Stephen Hawking ist tot - Priester einer vom Glauben abgefallenen Gesellschaft

Stephen Hawking war einer der größten Physiker des 20. Jahrhunderts. Umso tragischer, dass die Massenmedien ausgerechnet seine spekulativen Aussagen hypten. So wurde er zum säkularen Orakel, das metaphysische Bedürfnisse stillte

Ausflug in die Schwerelosigkeit: Stephen Hawking bei einem Parabelflug über dem Atlantik / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Stephen Hawking erfüllte romantische Sehnsüchte wie nur wenige Wissenschaftler: nach dem kranken Genie, nach dem überragenden Geist in einem hilflosen Körper, nach dem genialen Denker, der mittels seiner intellektuellen Kraft die Widrigkeiten der Materie überwindet. Das ist nicht ohne Ironie. Denn Hawking war sicher alles mögliche, aber kein Mensch für Pathos und Romantik.

Allerdings war sich der Physiker seiner paradoxen Situation nur all zu bewusst. Schon 1988 vermutete er in einem Artikel für den Independent, dass seine ALS-Erkrankung nicht unwesentlich zum Erfolg seines Bestsellers „Ein kurze Geschichte der Zeit“ beigetragen hat. Mehr noch: Hawkings krankheitsbedingte Erscheinung – der schmale, in seinem Rollstuhl zusammengesunkene Mann – unterstrich allegorisch geradezu die Abstraktheit und Alltagsferne seiner Theorien. Sie schien sinnbildlich zu beglaubigen, dass Fragen wie die Quantenmechanik Schwarzer Löcher einem intellektuellen Bereich angehören, der für den normalen Menschen nicht mehr erreichbar ist.

Eine Ikone des massenmedialen Zeitalters

So wurde das Bild des kranken Physikers zu einer Ikone des massenmedialen Zeitalters und zu einem Symbol für eine angebliche alltagsferne Wissenschaftsdisziplin. Dass Hawking mit seinen populärwissenschaftlichen Büchern gerade das Gegenteil anstrebte, nämlich Aufklärung und Verständigung, verleiht dem Ganzen eine Spur von Tragik.

Wie sehr Stephen Hawking die Sehnsucht der Menschen nach dem Geheimnisvollen eben dort erfüllte, wo er selbst Klarheit bringen wollte, zeigt sich vor allem an seinem schon erwähnten Bestseller: Mit inzwischen deutlich mehr als zehn Millionen verkauften Exemplaren dürfte „A Brief History of Time" (so der Originaltitel) wahrscheinlich das meistgekaufte halbgelesene Buch der Welt sein. Denn Hawkings Bestseller ist keine leichte Kost. Spätestens ab dem Kapitel über die Schwarzen Löcher kommt man mit durchschnittlicher Abiturphysik nicht mehr weit.

Sperrig, aber faszinierend

Doch seine Sperrigkeit tat dem Erfolg des Buches keinen Abbruch, im Gegenteil. Man liegt vermutlich nicht falsch, wenn man davon ausgeht, dass es gerade das Unzugängliche und Mysteriöse, das Geheimnisvolle und jede Alltagsvernunft Übersteigende war, was die Menschen an Hawkings Werk so faszinierte.

Und auch hier ist Hawkings Erfolg nicht frei von jeder Ironie: Gerade in seinem Bemühen um wissenschaftliche Klarheit gab der bekennende Atheist Hawking seiner Zeit eine neue Bibel, einen okkulten Text, der Sinnfragen zu tangieren schien und zu metaphysischen Spekulationen einlud.

Grotesker Hype um einzelne Aussagen

Da ihre Theorien der breiten Öffentlichkeit kaum noch anschaulich zu vermitteln sind, gehört es zu dem Schicksal moderner Physiker, dass sie mit Themen in die Schlagzeilen geraten, die mit ihrer eigentlichen Forschung kaum noch was zu tun haben.

Auch und gerade Stephen Hawking ist dieses Schicksal nicht erspart geblieben. Und so mutierte er in den vergangenen Jahrzehnten zu einem säkularen Orakel für Grenzfragen: sei es zur Existenz Gottes, dem Leben nach dem Tod, zu Außerirdischen, zur Zukunft der Menschheit oder was auch immer. Stephen Hawking, das war auch der Priester einer vom religiösen Glauben abgefallenen Gesellschaft, die sich dennoch nach etwas metaphysischem Jargon sehnte.

Hawking bediente dieses Bedürfnis, indem er sich der Trivialisierungsmaschinerie der Massenmedien zur Verfügung stellte. Doch intellektuelle Banalitäten werden nicht dadurch zu einer tiefen Einsicht, dass ein brillanter Physiker sie zum Besten gibt. Der mediale Hype, der um einzelne Aussagen Hawkings gemacht wurde, mutete daher mitunter geradezu grotesk an.

Allerweltsweisheiten werden sich versenden

„Die Philosophie ist tot“, stellte der Physiker in einer seiner Veröffentlichungen fest. Das mag sein. Doch Hawking tappte in die für Naturwissenschaftler typische Falle: zu meinen, spekulative Aussagen würden dadurch solider oder wahrer, dass sie von einem Naturwissenschaftler zu Besten gegeben werden.

Die Karriere des Stephen Hawking ist daher vor allem auch ein Lehrstück über die Verwertungslogik der Massenmedien. Hawkings Popularität gründete durch sie bezeichnenderweise nicht in seinen überragenden wissenschaftlichen Leistungen, sondern in der medialen Inszenierung eines von einer schweren Krankheit gezeichneten Wissenschaftlers, dessen Brillanz dazu dienen musste, Allerweltsweisheiten mit der Aura der revolutionären Einsicht zu versehen.

Doch populärwissenschaftlicher Ruhm versendet sich zum Glück schnell. Und so bleibt die Gewissheit, dass Stephan Hawking der Menschheit vor allem aufgrund seiner überragenden Forschungsarbeiten zu den Singularitäten-Theoremen und zur Strahlung Schwarzer Löcher in Erinnerungen bleiben wird. Er war einer der größten in dem an großen Physikern nicht eben armen 20. Jahrhundert.

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