#MeToo - „Es riecht säuerlich nach Geschlechterkrampf und Rechthaberei“

#MeToo war nötig. Aber mittlerweile hat die Debatte ein absurdes Ausmaß angenommen, schreibt die ehemalige Femen-Aktivistin Zana Ramadani. Eine moralisierende Massenhysterie sei ein Hindernis auf dem Weg in eine gleichberechtigte Zukunft

Die ehemalige Femen-Aktivistin Zana Ramadani kritisiert einen hysterischen Feminismus / picture alliance
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Autoreninfo

Zana Ramadani ist CDU-Mitglied und ehemalige Femen-Aktivistin. Sie war Vorsitzende und Mitgründerin des Vereins Femen Germany e.V. Im März 2017 erscheint ihr Buch „Die verschleierte Gefahr“.

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Keine Frage: #MeToo war dringend nötig. Nachdem Frauen so lange geschwiegen und damit das Verhalten der Täter gebilligt, gefördert, gestärkt und die nächsten Opfer ermöglicht hatten, sprachen sie es endlich aus. #MeToo zeigte zunächst „denen da oben“: So wird es nicht weitergehen. Aber bald nervte die Kampagne. Das Ausmaß der körperlichen Übergriffe gegen Frauen wäre auch ohne die hysterischen Übertreibungen, ohne den grassierenden Hashtag-Hype erkannt worden. #MeToo jedoch und all die Artikel und Blogs zum Thema unterschieden bald nicht mehr zwischen einer Vergewaltigung, einer unerwünschten Umarmung, Altherrenkomplimenten und unbeholfener Wortwahl.

Die Kampagne wäre wirkungsvoller gewesen, wäre sie differenzierter geblieben, nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika. Was subsumieren wir heute alles unter dem Begriff Sexismus! Und welche Folgen hat diese Inflation der Anklagen und Anwürfe, der Verdächtigungen und Vorverurteilungen. Der Anschein entstand, als litte die eine Hälfte der Menschheit unter der Dauergeilheit der anderen. Am deutlichsten zeigte das Frankreichs Schwester- Hashtag „balancetonporc“, auf Deutsch: Schwärze dein Schwein an. Das heißt ja: Jede Frau hat ein Schwein, Frauen sind umgeben von Unholden, und es ist aussichtslos, sich als wehrloses, weiches Wesen gegen diese trieb- und testosterongesteuerten Tiere zu wehren. Aber nun formieren sie sich, die Jägerinnen, und wer auf deren Abschussliste steht, ist so gut wie tot. Das Urteil ist so schnell gesprochen wie vollstreckt. Beweisaufnahme? Unnötig.

„Vergewaltigung ist so amerikanisch wie Apple Pie“

Das Maßlose und Moralisierende in der Sexismusdebatte ist nicht neu, die Entwicklung in Richtung Hysterie und Hetze erfolgt fast zwangsläufig, weil sie von vermeintlichen Opfern bestimmt wird, die über ihre eigene Geschichte, ihre Betroffenheit, ihren Schmerz schreiben und ihren Peiniger als stellvertretend für alle Männer sehen. Die Frauen schleudern ihre Erfahrungen hinaus in eine Welt, die sie als feindlich empfinden, und sie tun das, weil sie endlich Gelegenheit dazu haben. „Vergewaltigung ist so amerikanisch wie Apple Pie“, hatte eine amerikanische Bloggerin schon vier Jahre vor #MeToo geschrieben. Die Gesellschaft sei gekennzeichnet durch eine Vergewaltigungskultur.

Mit dieser Behauptung verfestigte sich weltweit ein ideologischer Begriff, im Englischen rape culture genannt. Die Vergewaltigungskultur sei zwar unsichtbar, aber allgegenwärtig; Filme, Zeitschriften, Mode, Bücher, Musik, Humor und sogar Barbie vermittelten die Botschaft, Frauen seien dazu da, benutzt, missbraucht und ausgebeutet zu werden. Die Antwort von Caroline Kitchens, Wissenschaftlerin am American Enterprise Institute, hätte damals schon nachdenklich stimmen müssen: Natürlich sei eine Vergewaltigung ein entsetzliches Verbrechen, das keine Toleranz erfahren dürfe und logischerweise strafbar sei. Aber es sei „nicht Teil unserer Kultur“, sondern das genaue Gegenteil unserer Kultur. Die Theorie von der Vergewaltigungskultur leiste wenig für die Opfer, „aber ihre Macht, die Gehirne von jungen Frauen zu vergiften und feindliche Umgebungen für unschuldige Männer zu schaffen, ist unermesslich." An den amerikanischen Hochschulen gebe es eine Obsession, die sogenannte rape culture zu beseitigen. Das habe zu Hysterie und Zensur geführt.

Verdächtige Kunst wird entfernt

Sie kritisiert „eine außer Kontrolle geratene Lobby, welche die Öffentlichkeit, unsere Lehrer und Politiker auf den falschen Weg leitet“, schrieb sie im Time Magazine. „Es ist Zeit, die Vergewaltigungs-Hysterie zu beenden.“ So hätten „Aktivistinnen“ am Wellesley College, einer privaten Hochschule für Frauen, verlangt, dass eine Statue eines männlichen Schlafwandlers beseitigt werden müsse; der fast nackte Mann könnte Erinnerungen an sexuelle Übergriffe hervorrufen (triggern).

So auch in Deutschland: In Berlin musste sich der akademische Senat der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) mit dem Vorwurf von Studentinnen beschäftigen, die ein Gedicht aus dem Jahr 1953 als sexistisch empfanden, das seit 2011 eine Fassade zierte. Es stammt von Eugen Gomringer, der von der ASH ausgezeichnet worden war und ihr daraufhin das Gedicht schenkte. Es lautet: avenidas/avenidas y flores/flores/flores y mujeres/avenidas/avenidas y mujeres/ avenidas y flores y mujeres y/un admirador. (Alleen/Alleen und Blumen/Blumen/Blumen und Frauen/Alleen/Alleen und Frauen/ Alleen und Blumen und Frauen und/ein Bewunderer.)

Schuldig, weil beschuldigt

Dergleichen soll also das verhasste Patriarchat repräsentieren, die Herrschaft der Väter, eine kleine Gruppe von Männern, welche die Mehrheit unterdrücken, die Frauen und die jungen Männer. Wer denkt wie die Studentinnen in Berlin und Massachusetts, kann vermutlich in einem Mann nichts anderes sehen als einen Apfelkuchen (Apple Pie), einen Frauenschänder. Und dann ist es auch nicht überraschend, dass die aktuelle Massenhysterie zu einem Generalverdacht führt. Das jedoch kann schlimme Folgen haben. Es bedarf nur einer Anschuldigung, um das Leben eines Mannes zu zerstören, ihm die Existenzgrundlage und seine Ehrhaftigkeit zu entziehen, wenn er in eine fieberhafte außergerichtliche Hexenjagd gerät und vorverurteilt an einen öffentlichen Pranger namens Internet gestellt wird. In den USA, so Kitchens, finde sich eine wachsende Zahl junger Männer wegen Vergewaltigungsvorwürfen vor Campus-Rechtsausschüssen, in denen faire Prozesse praktisch unmöglich seien; die „Angeklagten“ seien „schuldig, weil beschuldigt“. (…)

Natürlich müssen wir uns mit allen Mitteln gegen sexuelle Gewalt wehren, wo sie tatsächlich gegeben ist. Frauen zu ermutigen, dazu hat #MeToo beigetragen. Dazu trägt auch jede Anzeige gegen Täter bei, auch wenn uns viele einreden wollen, das führe zu nichts. Jeder verurteilte Täter ist eine Warnung an potenzielle Nachahmer. Selbstverständlich gibt es auch in Deutschland Gewalt gegen Frauen bis hin zu abscheulichen Verbrechen wie Vergewaltigung. Auch in diesem Land lebt noch immer ein Rest der patriarchalen Gesellschaft, die Frauen nicht als gleichwertig betrachtet und für benutzbar hält. Aber wir müssen unterscheiden zwischen Vergewaltigung, einer Dummheit und Respektlosigkeit. Wir sollten nicht jeden törichten Ton eines geilen Greises oder eines engstirnigen, einfältigen Esels an den Pranger stellen.

Wohlgesinnte, feministische Männer wenden sich ab

Die Neigung, jedes missglückte Kompliment zu sexueller Gewalt zu stilisieren, verhöhnt die tatsächlichen Opfer und bremst den Fortschritt auf den wirklichen Problemfeldern des Geschlechterkampfs. Wenn junge Frauen, die sich vermutlich als Feministinnen verstehen, sich mit solchen Banalitäten beschäftigen, dann übersehen sie die wichtigen Auseinandersetzungen, die großen Kämpfe der Frauen für Gleichberechtigung und Gleichheit, die noch längst nicht ausgefochten sind, etwa die Gleichstellung der Frauen in der Arbeitswelt. (…)

Was von radikalfeministischen Schreierinnen heute als sexuelle Gewalt verstanden wird, ist häufig eher unbedacht, unhöflich oder unmoralisch. Wenn wir den Begriff wahllos gebrauchen, sorgen wir nicht nur für eine Nivellierung, die auch die schwerwiegendste Tat in etwas Gewöhnliches verwandelt, die Schuld des Täters relativiert und die Überlebende – wie Vergewaltigte seit 1990 genannt werden sollen – und ihren Schmerz nicht mehr ernst nimmt. Vielmehr wenden sich auch wohlgesinnte, lernende und feministische Männer ab. Weil aber bei #MeToo zunehmend alles in einen Topf geworfen wurde und dieser Trend sich in vielen Beiträgen in allen erdenklichen Medien niedergeschlagen hat, ist die Kampagne übergelaufen und auf der Herdplatte verbrannt.

Nun riecht es unangenehm säuerlich nach Geschlechterkrampf und Rechthaberei. Eine einseitige, moralisierende Massenhysterie, Schwarz-Weiß-Denken und Extremismus von „Feministinnen“, die bei jedem etwas schlüpfrigen Witz in Ohnmacht fallen und ein Trauma erleiden, wenn ein 80-Jähriger ein weibliches Knie berührt, führt uns nicht in eine gleichberechtigte Zukunft. Es entstehen nur neue Opfer, wenn ein Internetmob mit ein paar Tweets einen einigermaßen prominenten Mann vernichten kann, den Menschen, den Kollegen, einen Familienangehörigen. Das als Kollateralschaden gegenüber dem Geschlecht zu rechtfertigen, das „uns“ bisher geknechtet hat, ist zynisch. Jedermann, selbst wenn unschuldig und fehlerfrei, kann dieser Jagd zum Opfer fallen.

Dieser Text ist ein Auszug aus Zana Ramadanis Buch „Sexismus: Über Männer, Macht und #Frauen“, das am heutigen Mittwoch im Europaverlag erscheint. 208 Seiten, 18,90 Euro.

 

 

 

 

 

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