Zum 700. Todestag des Dichterfürsten Dante Alighieri - Ein politischer Appell

Dantes Vermächtnis besteht in der literarischen Begründung der Neuzeit. Er machte das Italienische gegenüber dem Latein salonfähig und legte den Grundstein für eine später von den Massen rezipierbare Textkultur. Doch was uns sein Werk heute noch lehren kann, ist der Mut, sich von einer festgefahrenen Realität zu lösen, um eine bessere Welt zu denken.

Ein Denkmal des Dichters Dante Alighieri in seiner Geburtsstadt Florenz / dpa
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Autoreninfo

Björn Hayer ist habilitierter Germanist und arbeitet neben seiner Tätigkeit als Privatdozent für Literaturwissenschaft als Kritiker, Essayist und Autor.

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Dante, ein Mythos, ein Titan der Dichtung, ein Künder des Aufbruchs. Wer durch das heutige Florenz spaziert, wo der Dichter 1265 geboren wurde, trifft gleich mehrfach auf dessen Bildnis in überragenden Statuen. Gekleidet in der roten Robe trägt er den Lorbeerkranz als Zeichen des Poeta Laureati. Sein Blick geht über uns hinweg, in eine Ferne, die alles Irdische übersteigt. Seine Vision vom Jenseits zeugt nicht nur von einer grenzenlosen Fantasie, sondern prägt bis heute nachhaltig unsere Vorstellung von einem Leben „danach“.

Sein Hauptwerk ist daher der Ewigkeit verschrieben: „Die göttliche Komödie“ – 14.233 Elfsilbler, veredelt in Terzinen und verteilt auf 100 Canti. Die Geschichte ist weitestgehend bekannt. Das Dante Alighieri verkörpernde Ich ist vom „vom rechten Wege“ in einen Wald abgekommen und findet Eingang in die Unterwelt, wird zunächst Triebsündern und Verschwendern gewahr, stößt auf die Mauern der Höllenstadt, wohinter die Häretiker begraben liegen, zieht durch weitere Ringen des Infernos, bevor er schließlich vor dem im Blutrausch befindlichen und mit drei Mäulern ausgestatteten Luzifer steht.

Satirischer Porträtist

Einerseits dokumentiert der Schriftsteller in diesen ausladenden Schilderungen des Grauens die mittelalterlich-christliche Strafmoral, die alle Formen der Dekadenz geißelt, andererseits tut er sich dabei als satirischer Porträtist seiner Zeit hervor. Kryptisch muten all die Anspielungen auf korrumpierte Eliten aus Dantes Epoche für heutige Leser an. Aber genau sie geben Auskunft über seine durch und durch politische Ambitionen.

Nachdem er in einer allzu engen Gasse in Florenz gleich gegenüber seiner späteren Heiratskirche, der kleinen Chiesa di Santa Margherita dei Cerchi, aufwuchs, trieb es ihn schon bald in die Welt hinaus – allerdings wider Willen, geriet er doch als Vertreter höchster politischer Ämter in der Stadt mitten zwischen die kriegerischen Fronten zwischen Kaiser- und Papsttreuen. Der Poet floh ins Exil. Wohl auch dieser Heimatverlust dürfte die Reise als Rahmen seines Opus magnum, vornehmlich angeleitet durch den Dichter Vergil, inspiriert haben.

Expedition in die Metaphysik

Selbst wenn man sich zu Beginn des Eindrucks nicht ganz erwehren kann, Dante würde in dem Werk allen voran persönliche Finten austragen, dürfte er durch die weiteren Stationen widerlegt werden. Denn die Komödie ist trotz aller Gewaltdarstellungen ein Manifest der Reife, Tugend und Gnade. Sieben Kreise muss der Dichter (mit dem in der Unterwelt auf die Stirn gezeichneten Sündenzeichen) als Büßer durchlaufen. Erst entlang der Terrassen des Läuterungsbergs, wo sich die verlorenen Seelen versammeln, erfährt Dante eine allumfassende Reinigung und sagt sich von den üblen Trieben los. Nachdem ihn sodann seine Jugendliebe Beatrice an der Schwelle zum Paradies empfängt, ist die Zielgerade genommen. Bald schon folgt der Aufgang in das Empyreum, wo sich die Engelsscharen und Seligen mit dem Göttlichen vereinen und die Himmelsrose alles überragt.

Dass mehr als 500 Jahre nach diesem gloriosen Heilsepos gerade der Philosoph Ernst Bloch an jenes finale Bild anknüpft, sagt vieles über die heutige Bedeutung der auf den ersten Blick antiquiert anmutenden Expedition in die Metaphysik aus. „Die Utopie des Raumes ist im Empyreum Raumlosigkeit geworden“, hält der Philosoph in seiner Interpretation des Klassikers fest, „Nähe und Ferne können hier weder mehr geben noch nehmen […]; also bleibt an der Rose nur die vollkommene Zirkelgestalt der Erfüllung.“ (Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung). Einerseits betont Bloch die Weite, eben die Raumlosigkeit, andererseits die Vollendung im Sinnbild der kreisartigen Rose. Was uns Dantes Werk heute noch lehren kann, ist letztlich der Mut, zu Neuem vorzudringen, sich von der mithin festgefahrenen Realität zu lösen, um eine andere, hoffentlich bessere Welt zu denken.

Den Unrat der Welt ordnen

Doch der vor ziemlich genau 700 Jahren in Ravenna verstorbene Autor hätte kaum seinen Ruhm allein durch diesen politischen Appell erlangt. Auch seine metaphernschwere Reinszenierung des Christentums macht nicht unbedingt seine Einzigartigkeit aus. Sein großes Vermächtnis besteht in der literarischen Begründung der Neuzeit. Er machte das Italienische gegenüber dem bis dato dominierenden Latein salonfähig und legt damit den allerersten Grundstein für eine später von den Massen rezipierbare Textkultur.

Dante schrieb weder für den Klerus noch für die Fürsten. Sein Anspruch ging darüber hinaus. Er wollte demonstrieren, wozu Literatur und Sprache in der Lage sind. Hineingeboren in ein gesellschaftliches Chaos, gelang es ihm, den Unrat der Welt zu ordnen: mit Versen und Reime, mit der Kraft der Poesie. Er gab der menschlichen Existenz eine Form und wies zugleich so wunderschön über sie hinaus. Wohin? Dies und noch viel mehr deuten allein die letzten Worte seiner Komödie an: „Die Kraft der hohen Phantasie hier spleißt! / Doch folgte schon mein Wunsch und Wille gerne, / So wie ein Rad, das ebenmäßig kreist, / Der Liebe, die bewegt die Sonn und Sterne!“

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