Woke Sprachregelungen - Das kommt mir spanisch vor!

Sprechen im Alltag und in der Wissenschaft wird mehr und mehr zum Risiko. Wir sind zu einer Risikogesellschaft der besonderen Art geworden. Vorsicht ist geboten bei jeder Art von Metapher – vor allem, wenn es um Farben geht.

Dürfte alle Arten von Sensiblen gegen sich aufbringen: spanischer Stierkämpfer / dpa
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Autoreninfo

Ewald Kiel ist Ordinarius für Schulpädagogik an der LMU München und war Direktor des Departments für Pädagogik und Rehabilitation sowie Mitglied des Universitätssenats. Zur Zeit ist er Dekan der Fak. 11 der LMU.

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Selbst Banalitäten können sich in unserer hochreflexiven Gesellschaft als gefährlich erweisen. Oberflächlich glaubt man, man sei liberal, offen für die Entwicklungen der postmodernen Gesellschaft, hip und auf gar keinen Fall rassistisch, und doch: Plötzlich lauern die Abwertung, der Rassismus oder die kulturellen Stereotype in der eigenen Rede! 

Universitäres Licht und Diskriminierung

Wenn etwa in einem Universitätsseminar, jetzt im Winter, ein Student anfragt, ob man das Licht anmachen könne, weil es so dunkel sei, erhält man von einem postkolonialen, metareflexiven Erziehungswissenschaftler die Antwort: „Wir können das Licht anmachen, aber zunächst müssen wir einmal gemeinsam reflektieren, was es bedeutet, dunkel in dieser Gesellschaft zu sein!“ Wahrscheinlich denkt der Kollege, dass der unreflektierte Gebrauch von „dunkel“ die Gefahr berge, die wahren Probleme unserer Gesellschaft zu verkennen, wenn man einfach nur den Tafelanschrieb lesen möchte. Das wäre dann doch zu einfach. Nach einer gemeinsamen zehnminütigen kritisch reflexiven Diskussion, die gänzlich losgelöst vom Inhalt des Seminars ist, wird das Licht angemacht, und allen im Seminar ist nicht nur ein Licht aufgegangen, sie fühlen sich auch noch superwohl, weil sie so kritisch sind. Toll, welch ein unfassbarer Fortschritt der Humanität! Noch kritischer wäre der Diskurs geworden, wenn man die Inklusion miteinbezogen hätte. Ein Student mit grauem Star oder einer Sehbehinderung müsste eigentlich sofort das Recht haben, dass das Licht eingeschaltet wird. Diskriminiert man mit einem Diskurs über das Dunkle nicht die Förderbedürftigen?

Ein Student wollte weniger kommunikativen Aufwand. Er hat sich beim Dekan beschwert und gefordert, grundsätzlich das Licht anzumachen, wenn es dunkel ist, ohne eine metareflexive kommunikativ aufwändige Phase einzuschieben. Wahrscheinlich kam der Student aus Bayern, wo man laut der Bayerischen Staatsregierung auf das Gendern an der Universität verzichten soll, aber gleichzeitig sensibel und respektvoll mit der Vielfalt umgeht. Keiner weiß, wie das geht, aber auf jeden Fall wird unmittelbar das Licht angemacht – zumindest, wenn die durch die Coronakrise aufgelaufenen erhöhten Energiekosten durch das Land übernommen werden. Andernfalls reflektiert man länger im Dunklen über das Dunkle. Das kostet nur geistige Energie, fördert das kritische Bewusstsein und spart reale Euro. Das, was ich schildere, ist kein Witz, sondern tatsächlich in einem Universitätsseminar passiert – natürlich nicht in Bayern, sondern in Norddeutschland.

Tierschützende Sprache

Am liebsten würde ich jetzt wie meine Großmutter fluchen, die gerne sagte: „Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt!“ So etwas ist natürlich auch diskriminierend, ganz besonders gegenüber den Hunden in der Pfanne. In Asien ist man da weiter. In Südkorea etwa erlässt man laut der Süddeutschen gerade Gesetze, die das Züchten von Hunden für Speisezwecke untersagen. Anders als in der obigen Redensart werden dadurch Hunde nicht mehr in der Pfanne verrückt, sondern leben ein wunderbares Leben bei Herrchen oder Frauchen. Die gerade zitierte Redensart gibt es vielleicht in dieser Form oder in Abwandlung auch in Südkorea. Dann handelte es sich bei der südkoreanischen politischen Initiative um ein schönes Beispiel dafür, wie Sprachsensibilität Gesellschaft positiv verändert. Hunde kommen raus aus der Pfanne und dem Topf, und hinein kommt dafür mehr aromatisierter Tofu aus biologischem Fair-Trade-Anbau. 

Tierschützer sind inzwischen für solche tierbezogenen Flüche und Redewendungen sensibel geworden. Ausdrücke wie „du Spatzenhirn“, „der hat eine Meise“ oder „da steppt der Bär“ sind moralisch nicht mehr tragbar. Man darf Vögel nicht negativ konnotieren und herabwürdigen. Spatzen können klug und Meisen müssen nicht verrückt sein. Bären steppen zu lassen, ist wahrscheinlich insgesamt Ausdruck einer kolonialen Perspektive des Menschen gegenüber der Tierwelt. Wer das nicht erkennt, ist wahrscheinlich „dumm wie Brot“. Man könnte auch sagen, „ein Spaten ist klüger“ als diejenigen, die diese diskriminierenden Aussagen machen. Natürlich sind auch diese Ausdrücke inakzeptabel. Wie kann man etwas so Wichtigem wie dem Lebensmittel Brot oder dem wichtigen Gartengerät Spaten etwas so Negatives zusprechen? Dies gilt natürlich auch für den im Bereich der Politik beliebten Ausdruck „Vollpfosten“. Wie kann man einem bei der Baustatik so wichtigen und tragenden Element nur so die Würde nehmen?

Farbe als Gefahr

Überprüfen Sie doch einmal Ihren eigenen Sprachgebrauch vor dem Hintergrund dieser Beispiele! Seien Sie bitte vorsichtig mit jeder Art von Metapher. Wie man sieht, der Mangel an Anerkennung und das Übermaß an Diskriminierung lauern immer und überall. Reflexion fördert es zutage. Selbst bei harmlosen Farbbezeichnungen ist man in Gefahr, sich fehlzuverhalten. Schon lange ist die Bezeichnung „braun“ ein gefährliches Wort. Wer möchte schon als „Brauner“ bezeichnet werden? Sagt man über einen Universitätsprofessor, er sei ganz schön braun, dann wird über ihn wahrscheinlich unangenehm getuschelt und nicht über seinen letzten Seychellenurlaub gesprochen. Die Farbe „Blau,“ die Farbe der AfD, entwickelt sich möglicherweise zum neuen „Braun“. So genau weiß man dies jetzt jedoch noch nicht, denn die schon vergessenen „Blauen“ von Frauke Petry haben erfolglos in diese Richtung gearbeitet. 

Darüber hinaus ist „blau“ sowieso schon negativ konnotiert, weil hierdurch auf Alkoholmissbrauch verwiesen wird. Das hat die Farbe „blau“ wirklich nicht verdient, aber man sieht hier, es ist möglich, auch bei der Farbauswahl für Parteien gravierende Fehler zu machen. Dass die Kombination rot, gelb, grün, zusammengefasst als „Ampel“, inzwischen zu einem Schimpfwort geworden ist, muss man kaum noch erläutern. Würde man bei mir im Fakultätsrat sagen: „Hier geht‘s zu wie bei der Ampel“, dann wäre das schwerwiegende Kritik an meinem Amt als Dekan, und ich wäre sehr geknickt. Die Aussage „Lass uns nicht zu viel regeln, sonst geht‘s zu wie bei den Grünen“ habe ich indes schon gehört. 

Dunkle Seite der Macht

Zum Schluss möchte ich auf das Dunkelste zurückkommen, die Farbe Schwarz. Natürlich gibt es kein Schwarzfahren mehr, denn damit werde assoziiert, dass People of Colour ihre Tickets nicht bezahlen. Diskriminierungstheoretisch jedoch besonders bedenklich wird die Farbe „Schwarz“, wenn wir den Alltag verlassen und an ihren Gebrauch in den renommierten Hard Sciences denken. An meiner Universität, der LMU, ist die Physik eine weltweit herausragende Institution, wie der gerade vergebene Nobelpreis an Herrn Krausz beweist. Jedoch, in der Astrophysik wird über schwarze Löcher geforscht. Das sind Objekte mit extrem großer Masse, die alles anziehen und verschlingen, auch das helle weiße Licht. Das nichtweiße Licht und alles andere wird natürlich auch verschlungen, aber das spielt in sozialwissenschaftlicher und alltäglicher Metareflexion keine Rolle, denn das Dunkle verschlingt zunächst einmal das Helle, das Weiße! Das ist, wenn man es als diskriminierende Sprache denkt, einfach unglaublich. Eine solche Unterstellung ist zweifellos schlimmer als Schwarzfahren. Ich hoffe, dass mein prominenter Kollege an der LMU, Harald Lesch, der aus dem Fernsehen bekannte Astrophysiker, demnächst sensibel mit dieser Frage in seinen Vorlesungen umgeht!

Mir wird bei diesen Überlegungen, die ich beinahe beliebig lang weiterführen könnte, schwarz vor Augen oder metareflexiv medizinisch ausgedrückt, es kommt bei mir zu einer kurzfristigen orthostatischen Dysregulation. Wie geht es Ihnen? Mir kommt das Ganze spanisch vor!

P.S.: Spanien ist mein bevorzugtes Urlaubsland. Ich liebe es sehr. Der Ausdruck „spanisch vorkommen“ geht wahrscheinlich auf den spanischen König Karl V. zurück, der 1519 zum deutschen Kaiser gekrönt wurde. Er führte an seinem Hof spanische Sitten ein und erklärte Spanisch zur Verkehrssprache. Die Menschen hatten also recht, wenn sie sagten: „Das kommt mir spanisch vor!“
 

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