Verteidigungsstrategie der USA - Neue Härte, klare Worte

Die USA setzen eindeutige Prioritäten für die Zukunft ihres Militärs. Als wichtigste Gegner gelten China und Russland. Deren Expansionsdrang soll etwas entgegengesetzt werden – mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Europa dagegen wirkt rat- und planlos

US-Verteidigungspolitik: Es geht um Russland und China / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wer wissen will, welchen Blick die Vereinigten Staaten auf die sicherheitspolitische Weltlage haben und wie sie ihre eigene Rolle darin sehen, dem sei die Lektüre der Nationalen Verteidigungsstrategie („National Defense Strategy“) empfohlen. Das Papier stammt aus diesem Jahr, entstanden ist es unter der Federführung von Verteidigungsminister James N. Mattis, einem ehemaligen General des US Marine Corps. Und es ist nicht übertrieben, darin einen klaren Bruch zu den verteidigungspolitischen Leitlinien der Vorgängerregierung Präsident Obamas zu erkennen. Denn zum einen werden viele Defizite früherer verteidigungspolitischer Ansätze klar benannt und entsprechende Kurskorrekturen in Aussicht gestellt. Zum anderen ist der Grundton des gesamten Breviers latent aggressiv, weil sich die USA derzeit in einer Position der Schwäche sehen – was nicht akzeptabel sei. Die Frage ist, was das für Amerikas Verbündete, auch jene in Europa, bedeutet.

Die größten Gefahren erwachsen den USA demnach nicht im internationalen Terrorismus, namentlich jenem islamistischer Prägung. Die wahren Gefahrenherde liegen vielmehr in zwei Ländern: Russland und China. Es folgen, mit einigem Abstand, Nordkorea und Iran. China wird ausdrücklich als strategischer Wettbewerber benannt, das mit einem „räuberischen“ Wirtschaftsgebaren seine Nachbarstaaten einschüchtere und gleichzeitig eine Militarisierung im Südchinesischen Meer betreibe, um eine Neuordnung im gesamten Asia-Pazifik-Raum durchzusetzen. Russland wiederum verfolge mit allen Mitteln eine obstruktive Politik zur Schwächung der Nato und insbesondere auch der Länder Europas und des Mittleren Ostens. „Der Einsatz moderner Technologien zur Diskreditierung und Unterminierung demokratischer Prozesse in Georgien, der Krim und in der Ost-Ukraine ist besorgniserregend genug. Aber wenn man die gleichzeitige Ausweitung und Modernisierung der nuklearen Waffensysteme in Betracht zieht, ist die Herausforderung klar“, heißt es über Russland.

Protektionismus ist auch Verteidgungspolitik

Diese Herausforderung ist nicht mehr und nicht weniger als die Wiedererlangung einer militärischen Dominanz auf sämtlichen Gebieten: Luft, Land, Meer, Weltraum und nicht zuletzt im Cyberspace. Eine weitere strategische Schwachstelle ergibt sich aus der Tatsache, dass künftig immer mehr militärisch-strategisch nutzbare Technologien im zivilen Sektor entstehen werden – und deswegen grundsätzlich sowohl anderen Staaten wie auch nichtstaatlichen Akteuren zur Verfügung stehen dürften. Deswegen empfiehlt das Strategiepapier aus dem amerikanischen Verteidigungsministerium unumwunden eine Neuausrichtung der Industriepolitik, bei den Investitionsquellen und beim Schutz der militärisch relevanten Technologiebranchen. Protektionismus erscheint folglich nicht nur als eine handelspolitische, sondern insbesondere auch als eine verteidigungspolitische Maßnahme.
 
Der klare Focus auf die beiden strategischen Hauptgegner Russland und China soll aus amerikanischer Sicht zu einer neuen Allokation der militärischen Ressourcen führen. Der Einsatz in Irak und Afghanistan verliert weiter an Bedeutung, die vermeintliche Terrorabwehr findet verstärkt an der eigenen Haustür statt. Der Druck auf Europa, eine eigenständige Nahostpolitik zu entwickeln und umzusetzen, dürfte also weiter zunehmen. Das Diktum der deutschen Bundeskanzlerin von wegen „Fluchtursachen bekämpfen“ bekommt vor diesem Hintergrund eine neue Dimension, die weit über Entwicklungshilfe hinausgeht – oder hinausgehen müsste, wenn es einem ernst damit ist. Entsprechende Antworten stehen jedoch weiterhin aus.

Keine Waffen von gestern für Konflikte von morgen

Die Amerikaner setzen bei ihrer neuen Verteidigungsstrategie dagegen klar auf eine Kombination aller zur Verfügung stehender Mittel: auf das Militär, die Diplomatie, Handel, Justiz, die Geheimdienste und nicht zuletzt auch auf den Energiesektor. Dieser findet ausdrückliche Erwähnung und macht so etwa den amerikanischen Widerstand gegen das Nordstream-2-Projekt unmissverständlich zum Teil der strategischen Gesamtausrichtung. „Die Konflikte von morgen können nicht mit den Waffen und der Ausrüstung von gestern gewonnen werden“, lautet die Maxime. Das beinhaltet eine Modernisierung der nuklearen Waffensysteme ebenso wie Investitionen in die Cyberabwehr, in Informationssysteme, Hightech oder in hochspezialisierte Fachkräfte.
 
Während in Deutschland eine Steigerung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für unnötig und nahezu unmöglich erklärt wird, rüstet Amerika also nicht nur auf, sondern auch um. Das kann man gutheißen oder schlimm finden. Man sollte es aber zumindest zur Kenntnis nehmen – zumal die USA kein Interesse mehr daran haben, künftig für die Sicherheit Europas geradezustehen.
 
Spätestens mit der neuen „National Defense Strategy“ sind auch die europäischen Staaten, ist auch Deutschland gezwungen, sich Gedanken über neue Bedrohungsszenarien und ein strategisches Gesamtkonzept zu machen. Aber wie sagt der ehemalige Bundeswehrgeneral und Kanzleramtsmitarbeiter Erich Vad in der aktuellen Ausgabe von Cicero: „Das militärisch-strategische Denken ist in Deutschland nicht sehr weit verbreitet.“ Und weiter: „Der Gedanke der Wehrbereitschaft ist in unserem Land total unterentwickelt. Wir predigen immer Frieden und Ausgleich und Mediation, da sind wir Deutschen unheimlich stark. Das Militär hingegen wird eher als notwendiges Übel gesehen.“
 
Das könnte sich allerdings schon bald rächen.

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