihre Chat-App überzeugt mit klarem, übersichtlichem Design – bereits wenige Wochen später steht sie in den App-Stores zum Download bereit. Ihr Name: Weixin – oder auf Englisch: We Chat.

Ma hat globale Ambitionen

Sieben Jahre später ist We Chat für Hunderte Millionen Chinesen unverzichtbar geworden. Mit dem Programm können sie nicht nur chatten und telefonieren. We Chat hat sich zur „Super-App“ entwickelt, die alles auf einmal möglich machen will: Taxis bestellen, Massagetermine vereinbaren, Essen ordern, Restauranttische reservieren. Und nebenbei arbeitet sie auch noch an der Abschaffung des Bargelds mit: Mit We Chat Pay können App-Nutzer in China fast alles bezahlen – vom Snack im Tante-Emma-Laden über Busfahrkarten und Kinotickets bis zur monatlichen Strom- und Wasserrechnung. Die gigantische Alltagsbewältigungsmaschine We Chat erreicht inzwischen ein Siebtel der Weltbevölkerung: Mehr als eine Milliarde monatlich aktive Accounts meldete Firmenchef Ma im März – fast alle seiner Nutzer sind Chinesen. Der Andrang auf das Programm hat den Tencent-Chef, der sich im Ausland Pony Ma nennt, zum fast 50-fachen Dollar-Milliardär gemacht. Tencent ist nun wertvoller als Facebook.

Ma reicht das nicht: Er hat globale Ambitionen. Den Bezahlservice We Chat Pay hat er bereits in Europa und Amerika ausgerollt – bisher nur für chinesische Touristen. Noch stößt We Chat bei westlichen Nutzern kaum auf Interesse. Gegen die App sprechen die Zensur unerwünschter Äußerungen durch die chinesische Regierung und die Furcht, dass Ma, der als Abgeordneter im Nationalen Volkskongress sitzt, sensible Informationen an Behörden weitergeben könnte. Auf Wachstum im Westen will der Tencent-Chef aber nicht verzichten. 2017 kaufte er sich bei Snapchat und Tesla ein.

In Shenzen – Chinas Technologiemetropole, die nur ein paar Kilometer nördlich von Hongkong liegt – hat Ma eine neue Firmenzentrale bezogen, um die wachsende Bedeutung seines Konzerns architektonisch zu unterstreichen. Lange war er mit Tencent in einem faden Bürohochhaus untergebracht. Nun thront der 46-Jährige in zwei ineinander verschlungenen 250 Meter hohen Türmen über der Stadt. 600 Millionen Dollar kostete das Gebäude. Journalisten zeigt Tencent gerne die Entwicklungsabteilung, die hier an Technologien wie Augmented Reality und künstlicher Intelligenz forscht – als wollte man die Geschichte als schamloser Ideendieb vergessen machen.

Die Strategie als Klonkönig behielt er bei

Ma, dessen Vater Mitarbeiter in der Hafenverwaltung war, startete das Unternehmen zusammen mit vier Freunden 1998. Die Gründer hatten Informatik studiert und beobachteten, wie im Westen das Instant-Messaging-Programm ICQ zum Hit wurde. Das kleine Team entwarf eine chinesische Variante. Nicht nur Optik und Funktionalität hatten frappierende Ähnlichkeiten mit dem Original, auch der Name: OICQ hieß Tencents erster großer Interneterfolg – zumindest bis Ma das Programm nach einem Rechtsstreit in QQ umbenennen musste. Die Strategie als Klonkönig behielt er aber bei: Tencent baute eine Suchmaschine, die aussah wie Google, einen Nachrichtendienst nach Twitter-Vorbild und eine Auktionsplattform wie Ebay. „In China geht es nicht um Ideen“, verkündete Ma. „Es geht um die Umsetzung.“

An Tencents Spitze kultiviert er seinen Ruf als disziplinierter Nerd. Beratungen mit dem Top-Management dauern auch länger als zehn Stunden. Der Betriebsausflug mit Vorstandskollegen war eine Wanderung durch die Wüste Gobi. Aus seinem Privatleben dringt nur nach außen, was in die PR-Strategie passt. Darauf achtet er penibel. Seine Frau hat er angeblich auf der Tencent-Chatplattform kennengelernt. Verraten hat Ma auch, dass er als Kind Astronom werden wollte. Über einen Umweg kommt er den Sternen nun sehr nahe: Im vergangenen Jahr investierte Tencent in Start-ups, die Ressourcen auf dem Mond und auf Asteroiden erschließen wollen. „Bei Tencent sind wir zwar Geschäftsleute“, sagte Ma. „Aber wir bemühen uns immer noch darum, etwas richtig Cooles zu erschaffen.“

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.












 

Anzeige